Dezember 2018 | "Über 50 Jahre, das reicht!": Gespräch mit Zak Samirou zur aktuellen Lage in Togo
Das Gespräch ist erstmalig in unserer 4-seitigen taz-Beilage im Dezember 2018 *erschienen.”
Seit über 50 Jahren befindet sich das westafrikanische Land Togo durchgehend im eisernen Griff eines einzelnen Familienclans. Als 2005 Diktator Gnassingbé Eyadáma starb (im Übrigen ein enger Freund des ehemaligen CSU-Ministerpräsidenten Franz-Joseph-Strauß), erklärte das Militär seinen Sohn Faure Gnassingbé zum neuen Staatspräsidenten. Erst auf internationalen Druck hin trat dieser zurück und machte den Weg für Neuwahlen frei. Doch Faure Gnassingbé verhielt sich genauso skrupellos wie sein Vater: Bei Protesten anlässlich der gefälschten Präsidentschaftswahlen im April 2005 starben mindestens 800 Menschen durch Sicherheitskräfte. Vor diesem Hintergrund kommt es in dem westafrikanischen Land immer wieder zu Massendemonstrationen. Der jüngste Protestzyklus hat im August 2017 begonnen und hält trotz massiver Repression bis heute an. Afrique-Europe-Interact unterstützt die Proteste, unter anderem hat die europäische Sektion unseres Netzwerks im April 2018 in Berlin vor der togischen Botschaft und dem deutschen Außenministerium demonstriert. Zudem haben mehrere Mitglieder von Afrique-Europe-Interact im Oktober 2018 am 10. Geburtstag der in Sokodé im Norden Togos verankerten “Assoziation der Abgeschobenen Togos” (ATE) teilgenommen. In diesem Zusammenhang konnten wir auch mit Zak Samirou von der ATE über die politische und soziale Situation in Togo sprechen. Das Interview hat Akouvi Kouevi geführt, die seit über 15 Jahren in Deutschland lebt, ursprünglich aber ebenfalls aus Togo kommt.
Wie erlebst du die gegenwärtige soziale und politische Krise in Togo?
Nach dem Beginn des Aufstandes hatte sich die Situation der Bevölkerung wegen der allgemeinen Repressionsmaßnahmen akut verschlechtert. Man konnte sich nicht frei bewegen und zur Arbeit gehen, weil man immer befürchten musste, verprügelt oder festgenommen zu werden. Viele Bauern und Bäuerinnen trauten sich nicht auf ihre außerhalb der Städte bzw. Dörfer gelegenen Felder. So konnten die Ernten nicht eingebracht werden, was zur Folge hatte, dass die Preise für Lebensmittel explodiert sind. Beispielsweise kostet ein Kilo Bohnen heute 1.500 FCFA, vor dem Aufstand waren es nur 800 FCFA – und das bei einem durchschnittliche Monatseinkommen von 72.000 FCFA, was etwa 110 Euro entspricht. Und auch die Händler*innen leiden darunter, weil weniger gekauft wird. Teilweise wurden Märkte sogar geschlossen.
Gehen die Proteste denn weiter?
Ja und nein. Seit sich die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO in die Verhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition eingeschaltet hat, sind die Demonstrationen zurückgegangen und damit auch die alltägliche Repression. Aber die Preise sind trotzdem nicht gefallen, das wird wohl erst nach der nächsten Ernte passieren.
Du bist in der Lehrer*innengewerkschaft aktiv, wie sind eure Erfahrungen?
Aufgrund unserer Streiks zwischen September 2017 und Mai 2018 werden unsere Gehälter zwar wieder regelmäßig gezahlt, aber die vereinbarte Gehaltserhöhung wurde von der Regierung einfach nicht umgesetzt. Gleiches gilt für die vereinbarten Verbesserungen im Schulalltag. Vorgesehen war 300.000 bis 600.00 FCFA für einzelne Schulprojekte. Doch die verantwortlichen Schuldirektor*innen haben sich den Großteil der Gelder einfach in die eigene Tasche gesteckt.
Ähnliches habe ich aus dem Gesundheitswesen gehört: Die von der Regierung finanzierten Budgets für Krankenhäuser werden unterschlagen. In einem Fall hat eine Krankenhausmitarbeiterin die für die Patient*innen vorgesehenen Milchrationen auf dem Markt verkauft.
Ja, Korruption und private Aneignung öffentlicher Mittel durchziehen die gesamte Gesellschaft von oben nach unten. Aber ich bin mir sicher: Wenn die allgemeinen Lebensverhältnisse besser wären, wenn die Menschen neben ihrem Hauptjob nicht noch auf Nebenjobs angewiesen wären, um über die Runden zu kommen, gäbe es solche Fehlentwicklungen sehr viel weniger. Denn selbst für die Staatsangestellten reichen die Löhne nicht. Ja, selbst in der Region Kara im Norden Togos, wo die Gnassingbé-Familie herkommt und traditionell ihre stabilste Basis hat, steigt die Armut, so dass auch hier Teile der Bevölkerung zunehmend wütend sind.
Was war der Auslöser für den aktuellen Protestzyklus?
Hauptgrund für die Krise ist die Art und Weise, wie das Land verwaltet wird, also der Umstand, dass das Land seit über 50 Jahren von einer einzigen Familie beherrscht wird. Das reicht, das hat die Wut der Bevölkerung ausgelöst. Faure wurde zuletzt 2015 unter dubiosen Umständen gewählt – die Krisenzuspitzung kam jetzt, zwei Jahre später. Doch selbst wenn der Gnassingbé-Clan abgesetzt wird, kann er einen echten Wandel sabotieren, wenn nicht alle Machenschaften aufgearbeitet werden. Das ist in meinen Augen auch der Grund, weshalb sich Faure einem Rücktritt so hartnäckig widersetzt. Denn er will erst die schmutzigen Spuren seines Regims verwischen.
Das Oppositionsbündnis C14 ist bereit, den von der CEDEAO vorgelegten Fahrplan zur Beilegung der Krise zu akzeptieren, aber das Regime verfolgt offensichtlich eine Doppelstrategie: es erklärt sich mit den vorgeschlagenen Maßnahmen einverstanden, setzt sie aber nicht oder nur sehr zögerlich um…
…ja, genau. Das Regime versucht, von der problematischen Nicht-Umsetzung der vereinbarten Reformen abzulenken, indem positive Regierungsprojekte herausgestellt werden wie zum Beispiel die Wasserversorgung in irgendeinem x-beliebigen Dorf. Grundsätzlich muss man wissen, dass die Situation in Togo sich in einem wesentlichen Punkt von der in anderen Ländern unterscheidet. In kaum einem anderen Land ist die Armee so eng mit dem Regime verbunden wie in Togo. Widerstand seitens der Armee ist praktisch unmöglich. Es gibt viele Militärs, die inhaftiert sind, weil sie Sympathien mit den Demonstrationen gezeigt haben. Ein Regimewechsel wie 2014 in Burkina Faso ist in Togo nicht vorstellbar. Daher war die Opposition auch bereit, die Vorschläge der CEDEAO für Reformen und Neuwahlen zu akzeptieren und somit ihre Hauptforderung nach einer sofortigen Absetzung von Faure Gnassingbé fallen zu lassen.
Wie bewertest du den Einfluss der EU auf die Krise in Togo?
Die Botschafter Frankreichs und Deutschlands unterstützen das aktuelle Regime. Der deutsche Botschafter hat sich sogar für die Durchführung von Wahlen ohne weitere Vorbedingungen ausgesprochen, was einen Affront gegen die Opposition darstellt. Denn in einer Diktatur kann es keine normalen Wahlen geben, solange der Diktator nicht abgetreten ist.
Welche Aufgaben siehst du für die Diaspora?
Von Außen sieht man manchmal mehr als von Innen. Bisweilen hat die Diaspora auch mehr Informationen als wir hier. Auf jeden Fall hat die Diaspora zur Stimmung beigetragen, dass das Gnassingbé-System weg muss. Opposition und Diaspora müssen jetzt beweisen, dass sie in der Lage sind, intelligent und solidarisch vorzugehen. Denn sollte das Regime bei den Präsidentschaftswahlen 2020 wieder gewinnen, wäre alles auf Jahre verloren…