Positionspapier des Flüchtlingsrats Sachsen-Anhalt (12. März 2013)
Zum Runderlass des Ministeriums für Inneres und Sport mit Leitlinien zur Flüchtlingsunterbringung vom 15.1.2013 (der Erlass kann weiter unten als PDF-Datei runtergeladen werden).
Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt begrüßt den Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport mit Leitlinien für die Unterbringung von nicht daueraufenthaltsberechtigten Ausländer_innen und deren soziale Betreuung als ersten Schritt in die Richtung einer Verbesserung der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Für diese Personengruppe besteht eine besondere Fürsorge, die verbindliche Standards der Unterbringung und sozialen Begleitung erfordert. Das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz vom 18.Juli 2012 ausdrücklich entschieden, dass es keine verschiedenen Standards im Existenzminimum von deutschen Staatsbürger_innen und Ausländer_innen geben darf und sich hierbei auf das Grundgesetz Art.1 berufen. Daraus muss geschlossen werden, dass auch gleiche Standards der Unterbringung für Deutsche und Ausländer_innen gelten.
In diesem Sinne begrüßen wir den Erlass, verweisen aber gleichermaßen darauf, dass die Leitlinien keine Rechtsverbindlichkeit darstellen. Insofern besteht hier für die Umsetzung die Notwendigkeit einer gesetzlichen Verankerung z.B. im Landesaufnahmegesetz, um eine substantielle Veränderung der gegenwärtigen Unterbringungssituation zu erreichen.
Der Erlass sieht Ausnahmen von der Regelunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften bei gesundheitlichen und psychischen sowie anderen besonders schwerwiegenden Gründen unter 1.1. vor und die Regelunterbringung in Wohnungen für Personen mit humanitären Aufenthaltstiteln (1.2.3) und für Familien (1.2.1). Das weist in eine positive Richtung. Zum Teil wird dies schon in Landkreisen und Städten von Sachsen-Anhalt praktiziert. Darüber hinaus sieht der Erlass die Möglichkeit der Wohnungsunterbringung nach drei Jahren nach Abschluss des Asylverfahrens vor. (1.2.2) Diese Frist sehen wir als zu lang an. Zum einen dauern Asylverfahren zwischen 6 Monaten und mehr als einem Jahr. Hinzu kommen noch mögliche anhängige Widerspruchs- und Klageverfahren. Zum anderen hat bereits eine zentrale Unterbringung in der ZAST Halberstadt stattgefunden. Hier sehen wir die Gefahr einer Dauerunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, wie sie bereits in der Praxis verbreitet auftritt. Darüber hinaus sind drei Jahre Aufenthalt in Deutschland kein Kurzaufenthalt. Integrationsmöglichkeiten und Chancen auf gesellschaftliche Einbindung werden so nicht gefördert. Nur in einer dezentralen Wohnungsunterbringung in urbanen Strukturen mit gesellschaftlicher Anbindung können Isolation, Fremdbestimmung, Diskriminierung und Sicherheitsrisiken verhindert werden. Eine Schließung von Unterkünften in abgelegener Lage und mit kasernenartigem Charakter hat mit Bezug auf 2.1 aus unserer Sicht bald zu erfolgen.
Unter 1.2.5 wird Wohnung als abgeschlossene Raumeinheit definiert. Es fehlt jedoch weiterhin die Definition der dezentralen Unterbringung als Wohnung inmitten der Mehrheitsgesellschaft. Eine verordnete Unterbringung in Wohnungen in Wohnblöcken mit ausschließlich Ausländer_innen setzt unserer Meinung nach den Charakter einer Gemeinschaftsunterbringung mit den ihr verbundenen Eigenschaften und Folgen fort und stellt keine qualitative Verbesserung dar. Die jüngste politische Entwicklung mit rassistischer Stimmungsmache gegen Flüchtlinge durch die NPD in Vockerode belegt diese Einschätzung.
Besonders problematisch sind die Ausschlusskriterien von der Wohnungsunterbringung unter 1.2.2 wie Straftaten, mangelnde Identitätsklärung und fehlende Mitwirkungspflichten. Seit je her bildet die Personengruppe mit ungeklärter Identität und Duldung die große Gruppe der Bewohner_innen in Sammelunterkünften mit fünf bis mehr als zehn Jahren Aufenthalt. Hier sehen wir einen deutlichen Nachbesserungsbedarf also die Abschaffung der Ausschlusskriterien, um eine wirksame Veränderung in der Praxis zu erzielen. Das bedeutet auch, dass besonders schutzbedürftige Personen generell und sofort in Wohnungen untergebracht werden. Nach Schätzungen sind 40% der Asylsuchenden traumatisiert. Ein Verfahren der Früherkennung und Begleitung sollte in diesem Zusammenhang einerseits im Begleitungskonzept wiederzufinden sein sowie gleichermaßen die Unterbringungssituation bestimmen. Grundsätzlich wirkt sich die Gemeinschaftsunterbringung negativ auf den psychosozialen Zustand der Personengruppe aus, bereits Traumatisierte sind darüber hinaus besonders gefährdet.
Positiv ist die Reduzierung der Kapazitäten unter 2.4. Dennoch ist der Umfang von 150 weiterhin zu groß. Anonymität, Kommunikationsprobleme und Isolation wie Stigmatisierung von außen bleiben bestehen. Die Aufstockung um 50 Plätze aus migrationspolitischen Gründen ist nicht akzeptabel, weil damit der Status quo erhalten bleibt. Auch ist die Vermischung von sozialrechtlichen und asylpolitischen Fakten bei der Frage der Unterbringung nicht nachvollziehbar. Die Festlegung von 7qm pro Person ist unannehmbar und steht einer menschenwürdigen Unterbringung entgegen, ebenso die Belegung von vier Personen pro Zimmer.
Die Einrichtung von Kinder- und Aufenthaltsräumen sowie Beratungsräumen, Krankenzimmern in Anlage 1 ist zu begrüßen. Eine Ausstattung mit Computerplätzen und Internetzugang muss aber Teil der Grundausstattung sein. Positiv sind weitere Vorgaben für die Ausstattung der Wohnräume, Küchen und Grundversorgung. Hier sehen wir es als unabdingbar an, dass öffentliche Aushänge mehrsprachig sind und Informationen über die gesonderten Beratungsstellen, kulturelle und soziale Angebote und Aktivitäten (Volkshochschule, Sprachkurse, religiöse Einrichtungen, Sportinstallationen etc.) der Nachbarschaft und näheren Umgebung bekannt gemacht werden.
Die Anwendung von Grundsätzen zur sozialen Beratung und Betreuung bei den Ansprüchen an die Kompetenzen von Heimleitung und Personal sowie Qualifizierungsmaßnahmen in der Anlage 2 ist positiv zu sehen, da sie Wert auf berufliche Qualifikation in Sozialpädagogik und Sozialarbeit, Kenntnisse des Asylverfahrens, Aufenthalts- und Sozialgesetzes, Fremdsprachen und interkulturelle Kompetenz legt, um eine professionelle Begleitung der Flüchtlinge zu ermöglichen. Allerdings sind die beruflichen Qualifikationen prioritär und nicht mit Arbeitserfahrungen zu ersetzen. Auch muss aus unserer Sicht die Aufstockung der personellen Besetzung erfolgen, weil ein Personalschlüssel von 1:100 den Anforderungen der täglichen Beratungs- und Begleitung nicht genügen kann.
Zu begrüßen ist das Monitoring unter Punkt 4. Zu ergänzen ist hier auch die Form und damit Nachvollziehbarkeit der Durchführung des Monitoring sowie die Form der Rechenschaftspflicht der Heimbetreibenden gegenüber dem Landkreis und dem Land und transparente Ausschreibungen für Betreibende und Unterbringungsverträge.
Der Erlass lässt offen, ob und inwieweit die Leitlinien auch für die ZAST Halberstadt gelten und wie die Veränderungen angestrebt und umgesetzt werden. Diesbezüglich sehen wir einen deutlichen Klärungs- und Ergänzungsbedarf der neuen Vorgaben.
Magdeburg 1.März 2013