31. Januar 2017 | Berlin: Protestkundgebung vor der malischen Botschaft (Berichte, Bilder, Aufruf)
Starkes Signal an die malischen Behörden gegen die Unterzeichnung von Reisedokumenten für Abschiebungen und Rückübernahmeabkommen
Am 31. Januar 2017 versammelte sich, trotz eisiger Kälte, eine Menschenmenge von über 100 Personen vor der Botschaft der Republik Mali in Berlin. Vor Ort waren Aktivist_innen der malischen Diaspora aus dem gesamten Bundesgebiet, aufgerufen hatten die Gruppe Djekafo und Afrique-Europe Interact. Außerdem waren Aktivist_innen von „Voix de Migrants“ (Stimme der Migrant_innen), der CISPM (Internationale Koalition der Papierlosen und Migrant_innen), von Lampedusa Hamburg, vom Antira-Netzwerk Sachsen-Anhalt, vom Bündnis gegen Lager Berlin-Brandenburg und anderen antirasistischen Zusammenhängen vor Ort, darunter Menschen aus verschiedenen afrikanischen Ländern (Kamerun, Togo, Niger, Tunesien…), um Solidarität mit den von Abschiebung bedrohten Malier_innen zu zeigen. Zentrale Punkte der Mobilisierung: Protest gegen die Unterzeichnung von Reisedokumenten für Abschiebungen durch die malische Botschaft und die Kollaboration des malischen Staates mit der politischen Agenda der europäischen Staaten, die bestrebt sind, Geflüchtete und Migrant_innen abzuschieben, Rückübernahmeabkommen durchzusetzen und die Reisewege der Migration zu versperren.
Die Menge forderte, mit dem Botschafter Toumani Djimé Diallo persönlich zu sprechen. Dieser kam schließlich heraus und sprach zu den Protestierenden, anschließend ging eine Delegation von 10 Personen mit hinein, um mit ihm von Angesicht zu Angesicht zu diskutieren. Die Delegationsmitglieder brachten die zentralen Beweggründe für ihren Protest und ihre Unzufriedenheit vor und erinnerten den Botschafter an das Schicksal von Mahamadou Dramé und Amadou Ba, die am 6. Januar 2017 mit einem Mini-Charterflug abgeschoben wurden, gefesselt und von der deutschen Polizei misshandelt.
Der Botschafter äußerte sich daraufhin wie folgt:
- Er war sichtlich bemüht, zu betonen, wie sehr er sich im Allgemeinen für den Schutz der Interessen malischer Bürger_innen stark mache und dass er sich sehr wohl über die Diskriminierung bewusst sei, die viele Afrikaner_innen in Europa erfahren.
- Er gab ganz offen zu, dass die Botschaft, und ganz konkret er selbst, Reisedokumente für Abschiebungen unterzeichnen, wenn es sich um abgelehnte Asylbewerber_innen handle. Er bestätigte auch rückhaltlos, dass er selbst die Abschiebe-Dokumente für Mahamadou Dramé und Amadou Ba unterzeichnet habe.
- Er bestand darauf, dass er, wenn eine Person nach den Vorgaben des deutschen Gesetzes abgelehnt sei, keine andere Wahl hätte, als ein Reisedokument zu unterzeichnen, da er an internationale Abkommen gebunden sei, zu deren Einhaltung Mali verpflichtet sei.
- Er ging überhaupt nicht auf das Argument ein, dass Mali als souveräner Staat und seine Botschaften in der Lage wären, die Unterzeichnung von Reisedokumenten zu verweigern und er bestand darauf, dass sich das Problem mit Abschiebungen auf der Ebene des deutschen Rechts und der deutschen Asylpolitik lösen müsse, nicht auf der Ebene der Botschaften und der Behörden Malis. Er beschuldigte sogar deutsche Unterstützer_innen, sie würden „die Malier_innen hierherbringen und benutzen, um vor ihrer Botschaft zu demonstrieren, anstatt vor den zuständigen deutschen Ministerien.“
- Er behauptete, er würde stets mit den deutschen Behörden verhandeln, um Lösungen für diejenigen Menschen zu finden, die von Abschiebung bedroht sind, damit diese ihren Aufenthalt regularisieren können, oder zumindest Zeit gewinnen, um nach Lösungswegen zu suchen.
- Er beschuldigte auch die deutschen Unterstützer_innen, sie würden die Betroffenen ermutigen, sich aktiv gegen eine Abschiebung zu widersetzen. Widerstand würde jedoch nur das Risiko für die betroffene Person verschlimmern, Gewalt zu erfahren und rechtliche Folgen tragen zu müssen.
- Er schlug vor, abgelehnte Personen zu ermutigen, sich einem Programm zur „freiwilligen Rückkehr“ zu unterziehen; dies wäre eine bessere Alternative zu gewaltsamen Abschiebungen. Die Person hätte dann die Möglichkeit, vor der Rückkehr eine Ausbildung zu machen oder Unterstützung zu bekommen, um sich in Mali eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Er behauptete auch, er habe sich bei Mahamadou Dramé und Amadou Ba ebenfalls dafür eingesetzt, sie in ein solches Programm zur „Rückkehrhilfe“ aufzunehmen, diese Bemühung sei jedoch durch deren abrupte vorzeitige Abschiebung zunichte gemacht worden.
- Er behauptete, künftig würden Reisedokumente nicht mehr eigenständig von den Botschaften ausgestellt werden, sondern jede Anfrage um ein Reisedokument würde nach Bamako geschickt und dort unter der Verantwortung des Ministeriums für Auslandsmalier_innen und des Außenministeriums von der malischen Polizei bearbeitet.
- Bezüglich Rückübernahmeabkommen betonte er, Mali habe kein derartiges Abkommen mit der EU unterzeichnet und würde dies auch in Zukunft nicht tun. Wenn es nach ihm geht, müsse man des weiteren klar unterscheiden zwischen „Rückübernahme“, die Mali nicht akzeptieren würde, und Abschiebungen, die seit langem ein unvermeidlicher Vorgang seien.
- Der Botschafter legte auch seine Einschätzung dar, wie ein zukünftiges Abschiebe-Szenario zwischen Europa und Afrika aussehen wird: Die EU schließt mit bestimmten Staaten, die dafür beträchtliche Geldsummen erhalten – dazu gehören v.a. Tunesien, Libyen und Niger – Abkommen ab, in denen diese sich bereit erklären, Abgeschobene egal welcher afrikanischen Herkunft anzunehmen, die mit einem EU-Reisedokument abgeschoben werden. Geht es nach ihm, spielt für das zukünftige Abschiebesystem keine große Rolle mehr, ob Staaten wie Mali bei Abschiebungen kooperieren oder nicht – denn es gäbe ohnehin andere Staaten, die die Erwartungen der EU-Vertreter_innen erfüllen werden. Er behauptete auch, für abgeschobene Personen sei es immer noch besser, wenn sie nach Mali abgeschoben werden statt nach Libyen oder in den Niger: „Wenn man euch nach Mali abschiebt, kann man zumindest mitverfolgen, wie es euch ergeht, und dafür Sorge tragen, dass eure Rechte respektiert werden. Wenn man euch nach Libyen abschiebt, ist es den Libyern absolut egal, was aus euch wird – sie werden euch in der Wüste aussetzen und sterben lassen.“
- Am Ende des Treffens bot der Botschafter der Delegation der Protestierenden an, mit ihm im Kontakt zu bleiben, um besser auf ihre Positionen eingehen zu können. Außerdem solle es in Zukunft regelmäßige Treffen zwischen der Botschaft von Mali in Deutschland und den aktiven Gruppen der malischen Diaspora geben.
Was bedeutet das alles nun für den Kampf gegen Abschiebe-Kollaboration und gegen europäisch-afrikanische Abkommen im Rahmen des Migrationsregimes? Ganz offensichtlich ist die Position des malischen Botschafters Toumani Djimé Diallo, der auf der einen Seite seine Unterstützung für die Sache der malischen Geflüchteten und Migrant_innen hervorhebt, der aber auf der anderen Seite behauptet, er könne sich nun mal nicht weigern, Reisedokumente zu unterzeichnen, nicht sehr überzeugend. Alle seine Aussagen in diesem Zusammenhang zeigen, wie er versucht, seine eigene Verantwortung im System der Abschiebungen zu negieren – würde er sich tatsächlich kategorisch weigern, Reisedokumente zu unterzeichnen, könnten ihn die deutschen Behörden auch nicht dazu zwingen.
Dennoch war es zweifellos eine wichtige Initiative seitens der malischen Aktivist_innen und ihrer Verbündeten, den Botschafter zu treffen und direkt von Angesicht zu Angesicht mit ihren Positionen zu konfrontieren. Die Demo und das Zusammentreffen mit dem Botschafter war ein Beitrag dazu, auf verschiedenen Ebenen Druck auf die malischen Behörden aufzubauen, damit sie ihre Kollaboration mit Deutschland oder anderen europäischen Staaten beenden, die um jeden Preis Menschen abschieben wollen. In Mali, in Frankreich, in Deutschland und überall: Wir müssen weiter auf die Straße gehen und Druck machen, um Abschiebungen zu verhindern und uns der Umsetzung des Valetta-Prozesses entgegenzustellen.
In naher Zukunft wird es auch eine große Herausforderung sein, Strategien zu entwickeln gegen die Bestrebungen der EU, mit immer mehr Staaten, wie Libyen, Niger, Tunesien, Ägypten, Marokko etc. Abkommen abzuschließen, die es ihnen ermöglichen, noch mehr Menschen jeglicher Nationalität abzuschieben, ohne dabei auf die Kooperation von deren Herkunfgtsländern angewiesen zu sein. Die migrationspolitischen Verhandlungen auf EU-Ebene zeigen, dass ein solches Szenario gar nicht weit weg ist.
Bilder von der Demonstration
»Wir wollen keine Handelsware dieser Leute sein« (Interview)
Initiative protestierte vor malischer Botschaft gegen Abschiebungen in das afrikanische Land. Gespräch mit Mohamed Camara. Erschienen in Junge Welt, 01.02.2017. Interview: Gitta Düperthal
Junge Welt: Sie haben am Dienstag vor der malischen Botschaft in Berlin protestiert. Anlass sind Abschiebungen in das Land, vor allem die besonders skandalöse von Amadou Ba und Mamadou Drame am 6. Januar mit einem Charterflug von Düsseldorf nach Bamako. Was ist Ihnen dazu bekannt?
Mohamed Camara: Die Bundespolizei hat das Flugzeug einzig deshalb gechartert, um die beiden nach Mali abzuschieben. Dieser Flug am 6. Januar von Düsseldorf nach Bamako kostete 82.000 Euro, finanziert hat ihn die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Die verfügt für solche Zwecke über einen Sonderetat in Höhe von 66 Millionen Euro pro Jahr. Überlegen Sie mal, welches Bild dabei in der Öffentlichkeit entsteht, wenn solch ein Aufwand betrieben wird, nur um sie, die vermeintlich »Illegalen«, nach Mali zurückzuschicken. Man hätte meinen können, es ginge um Topterroristen oder Schwerstkriminelle. Dabei haben sie nichts verbrochen. Sie waren in Deutschland einer Arbeit nachgegangen, um ihrer Familie etwas Geld nach Hause schicken zu können, damit diese in Mali nicht verarmt. Amadou Ba zum Beispiel lebte seit 13 Jahren in Sachsen-Anhalt, zuletzt war er mit festem Arbeitsvertrag bei einer Hühnchenschlachterei in Merseburg angestellt.
Wie geht es den beiden jetzt?
Sie haben nach ihrer Ankunft in Bamako bei einem öffentlichen Hearing von schweren Misshandlungen während der Abschiebung berichtet. Sie wurden an Fußgelenken, Knien und Händen gefesselt – die Hände zweifach mit Handschellen und Kabelbindern. Zusätzlich seien ihre Oberarme mit einem Gürtel am Körper fixiert worden. In dieser Haltung hätten sie drei Stunden bis zum Abflug warten müssen. Drame habe den ganzen Flug so zugebracht, Ba seien nach einigen Stunden die Fesseln abgenommen worden, hat uns einer der Anwesenden berichtet. Dies verstößt nach Auffassung von Menschenrechtlern gegen das international anerkannte Verbot von Folter. Drame ist verletzt. Beide fühlen sich außerdem schlecht, weil sie gegenüber ihren Familien das Gesicht verlieren, wenn man so mit ihnen umgeht.
Sie demonstrieren gegen den sogenannten Valetta-Prozess, der Hintergrund solch rigoroser Abschiebungen ist. In der Hauptstadt von Malta hatte im November 2015 ein Gipfel stattgefunden, bei dem die Abschottung Europas von Afrika zwischen Staatschefs beider Kontinente Thema war. Was ist seither passiert?
Die Regierenden der EU setzen Mali und andere afrikanische Länder unter Druck, Rückübernahmeabkommen zu unterzeichnen und Reisewege von Migranten zu versperren. Die malische Regierung ist korrupt. Pro Person, die sie nach Mali zurückschieben lässt, erhält sie viel Geld. Das nennen wir Menschenhandel. Die Situation in Mali ist bedrohlich. Jeden Monat gibt es nach bewaffneten Auseinandersetzungen Tote. Doch dazu schweigt die Regierung. Sie unterzeichnet Abkommen, ohne die Bevölkerung nach ihrer Meinung zu fragen. Sie tut es in ihrem eigenen Interesse und dem der Regierenden Europas. Wir wollen keine Handelsware in den Händen dieser Leute sein.
Weshalb lässt sich die malische Regierung darauf ein?
Tatsache ist, dass die Regierenden Europas malischen Politikern und Diplomaten Geld zuschieben. Das Leid dahinter, das dann die Bevölkerung trifft, wenn sie ihre Familien nicht mehr wirtschaftlich unterstützen können, interessiert niemanden. Unsere Gruppe Djekafo, das Netzwerk »Afrique-Europe-Interact« und das »Bündnis gegen Lager Berlin/Brandenburg« fordern eine Abkehr von dieser Politik, die auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, CDU, bei ihrer Afrikareise im Oktober 2016 forciert hat. Die afrikanischen Regierungen fordern wir auf, die Interessen ihrer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gegenüber der EU zu wahren. Das im Protokoll der westafrikanischen Staatengemeinschaften Economic Community of West African States und Communauté économique des Etats de l’Afrique de l’Ouest verankerte Recht auf Bewegungsfreiheit afrikanischer Bürger ist zu schützen.
Mohamed Camara ist Sprecher der Gruppe »Djekafo« (auf Deutsch: »Lass uns reden«), einer Initiative von Malierinnen und Maliern in Deutschland
Aufruf zu der Aktion
Zeit & Ort: 14 Uhr, Treffpunkt: 13:45 Adenauerplatz (U 7)
Wir sind Malier_innen!!! Wir sind Afrikaner_innen !!!!!! Schluss mit der Abschiebung unserer Brüder und Schwestern und mit der Unterzeichnung von Reisedokumenten für A bschiebungen!!! Organisiert von der Groupe Djekafo – mit Unterstützung von Afrique-Europe-Interact
Die Verhältnisse zwingen uns dazu, unser Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, ohne die Politiker_innen, die nur an ihren eigenen Kopf und ihre Brieftasche denken. Sie haben mit unaufhörlichen Lügen unser Vertrauen missbraucht. Unsere malische Staatsführung, der Präsident, der Minister und der Botschafter, sie alle haben uns betrogen. Unser Leben und unsere Ansichten zählen überhaupt nichts für diese Leute. Das einzige, was zählt ist Geld. Sie nutzen uns aus, um ihre eigenen Interessen zu befriedigen. Angesichts von all dem, was in unserem Land passiert, sehen wir uns verpflichtet, uns gegen diese korrupten Führungspersonen zu erhe ben, die sich „Patriot_innen“ nennen.
Wir rufen alle malischen und afrikanischen Brüder und Schwestern auf zu einer Demonstration am 31. Januar vor der malischen Botschaft.
Die wichtigsten Ziele dieser Demo sind:
- Schluss mit Menschenhandel.
- Rücktritt des Botschafters, ohne wenn und aber!!
- Schluss mit Abschiebungen!!
Die Gründe sind gerechtfertigt:
- Sie arbeiten mit den deutschen Behörden zusammen, indem sie Reisedokumente unterschreiben für die Abschiebung unserer Schwestern und Brüder und indem sie Identifizierungen von Personen durchführen, manchmal nur per Telefon. Das alles machen sie für Geld.
- Wir fordern außerdem vom Regierungschef, dass keine Beamt_innen mehr geschickt werden, die Malier_innen identifizieren, um sie nach Mali abschieben zu können.
- Wir haben Beweise für die Korruption und die Lügen unserer Staatsführung (Telefonmitschnitte und Zeug_innenaussagen), wir haben auch immer wieder Briefe geschrieben, auf die keine Antwort kam.
- Wir wollen die Freilassung unserer Brüder und Schwestern, die überall in Deutschland in Gefängnissen sitzen.
- Wie kann es gehen, dass ein und derselbe Mann gleichzeitig als Botschafter in 11 Ländern eingesetzt ist?
- Der Botschafter ist nie da für seine Landsleute, die Probleme haben. Nie können wir mit ihm reden, weil er ständig abwesend ist, und er behauptet, er wäre für uns da.
Uns reicht es mit korrupten Führungspersonen, wir wollen Leute, die das Rückgrat haben, NEIN zu den Europäer_innen zu sagen, statt sie anzubetteln. Wir wollen malische Lösungen für malische Probleme.
Die doppelzüngige Politik Deutschlands zeigt sich darin, dass die Regierung einerseits beschlossen hat, noch mehr Soldat_innen für die Militärmission in Mali zu schicken – und gleichzeitig schiebt sie Geflüchtete dorthin ab!
Wir fordern die sofortige Beendigung jeglichen Versuchs, Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Mali, sowie anderen afrikanischen Ländern, abzuschließen, die sofortige Beendigung des „Valetta-Prozesses“ und Schluss mit Abschiebungen!
Nein zum Menschenhandel mit Migrant_innen!
Was zu viel ist, ist zu viel!
Groupe Djekafo