Memorandum zu staatlicher Repression in Togo (Kurzversion)

Im Februar 2021 haben 24 zivilgesellschaftliche Organisationen und 11 politische Parteien ein Memorandum zur Menschenrechtslage in Togo veröffentlicht. Die europäische Sektion von Afrique-Europe-Interact unterstützt die Forderungen des Memorandums, wir haben uns daher auch mit einem öffentlichen Protestbrief an die deutsche Bundesregierung gewandt. Die Langversion des Memorandums ist ebenfalls auf unserer Webseite dokumentiert.

Vorbemerkung von Afrique-Europe-Interact: Wie es zu dem Memorandum gekommen ist

Seit 54 Jahren wird Togo von einer einzigen Familie regiert: Am 13. Januar 1963 stürzte die togoische Armee den ersten Präsidenten des unabhängigen Togo, vier Jahre später putschte die Armee erneut und ernannte den ehemaligen Kolonialoffizier Gnassingbé Eyadéma zum neuen Präsidenten des westafrikanischen Landes. Als Gnassingbé Eyadéma im Februar 2005 starb, folgte sein Sohn Faure Gnassingbé. Bei Protesten gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen im April 2005 wurden über 800 Menschen getötet, seitdem ist Faure Gnassingbé an der Macht. Diese Entwicklung ist umso tragischer, als sich bereits 1990 in Togo eine breite Bewegung für Freiheit und Demokratie gebildet hatte. 1992 stimmten die Bürger*innen Togos für eine neue Verfassung, die eine Beschränkung der Regierungszeit des Präsidenten auf zwei Amtszeiten sowie das Recht auf freie und faire Wahlen garantiert. Doch diese Verfassung wurde nie respektiert, stattdessen operiert das Regime bis heute mit Repression und offener Gewalt. Alle seit der Machtübernahme von Faure Gnassingbé stattgefundenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden von der Opposition als manipuliert zurückgewiesen oder boykottiert.

Im August 2017 gingen erneut mehrere hunderttausend Menschen auf die Straße, um für den Rücktritt von Faure Gnassingbé und die Anerkennung der demokratischen Verfassung von 1992 zu demonstrieren. Erneut reagierte das Regime mit Gewalt gegenüber den friedlichen Demonstrierenden. Mindestens 16 Menschen wurden getötet. Ein zwischen Regierung und Opposition vereinbarter Fahrplan für freie und faire Parlamentswahlen 2018 wurde nicht respektiert und erneut boykottierte die Opposition die Wahlen. Zwar wurde die von der Opposition geforderte Begrenzung der Regierungszeit des Präsidenten auf zwei Amtszeiten 2019 verabschiedet, jedoch gilt diese nicht rückwirkend, sodass Präsident Faure 2020 wiedergewählt wurde und noch bis 2030 im Amt bleiben kann.

Anlässlich der Präsidentschaftswahlen im Februar 2020 hat Afrique Europe Interact in zwei Stellungnahmen auf neue Vorwürfe der Wahlmanipulation sowie die unverändert angespannte Menschenrechtslage in Togo hingewiesen. So wurden nach den Präsidentschaftswahlen lediglich pauschal der Wahlsieg von Faure Gnassingbé bekannt gegeben, nicht aber das nach Wahlkreisen detailliert aufgeschlüsselte Abstimmungsergebnis, wie es den internationalen Standards freier, fairer und transparenter Wahlen entsprochen hätte.

Im November 2020 wurden die bekannten Oppositionsmitglieder Brigitte Kafui Adjamagbo und Gérard Yaovi Djossou unter dem Vorwurf der “kriminellen Verschwörung” sowie der “Untergrabung der inneren Staatssicherheit” vorübergehend festgenommen. Aus diesem Anlass schlossen sich 9 politische Parteien und 23 zivilgesellschaftliche Organisationen zum „Komitee für die Freilassung der politischen Gefangenen“ zusammen. Ziel ist, die menschenrechtswidrige Behandlung politischer Gefangener durch Justiz und Sicherheitsbehörden nicht nur in Togo, sondern auch international bekannt zu machen und den Betroffenen und ihren Familien juristisch und sozial beizustehen. In diesem Sinne veröffentlichte das Komitee im Februar 2021 ein Memorandum, in dem zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Missachtung von Freiheitsrechten und staatlicher Gewalt detailliert dokumentiert werden. Zudem fordert das Komitee die sofortige Beendigung jeder Form staatlicher Repression.

Das Memorandum listet insgesamt 111 Festnahmen sowie 5 Todesfälle in Haft auf. Von den 111 Personen, die in Gewahrsam genommen oder inhaftiert wurden, wurden 7 wieder freigelassen. Bei den untersuchten Fällen nehmen der “Zentrale Ermittlungs- und Geheimdienst” SCRIC (Service Central de Recherches et d’Investigations Criminelles) sowie das Justizsystem eine entscheidende Rolle ein, wie das Memorandum betont: „Heute kann man […] sagen, dass die Justiz ihrer Funktion als Garantin für die Konsolidierung des Rechtsstaates nicht gerecht wird, sondern eher das Regime ersetzt, das die Justiz zu seinem verlängerten Arm bei der Unterdrückung von politischen Gegner*innen, zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, Gewerkschafter*innen und sogar Journalist*innen gemacht hat. Offensichtlich tritt Togo in eine neue Ära ein, nämlich in die einer wahrhaften ‚Identitätskrise der Judikative‘ mit einem Wiederaufleben von Missständen verschiedener Art.“

Die wichtigsten Ergebnisse des Memorandums

1. Verhaftungen ohne gesetzliche Grundlage und Einhaltung von Verfahrensregeln: Verhaftungen erfolgen oft ohne richterlichen Beschluss, mit Brutalität und zu unangemessenen Zeiten. Bei der Analyse fällt immer wieder auf, wie unbegründet die Anklagen und wie inhaltsleer die Akten der Staatsanwaltschaft sind. Diskussionsbeiträge in sozialen Netzwerken werden zu stichhaltigen Beweisen erklärt und reichen aus, um Menschen zu Haftstrafen zu verurteilen.

2. Verschwindenlassen: Verschwindenlassen wird nach wie vor als Vorgehen bei Verhaftungen praktiziert. In einem Fall wandte sich der zuständige Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen in einem Brief an die togoische Regierung. Einige Tage später erhielt ein Familienmitglied einen Telefonanruf, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass der ‚Verschwundene‘ krank in der Gefangenenabteilung eines Krankenhauses inhaftiert sei.

3. Verletzungen der Grundrechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf friedliche Demonstrationen und Versammlungen: Am 7. August 2019 verabschiedete die Nationalversammlung ein Gesetz, das die Demonstrationsfreiheit stark einschränkt. Am 11. September 2019 haben vier Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen in einem Schreiben an den togoischen Staatschef auf den restriktiven Charakter des neuen Gesetzes zur Versammlungsfreiheit und zu friedlichen öffentlichen Demonstrationen in Togo hingewiesen und vergeblich eine Überarbeitung des neuen Gesetzes gefordert. Seit dem neuen Gesetz und schon vor der COVID-19-Pandemie, die nun die Möglichkeiten zu demonstrieren weiter einschränkt, sind keine Großdemonstrationen mehr erlaubt. Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in Gefahr: Der SCRIC verfolgt Menschen aufgrund vorgeworfener Presse- und Meinungsdelikte, die staatliche Medienaufsicht unterbindet die Veröffentlichung von Presseorganen und die Justiz verurteilt Personen zu Haftstrafen oder zum dauerhaften Entzug von Veröffentlichungslizenzen.

4. Fälle von Folter und Misshandlung in der Haft: Eine wachsende Zahl übereinstimmender Anschuldigungen deutet darauf hin, dass die Praxis der Folter in togoischen Gefängnissen eine Realität ist. Viele Zeug*innenaussagen bestätigen, dass es geheime Haftorte gibt, zu denen die Verhafteten mit Kapuzen geführt werden, um zu verhindern, dass die Orte entdeckt werden. Auch wird von Folterpraktiken berichtet, die in diesen geheimen Haftorten stattfinden.

5. Drangsalierung von Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft: Die Sprecher*innen mehrerer zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden unter dem Vorwurf der Untergrabung der inneren Sicherheit, der kriminellen Verschwörung und ohne jegliche Beweise für diese Anschuldigungen monatelang festgehalten. Zudem gab es Aktionen gegen den gewerkschaftlichen Dachverband STT (Synergie des Travailleurs du Togo). Für das Regime geht es darum, jeden Wunsch nach Protest präventiv zu unterbinden, woher auch immer er kommen mag.

6. Straflosigkeit: In Togo sind die Ermittlungen selten erfolgreich, wenn Verteidigungs- und/oder Sicherheitskräfte in einen Fall verwickelt sind. Diese Kultur der Straflosigkeit wurde 2005 von der UN-Untersuchungsmission angeprangert, die den Auftrag hatte, zu den tragischen Ereignissen nach der Präsidentschaftswahl vom 24. April 2005 zu ermitteln, und auch im Rahmen der Großdemonstrationen 2017/2018 kam es zu tödlicher Gewaltanwendung seitens der Sicherheitskräfte. Die dem Bericht zugrunde liegenden Fälle wurden jedoch trotz zahlreicher Zeug*innenaussagen und unwiderlegbarer Beweise nie vor die togoische Justiz gebracht. Auch während der Zeit der ersten Ausgangssperre nach dem Auftreten von COVID-19 in Togo kam es zu tödlichen Übergriffen. Fünf Menschen wurden getötet, vermutlich durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Die meisten dieser Verbrechen blieben ungesühnt.

Ausgehend von dieser Analyse fordert das Memorandum:

- Die bedingungslose und sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen in Togo und die Entschädigung der Bürger*innen oder ihrer Angehörigen, die zu Unrecht verhaftet, inhaftiert und gefoltert wurden oder in Haft zu Tode kamen;

- das lebendige Wiederauftauchen aller politischen Gefangenen;

- die Einsetzung einer internationalen unabhängigen Untersuchungskommission, um die Vorwürfe über Todesfälle in der Haft durch Folter oder aus anderen Gründen vollständig aufzuklären und die Täter und Hintermänner dieser kriminellen Handlungen zu identifizieren und zu verhaften, damit sie vor Gericht gestellt werden können; dies umfasst auch die Aufklärung von Missständen im togoischen Justizsystem sowie die Suspendierung von Richter*innen, die das Justizsystem missbraucht haben, um unschuldige Bürger*innen zu verurteilen und illegal in Haft zu halten;

- die strafrechtliche Verfolgung jener Beamt*innen, die an mutmaßlicher Folter und der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung politischer Gefangener beteiligt waren;
die Auflösung von Einheiten der Sicherheitskräfte, die sich der Misshandlung von politischen Gefangenen schuldig gemacht haben;

- die Achtung der Unabhängigkeit der Justiz sowie die Achtung aller demokratischen Freiheiten, die durch die togoische Verfassung und die vom togoischen Staat ratifizierten internationalen Übereinkommen garantiert werden, insbesondere die Achtung des Rechts auf Leben und der Meinungs- und Redefreiheit.