27. Mai 2022 | Warum Frauen in Togo für soziale Gerechtigkeit und gegen steigende Preise protestieren

Im Dezember 2021 fand eine Delegationsreise von drei Mitgliedern der europäischen Sektion von Afrique Europe Interact nach Togo statt. Dabei trafen wir uns auch mit einer Mitbegründerin der Frauenbewegung „Femmes Pyramide“. Femmes Pyramide wurde 2021 bekannt, als sie die Marktfrauen aufriefen, zum Zeichen des Protests schwarze Kleidung zu tragen.

Ich gehöre zu einer togoischen Frauenbewegung, die sich Femmes Pyramide nennt. Es ist eine Gruppe aller togoischen Frauen, egal welches religiösen, ethnischen oder sonstigen Hintergrundes. Das Problem ist, dass es in Togo keine politisch engagierten Frauen gibt, die sich aktiv für die Zukunft ihres Landes einsetzen. Außerdem wissen wir längst, dass es in Togo Elend gibt. Aber seit Corona sind die Dinge noch schlimmer geworden. Deshalb haben wir beschlossen, eine Bewegung zu gründen, um den Hunger, das Elend und die hohen Lebenshaltungskosten in Togo anzuprangern.

Wenn Sie auf das Unabhängigkeitsdenkmal blicken, steht auf dem Platz der Unabhängigkeit eine Frau, und diese Frau wurde entworfen, um die Frauen zu ehren, die eine große Rolle bei der Befreiung Togos gespielt haben. Wir wollen auch in die Fußstapfen dieser Frauen treten. Mit der Coronapandemie haben wir festgestellt, dass die Menschen in Togo noch mehr leiden und Mühe haben, wenigstens einmal am Tag zu essen. Das führt einerseits zu einer steigenden Zahl an Suiziden, andererseits dazu, dass viele junge Menschen das Land verlassen. Als Frauen können wir angesichts dieser Situation nicht schweigen, weshalb wir beschlossen haben, etwas dagegen zu unternehmen. Nach den Präsidentschaftswahlen im Februar 2020 verfielen die Togoer*innen in eine politische Depression. Das hat dazu geführt, dass die meisten Togoer*innen schweigen, egal wie sehr sie leiden, egal wie viele Entscheidungen die Regierung zu unseren Ungunsten trifft. Ein Volk, das sich nicht bewegt, wird immer unterdrückt werden. Daher haben wir beschlossen, Bürgeraktionen zu initiieren, um den Hunger in Togo anzuprangern.

Als wir diese Bewegung namens Femmes Pyramide gründeten, haben wir uns gefragt: Was können wir tun, um mit unseren Regierenden zu sprechen? Wie können wir eine Aktion starten, die auf sie zurückwirkt. Denn wenn wir heute auf die Straße gehen, um zu demonstrieren, geben wir uns dem Wolf hin, es ist, als würden wir zum Schlachthof gehen. Nach reiflicher Überlegung haben wir schließlich beschlossen, schwarze Kleidung zu tragen, damit ganz Togo schwarz gekleidet ist. Schwarz ist ein Zeichen von Trauer, Traurigkeit, Unruhe und Wut. Und wir haben nicht nur schwarze Kleidung getragen, sondern auch einen Brief an Faure Gnassingbé, den Staatschef, geschrieben. Außerdem haben wir an die Premierministerin und an die Präsidentin der Nationalversammlung geschrieben, die beide Frauen sind, in der Hoffnung, dass sie als Frauen für unsere Anliegen empfänglich sind. Leider haben wir keine Antwort von unseren Regierenden erhalten.

Seit Juli, also seit fünf Monaten, haben wir uns zusammengefunden, um Aktionen durchzuführen, unsere Forderungen zu herauszuschreien und zu demonstrieren. Aber wir haben keine Antwort erhalten, nicht einmal einen Anruf oder eine E-Mail von unserer Regierung. Es wurden lediglich Pressemitteilungen herausgegeben, die besagten, dass dieses Jahr die Schule kostenlos sein wird und dass ein Gesetz verabschiedet wurde, das als WOEZOU-Projekt bezeichnet wird, das sich um schwangere Frauen und Neugeborene kümmern soll, und dass es ein universelles Gesundheitsprogramm für alle geben soll. Aber ich sage, dass diese Erklärungen und Projekte in Bezug auf unsere Forderungen unzulänglich und unzureichend sind.

Die Forderungen unserer Initiative möchte ich hier nun kurz anreißen.

Unsere erste Forderung ist, die Benzinpreise zu senken. Ich habe noch nie von einem Land gehört, wo Zweiräder (Mopeds und Motorräder) Mautgebühren bezahlen müssen. Aber in Togo gibt es solche Gebühren und sie wurden auch noch erhöht. Diese Erhöhung wirkt sich auf die Endprodukte aus und die Endverbraucher zahlen den höheren Preis. Deshalb fordern wir eine Senkung der Mautgebühren.

Wir fordern auch, die Steuern zu senken. Denn der Preis der Steuermarken für den Zugang zu Märkten hat sich mittlerweile verdoppelt. Das Ticket, das früher hundertfünfundzwanzig Francs CFA kostete, kostet jetzt zweihundertfünfzig. Dem gegenüber muss man sich den Zustand unserer Märkte ansehen, wie die Frauen auf den Märkten leiden, sich beschweren, in Tränen aufgelöst sind. Wir fordern also ein Absenken dieser Steuern.

Wir fordern auch, dass der SMIG („Salaire Minimum Interprofessionnel Garanti“, der branchenübergreifender gesetzlicher Mindestlohn) erhöht wird. Unser Mindestlohn liegt bei fünfunddreißigtausend Francs CFA (53 Euro) pro Monat – und das bei einer Inflationsrate von 6,3 Prozent. Das ist wirtschaftlicher Selbstmord für einfache Arbeiter*innen. Fünfunddreißigtausend Francs zu verdienen, obwohl viele nicht einmal diese fünfunddreißigtausend Francs bekommen, und das bei einer Inflationsrate von 6,3 Prozent, ist Selbstmord. Sogar die Tiere stehen höhrer als wir. Wir wollen, dass der SMIG, der vor Jahren festgelegt wurde, von fünfunddreißigtausend Francs CFA auf fünfzigtausend Francs angehoben wird, um den einfachen Togoer*innen ein Minimum an Würde zu garantieren.

Wir fordern auch, dass es Notfallmaßnahmen für Frauen und gefährdete Personen gibt, um die medizinische Erstversorgung zu gewährleisten. Wenn du als Togoer*in heute ins Krankenhaus gehst und dir das Geld für die Behandlung nicht leisten kannst, stirbst du. Und selbst wenn du die Mittel hast – unsere Krankenhäuser sind in einem solch schlechten zustand, dass wir mit einer größeren Wahrscheinlichkeit sterben, als gesund zu werden. Auch gibt es keine garantierte medizinische Erstversorgung. Wenn du einen Unfall hast, und du wirst eingeliefert, aber du hast keine Verwandten in der Nähe, du hast niemanden, der für dich in die Tasche greifen kann, dann stirbst du. Wir fordern also, dass es eine garantierte medizinische Erstversorgung für alle Togoer*innen gibt.

Und schließlich fordern wir, dass die politischen Gefangenen freigelassen werden. Wenn wir über politische Gefangene sprechen, rufen die Leute Ohh! Ihr macht Politik! Aber was versteht man unter Politik? Politik ist die Kunst, das Gemeinwesen zu verwalten. Und alles, was in diesem Gemeinwesen passiert, liegt in der Verantwortung aller Bürger*innen. Und auch wenn wir keine Politik um der Politik willen betreiben, fordern wir doch, dass die politischen Gefangenen, die unsere Ehemänner und Brüder sind und bleiben, freigelassen werden. Warum? Was hat das mit den hohen Lebenshaltungskosten zu tun?

Wenn ein Gefangener inhaftiert wird, leidet die ganze Familie. Ein Vater, der nun im Gefängnis sitzt, sorgte bisher für seine Frau und seine Kinder. Wenn er im Gefängnis ist, wer sorgt sich dann um sie? All diese Lasten werden auf die Frau abgewälzt und die Frau leidet am meisten. Deshalb wollen wir, dass die Gefangenen freigelassen werden. Und es sind nicht nur Männer, die inhaftiert sind. Unter den Gefangenen ist, so weit wir es wissen, auch mindestens eine Frau. Sie heißt Leila und hatte, als sie verhaftet wurde, ein sieben Monate altes Baby. Sie ist gerade dabei, ihr Baby zu holen, als die sogenannten “Ordnungshüter”, die in Wirklichkeit nur Unordnung verbreiten, kommen, um sie zu holen. Trotz ihrer Schreie “Was soll ich mit meinem Baby machen? Ich nehme mein Baby mit!” sagten diese nein, es sei ihnen egal und ließen das Baby auf dem Boden liegen. So haben sie diese Frau entführt und diesen Monat sitzt sie schon seit zwei Jahre im Gefängnis. Ich muss noch hinzufügen, diese Frau hat eine große Tochter im Alter von 16 oder 17 Jahren, die wegen Nichtbezahlung des Schulgeldes der Schule verwiesen wurde. Und es ist ihre Mutter, die im Gefängnis sitzt, die weint, verzweifelt ist und schreit, hilf mir, hilf mir. Vor ihrer Festnahme war sie diejenige, die für ihre Tochter gesorgt hat. Jetzt ist sie nicht mehr da. Und ihre Tochter, obwohl sie nicht selbst im Gefängnis ist, hat unter den Folgen ihrer Einkerkerung zu leiden. Es ist also unsere Aufgabe als Frauen, die Freilassung der politischen Gefangenen zu fordern, und wir haben das Recht, sie zu fordern.

Wenn wir von Hunger und hohen Lebenshaltungskosten sprechen, sprechen wir von sozialem und ökonomischem Wohlergehen, und wenn wir von Wohlergehen sprechen, sprechen wir von Menschenrechten. Wir werden weiterhin, all das, was hier nicht stimmt, all das, was auf eine Verletzung von Menschenrechten verweist scharf verurteilen. So entspricht die Art und Weise, wie die politischen Gefangenen festgenommen werden nicht den Regeln der Menschenrechte. Denn sie werden willkürlich verhaftet. Sie sitzen seit zwei oder sogar drei Jahren im Gefängnis und werden nicht vor Gericht gestellt. Und sie werden gefoltert. Das ist die Wahrheit und nicht erfunden. Viele sind unter der Folter gestorben. Man kann also nicht über die hohen Lebenshaltungskosten sprechen, ohne über Menschenrechte und die politischen Gefangenen zu sprechen.

Ich möchte zwei Beispiele dafür geben, wie diese politischen Gefangenen gefoltert werden. Chlorbleiche, die man einem Menschen auf den Rücken gießt, und ihn von abends bis morgens verprügelt. Es gibt Fotos, die Sie sehen können. Auch wie man einem Menschen die Arme am Körper festbindet und ihn tagelang ohne Wasser und ohne Nahrung in einem dreckigen Loch deponiert. Wie man einem Menschen Tränengas unter die Augen sprüht und ihn zwingt, in die Sonne zu schauen, während man ihn auspeitscht. In der Allgemeinen Charta der Menschenrechte wird Folter verurteilt. Auf dieser Basis ist Togo zu verurteilen. Togo ist ein Land, das sanktioniert werden muss, weil hier, in diesem 21. Jahrhundert, Unschuldige gefoltert werden. Wenn Togo bislang nicht vor Gericht gestellt werden konnte, so liegt das nur daran, dass es für eine offizielle Anklage an stichhaltigen Beweisen mangelt.

Was wir als Femmes Pyramide also fordern, ist die sofortige Beendigung der Drangsalierung von normalen Bürger*innen. In Togo reden wir zwar von Demokratie, aber wir können nicht frei sprechen. Wir sind nicht frei, das zu äußern, was wir als Togoler*innen denken. Wir sind nicht frei zu demonstrieren. Das Recht auf Versammlungsfreiheit wird uns verwehrt. Und wer aufsteht, um zu protestieren, wirst gewaltsam niedergeschlagen, drangsalieren oder sogar getötet. Wir wollen also, dass die Schikanen der Polizei und die Übergriffe auf togoische Bürger*innen aufhören. Das ist im Großen und Ganzen das, was wir togoischen Frauen, die sich in der Gruppierung namens Femmes Pyramide zusammengeschlossen haben, als Forderungen formulieren und hier in Togo anprangern: Elend, Hunger und Speichelleckerei sowie polizeiliche Willkür und eine steigende Zahl an Suiziden. (…).

Zuletzt möchte ich noch ein paar Worte zum Hintergrund der Femmes Pyramide hinzufügen.

Tatsächlich ist Femmes Pyramide aus einem Projekt zur Unterstützung politischer Gefangener hervorgegangen, das den Namen Pyramide erhielt. Und dieses Projekt hat vielen Gefangenen das Leben gerettet. Durch das Pyramide-Projekt habe ich die Geschichte der politischen Gefangenen kennengelernt. Dank dieses Projekts weiß ich, dass es Gefangene gibt, die gefoltert werden. Es ist diesem Projekt zu verdanken, dass ich heute den Mut habe, um Geld zu bitten, um dem Kind eines politischen Gefangenen den Schulbesuch zu bezahlen. Ich würde also sagen, dass das Pyramide-Projekt ein lebensrettendes Projekt für politische Gefangene ist. Diejenigen, die in Lomé im Gefängnis waren, können das bezeugen. Du wirst gefangen genommen und weißt monatelang nicht, wo du bist. Und was isst du in dieser Zeit im Gefängnis? Wie wirst du medizinisch versorgt? Aber mit dem Pyramide-Projekt ist es heute so, dass, wenn man dich erwischt, auch wenn deine Eltern nichts davon wissen, das Projekt alles tut, um herauszufinden, wo und unter welchen Bedingungen du festgehalten wirst, und sie werden es sich zur Aufgabe machen, deine Familie zu informieren. (…).

Viele sagen, die Femmes Pyramide seien von der Partei ANC (“Alliance Nationale pour le Changement”), aber das ist falsch. Ich habe keine politische Farbe, ich bin kein Mitglied einer politischen Partei. Ich bin da, wo es nötig ist. Es ist jedoch richtig, dass viele Frauen, mit denen wir zusammenarbeiten, vom ANC sind. Wir brauchen diese Frauen, die die Sache des Landes vorantreiben. Und wenn es die Frauen des ANC sind, die kommen, werden wir sie nicht vertreiben! (…) Alle Frauen, die sich freiwillig melden, sind willkommen. Das Regime kennt unsere Schwäche und spielt damit. Nur wenn wir diese Form des Sektierertums überwinden, werden wir alle zusammenkommen. Und ich versichere Ihnen, dass das Regime in kurzer Zeit am Boden liegen wird. Aber wenn wir uns hier gegenseitig auffressen, werden sie weiter an Macht gewinnen und wir werden sterben und an Macht verlieren.