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Unerwünscht im Transit? (taz-Beilage von Afrique-Europe-Interact,08.12.2012)

Subsahara-AfrikanerInnen in Tunesien und Marokko

Migration war bis zur Revolution in Tunesien ein Tabuthema. MigrantInnen (sowohl TunesierInnen als auch TransitmigrantInnen aus Subsahara-Afrika) und ihre UnterstützerInnen wurden spätestens seit 2004 kriminalisiert und verschwanden in geheimen Haftanstalten – womöglich einer der Gründe, weshalb Migrationsrouten aus Subsahara-Afrika Richtung EU vor allem über Libyen und Marokko verliefen. Seit den Aufständen und dann dem NATO-Krieg in Libyen begann aber eine massenhafte Flucht aus Libyen in die Nachbarländer.

Tunesien hat 2011 fast eine halbe Million Flüchtlinge aus Libyen aufgenommen. Dabei wurden die LibyerInnen überwiegend in Familien aufgenommen, die von ihren Regierungen meist schnell zurückgeholten ArbeitsmigrantInnen aus Asien in Hotels. Demgegenüber sind Subsahara-AfrikanerInnen – darunter legale „GastarbeiterInnen“ und StudentInnen genauso wie „illegale“ TransitmigrantInnen – fast alle in das am Rande der Wüste gelegene Flüchtlingslager Choucha gebracht worden, das vom UNHCR im Februar 2011 eröffnet wurde und anfangs bis zu 20.000 Menschen umfasste. Die Mehrheit von ihnen wurde in ihre Herkunftsländer wie Mali, Gambia oder Kamerun abgeschoben. Andere riskierten aufgrund der unerträglichen Bedingungen im Lager die lebensgefährliche Überfahrt per Boot nach Europa. Etwa 4.000 stellten Asylanträge, davon wurden inzwischen knapp 2.000 in der EU, Australien, Kanada und den USA aufgenommen („Resettlement“). Im November 2012 lebten noch über 2.000 Menschen im Lager Choucha. Dass Subsahara-AfrikanerInnen ins Lager mussten und kaum privat aufgenommen wurden, ist einerseits Ausdruck der EU-Migrationspolitik: Durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit und militärische Kontrolle soll die Weiterwanderung nach Europa verhindert werden. Andererseits zeigt es auch einen latenten Rassismus in Tunesien: Subsahara-AfrikanerInnen hätten eine „andere Kultur“, seien oft keine Moslems, brächten Prostitution, Krankheiten wie AIDS etc. Ein solcher Rassismus wird – ähnlich wie in Europa – durch die Ausgrenzung und Kriminalisierung, verstärkt zum Beispiel durch irreguläre Arbeit, verknüpft mit Auseinandersetzungen um Arbeitsplätze und Handelsgeschäfte. So kam es zu Protesten in der lokalen Bevölkerung, als vom UNHCR zu Beginn Jobs im Lager nur an EuropäerInnen vergeben bzw. später lokale MitarbeiterInnen zugunsten der Beschäftigung von Flüchtlingen entlassen wurden. Im Mai 2011 gab es sogar pogromartige Angriffe auf Flüchtlinge, als diese aus Protest eine zentrale Straße blockierten und somit den lokalen Handel lähmten.

Im Lager entstand eine Selbstorganisation der Flüchtlinge, zudem fanden Sit-ins und Proteste statt. Dadurch und mit Hilfe unterstützender Aktionen in Tunesien, aber auch hierzulande konnte immerhin durchgesetzt werden, dass 201 Flüchtlinge aus Choucha Anfang September 2012 in Deutschland aufgenommen wurden. Aktuell sind die noch in Choucha verbliebenen Flüchtlinge in einer verzweifelten Lage: Der UNHCR versucht, das Lager nach und nach zu schließen, unter anderem durch Einstellung der Versorgung, ohne dass es Lösungen insbesondere für die etwa 300 Menschen gibt, deren Asylanträge abgelehnt oder gar nicht mehr angenommen wurden, darunter auch Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wie Somalia und Diktaturen wie Eritrea. Zusammen mit in Deutschland angekommenen und in Choucha zurückgebliebenen Flüchtlingen sowie AktivistInnen in Tunesien, Mali und Niger versucht Afrique-Europe-Interact deshalb, Druck auf den UNHCR und Regierungen auszuüben, insbesondere für mehr und schnellere Aufnahmen in Europa.

Kontakte bestehen auch zu Subsahara-AfrikanerInnen in Tunis, die berichten, dass ihnen gegenüber nach der Revolution mehr Offenheit entstanden sei, es nun aber erneut schlimmer werde, nicht nur wegen wieder zunehmender Polizeikontrollen und Verhaftungen, sondern auch als Folge der gewalttätigen Aktionen von Salafisten und ihrer islamistischen Moral-Kampagne. Rückschiebungen in Nachbarländer scheint es aber nicht mehr zu geben. Anders in Marokko: Dort sind Razzien und Deportationen an die algerische Grenze wesentliches Mittel gegen „illegale“ MigrantInnen, oft auch gegen vom UNHCR anerkannte Flüchtlinge, die keine Aufenthaltspapiere in Marokko bekommen. Marokko wird von der EU als guter Wachhund gelobt, und bei erneuten Fluchtbewegungen (etwa im Sommer 2012 in die spanischen Enklaven Ceuta und Mellila) wächst der Druck aus Europa. Der marokkanische Staat reagiert darauf mit verschärfter Repression gegen MigrantInnen, von denen viele schon seit über 10 Jahren in Marokko leben. Kriminalisierung ihrer Unterstützung bis hin zum Verbot des Transports (vermeintlich „illegaler“) Schwarzer per Bahn, Bus und Taxi sowie rassistische Hetze in den Medien gefährden das Leben von MigrantInnen in den armen Stadtvierteln und in den Wäldern (offizielle Lager wie Choucha existieren in Marokko nicht). Aber es gibt auch zunehmenden Widerstand, unter anderem durch die Gründung der ersten Gewerkschaft von ArbeitsmigrantInnen in Marokko (ODT) und von Selbstorganisationen. Der Koordinator einer dieser Organisationen, Laye Camara, wurde am 21. Oktober mit fadenscheiniger Begründung verhaftet und vor Gericht gestellt. Erst aufgrund internationaler Proteste wurde er vorläufig wieder freigelassen.

Das marokkanische Magazin Maroc Hebdo hat jüngst mit einem rassistischen Titelblatt „Le péril noir” (“Die schwarze Gefahr”) heftige Proteste in Marokko ausgelöst: Verrate ausgerechnet ein Land mit islamischer Regierungspartei Prinzipien wie Toleranz und Gastfreundschaft? Früher habe es geheißen, so eine Leserzuschrift, Marokko sei ein Baum mit Wurzeln in Afrika und Zweigen, die sich nach Europa ausstreckten. Europa habe aber diesen Zugehörigkeitswunsch abgelehnt und den Baum damit seiner Zweige beraubt. Und seine Wurzeln habe es auch nicht mehr, weil es die Tür zur Afrikanischen Union zugeschlagen habe. Es sei also an der Zeit, dass sich das Land wieder darauf besinne, dass es zu Afrika gehöre, statt Schwarze als Fremde abzulehnen! Dem kann fraglos nur zugestimmt werden.
Weitere Infos zu Choucha auf unserer Webseite und unter: www.voiceofchoucha.wordpress.com