Ich erhielt einen Anruf von einem Bekannten, dass der Vater meiner Kinder in seinem Blut liege
Ein Fall von Polizeigewalt und Straflosigkeit in Togo
Im Dezember 2021 fand eine Delegationsreise von drei Mitgliedern der europäischen Sektion von Afrique Europe Interact nach Togo statt. Dabei trafen wir uns mit Tanti Agbavito, deren Ehemann Mohammed 2019 während einer Verkehrskontrolle von einem Gendarmen erschossen wurde. Mohammeds Schicksal sowie das von Tanti Agbavito und ihren beiden Kindern als Hinterbliebene steht beispielhaft für eine oft willkürliche Gewaltanwendung togoischer Sicherheitskräfte und die in solchen Fällen vorherrschende Straflosigkeit. Das Interview wurde auf Ewe geführt und daraufhin ins Französische und Deutsche übersetzt.
F: Wir sind zu Dir gekommen, weil wir von Deinem Unglück gehört haben. Kannst Du dich vorstellen und uns erzählen, was mit Deinen beiden Kindern passiert ist?
A: Mein Name ist Tanti Agbavito. Ich war in der Lehre, als ich Mohamed, den Vater meiner beiden Kinder, kennenlernte. Ich wurde schwanger und musste meine Ausbildung abbrechen. Nachdem meine Tochter Yayra geboren war, wurde ich erneut schwanger und bekam mein zweites Kind Christoph.
Ich wollte meinen Vater im Dorf besuchen, als Mohamed mich anrief und mir sagte, dass er heute nicht zur Arbeit gehen wolle. Aber er hatte einen Anruf von einem Kunden bekommen, der sein Auto zum Waschen abholen wollte. Er holte also das Auto und nahm unsere Tochter Yayra mit. Auf der Straße begegnete er zwei Gendarmen, die ihn anhielten, weil er zu schnell fuhr. Als er merkte, dass die Polizisten ihn verfolgten, hielt er an. Die Gendarmen forderten ihn auf, ihnen den Autoschlüssel auszuhändigen.
Er weigerte sich und erklärte, dass ihm das Auto nicht gehöre und er den Schlüssel daher nicht herausgeben könne. Weil er den Schlüssel in seine Tasche gesteckt hatte, zog einer der Gendarmen ein Messer und versuchte, seine Hose zu zerreißen, um den Schlüssel zu bekommen, woraufhin der andere Gendarm seine Waffe zog und auf ihn schoss.
Ich erhielt einen Anruf von einem Bekannten, dass der Vater meiner Kinder in seinem Blut liege. Er erklärte mir, dass Yayra auf ihrem Vater saß, der zwischen Leben und Tod in seinem Blut lag. Dann kam eine Frau und nahm meine Tochter und brachte sie zu sich nach Hause. Für Mohamed war es zu spät, er war auf der Stelle tot.
Nach dem Anruf eilte ich nach Lomé zu der Frau, die meine Tochter abgeholt hatte. Sie bestätigte mir, dass meine Tochter auf ihrem Vater gesessen, der durch den Schuss des Gendarmen gestorben war, und in Blut gebadet hatte. Die Frau übergab mir meine Tochter und erklärte mir, dass die Gendarmen Mohameds Leiche weggebracht hätten.
Ich hatte Angst, weil es die Gendarmen waren, und wusste nicht, was ich tun sollte. So blieb ich mit den beiden Kindern zurück, ohne Unterstützung von irgendjemandem. Selbst Mohameds Familie interessierte sich nicht für uns.
In den zwei Jahren, die seit diesem Vorfall vergangen sind, habe ich keine Informationen und keine Unterstützung erhalten. Aber Gott sei Dank haben wir zu einem bestimmten Zeitpunkt finanzielle Unterstützung von einer Gruppe aus der Diaspora erhalten, die sich Urgence Togo Germany nennt, und zwar mithilfe des Front Citoyens Togo Debout.
Diese Gruppe aus der Diaspora hat mir geholfen, meine Kinder zur Schule zu schicken, und hat mir ein Geschäft eröffnet, damit ich mich selbst versorgen kann.
F: Danke für Deinen Mut, uns diese traurige Geschichte zu erzählen. Hast Du selbst Schritte bei den zuständigen Behörden unternommen, um Gerechtigkeit zu erlangen?
A: Nein. Die Eltern von Mohamed haben mich daran gehindert, etwas zu unternehmen. Sie sagten, dass sie sich selbst darum kümmern würden. Als das Ereignis eintrat, besuchten mich mehrere Personen aus der Zivilgesellschaft Togos und Menschenrechtsaktivist*innen aus Togo, die mir anboten, mir zu helfen, eine Klage einzureichen und die notwendigen Schritte zu unternehmen, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Aber Mohameds Eltern waren dagegen und die Leute kamen nicht mehr zurück. Bis heute, da ich mit Euch spreche, ist nichts geschehen und ich weiß von nichts.
Mohammeds Eltern sagten mir, dass ich ihnen die Telefonnummern geben soll, wenn jemand kommt, was ich getan habe, und ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört.
F: Du sagtest, dass die Kinder eingeschult wurden. In welche Klassen gehen sie?
A: Meine Tochter ist sechs Jahre alt und geht in die erste Klasse, mein Sohn ist vier Jahre alt und geht in den Kindergarten.
F: Du hast uns auch gesagt, dass Deine Tochter durch das, was passiert ist, traumatisiert ist. Warst Du mit ihr bei einem Arzt oder Psychologen?
A: Sie ist oft geistesabwesend. Auch in der Schule sagt mir die Lehrerin, dass sie sehr ruhig und nachdenklich ist, immer mit einem traurigen Gesicht. Manchmal ist sie den ganzen Tag sehr aggressiv gegenüber ihrem Bruder. In letzter Zeit ist sie krank. Sie konnte nicht zur Schule gehen.
F: Danke für Deinen Mut.