Dezember 2013 | Am Abgrund: EU verharmlost massive Repression in Togo

Dezember 2013, erstmalig veröffentlicht in der Ausgabe Nr. 4 der Zeitung von Afrique-Europe-Interact

Togo in den frühen 1990er Jahren: In allen Teilen des Landes erheben sich Menschen gegen die seit über 20 Jahren herrschende Diktatur unter dem Präsidenten Gnassingbé Eyadéma. Es geht um Demokratisierung, um politische Freiheit. Aber auch darum, dass sich für viele Menschen in Togo und in Westafrika die Lebensbedingungen in diesen Jahren drastisch verschlechtern: Infrastruktur wie die staatliche Eisenbahn wird kaputt privatisiert, wodurch zahlreiche Jobs im öffentlichen Sektor verloren gehen. Die seitens der EU erzwungene Abwertung der Regionalwährung Franc CFA um 50 Prozent verschärft den wirtschaftlichen Niedergang und treibt die Preise nach oben. Zwar wird “Demokratisierung” – verstanden als Multi-Parteien-System nach westlichem Vorbild – von den Regierungen Europas und Nordamerikas für Togo und andere Diktaturen in Afrika gefordert, doch außer der temporären Aussetzung von Entwicklungshilfekrediten werden die sozialen Bewegungen kaum unterstützt. Derweil fordern tausende Togoles_innen auf der Straße den Sturz des Regimes. Staatsangestellte, Arbeiter_innen und kleine Dienstleister_innen treten im November 1993 in einen unbefristeten Generalstreik, der acht Monate dauert. Am Ende stehen formale Demokratisierungszugeständnisse, die Konsolidierung der Macht und die Niederschlagung der Widerstandsbewegung – unterstützt durch die Präsenz französischer Militärverbände.

Die Kämpfe der 1990er- und 2000er-Jahre enden für viele Togoles_innen mit erzwungenem Exil – mit Flucht nach Ghana oder Benin, und für einige bis nach Deutschland. Politisches Asyl erhalten indes nur die wenigsten – viele kämpfen als Flüchtlingsaktivist_innen jahrelang gegen Abschiebungen und für ein Bleiberecht. Einige schaffen es – ihre monatlichen Rücküberweisungen sind bis heute für unzählige Familien in Togo eine wichtige Existenzgrundlage, gerade in Zeiten, wo von der Regierung oder staatlicher “Entwicklungs”hilfe wenig zu erwarten ist. Für viele andere jedoch endet die Suche nach einem sicheren und besseren Leben in Deutschland mit der Abschiebung, und das in ein Land, wo nach wie vor die gleichen Seilschaften die Macht innehaben, wo viele nach wie vor nicht sicher sind und wo sich die wirtschaftliche Situation der meisten Menschen in den letzten Jahren stetig verschlechtert hat.

Togo 2013: Die Regierung unter Faure Gnassingbé, Sohn des mittlerweile verstorbenen Ex-Diktators Eyadéma Gnassingbé, wird ein weiteres Mal wieder gewählt, seitens der EU wird attestiert, dass die Wahl im Großen und Ganzen korrekt verlaufen sei. Was in Europa kaum auf Interesse stößt: Der Wahlkampf ist begleitet von heftigen Protesten und sozialen Auseinandersetzungen. Immer wieder streiken Arbeiter_innen, Gesundheitsangestellte und Lehrer_innen – gegen Unterbezahlung und dafür, überhaupt ihren Lohn zu erhalten. Es gibt Streiks und Protest an Schulen und Unis. Polizei und Armee reagieren wie gehabt mit Repression gegen soziale Bewegungen und gegen jene Teile der Opposition, die sich nicht von der Regierung vereinnahmen lassen. Demonstrationen und Streiks werden regelmäßig mit Tränengas auseinandergetrieben. Im April 2013 werden zwei Jugendliche bei Schüler_innenprotesten in Dapaong von der Polizei erschossen. Am 10. und 11. Januar brennen nacheinander die großen Märkte von Kara und Lomé nieder. Über 30 Aktivist_innen der überparteilichen Oppositionsplattform “Collectif Sauvons le Togo” (CST) werden wegen angeblicher Brandstiftung festgenommen und angeklagt; Etienne Yanakou von der Oppositionspartei ANC stirbt am 14. Mai 2013 im Gefängnis. Die Umstände legen nahe, dass die Marktbrände von Angehörigen der Armee und Personen aus dem Umfeld der Regierungspartei UNIR/RPT gelegt wurden – um die aktivsten Teile der Opposition zu kriminalisieren und zu zerschlagen, aber auch, um die Märkte als Basis der widerständigen Marktfrauen zu zerstören und um begehrten innenstädtischen Raum für Immobiliengeschäfte frei zu machen. “Au pays, ca ne va pas – hier im Land ist nichts in Ordnung”, lautet die Sicht vieler Togoles_innen zur Gesamtsituation. Von einer echten Demokratisierung, mit der unter anderem Deutschland die Wiederaufnahme der knapp zwei Jahrzehnte eingefrorenen Entwicklungszusammenarbeit begründet, kann also keine Rede sein. Viele sehen daher einzig in der Migration einen Ausweg. Teils nach Europa, vor allem aber in andere westafrikanische Länder, begleitet auch hier von Bootstragödien, etwa im März 2013, als über hundert Menschen im Golf von Guinea ertranken.