Sackgasse am Ende eines gefährlichen Weges (Südwestpresse)
Krieg und Elend haben tausende Schwarzafrikaner in arabische Länder getrieben. Jetzt stecken sie fest mit hunderttausenden Flüchtlingen an den Grenzen zu Libyen. Die Perspektivlosigkeit schürt die Gewalt.
“Keiner hilft uns. Wir wollen weg”, rufen hunderte von Flüchtlingen, “wir gehen zurück nach Libyen.” Von dort wollen sie per Boot nach Italien. Frustriert und wütend formieren die Schwarzafrikaner einen Protestzug durch das Lager Choucha, das sich auf tunesischem Boden einige Kilometer hinter der libyschen Grenze befindet. Es ist eines von vier Auffangcamps in der Nähe des Grenzübergangs Ras Jdir, über den seit Beginn des Libyenkrieges schon mehr als 430 000 Flüchtlinge nach Tunesien gekommen sind. Insgesamt sollen seit Beginn des Konflikts bereits 800 000 Menschen aus dem Land geflohen sein.
Nach tagelangen Protesten und wachsenden Spannungen im Lager, in dem zuletzt etwa 4000 Schwarzafrikaner lebten, die nicht in ihre Heimatländer zurückkönnen, gerät die Situation außer Kontrolle: Zelte gehen in Flammen auf, möglicherweise wegen Brandstiftung. Mit Barrikaden wird die nahe Landstraße blockiert, was die örtliche tunesische Bevölkerung, die vom Grenzverkehr lebt, erzürnt und zu Gewalt zwischen beiden Gruppen führt.
Tunesische Soldaten greifen ein. Es fallen Schüsse. Chaos und Panik brechen aus. Die Bilanz dieser Explosion der Gewalt im Lager Choucha: Mindestens sechs Tote, Dutzende Verletzte, ein zum Teil niedergebranntes, verwüstetes, geplündertes Lager. Eine Flüchtlingsgemeinde, die sich von Gott und der Welt verlassen fühlt. “Wo ist Europa”, rufen die Menschen, die zwischen den Resten des Camps herumirren. Darunter sind ganze Familien mit Frauen und Kindern.
Hunderte schwarzafrikanische Flüchtlinge – die meisten aus Krisenstaaten wie Somalia, Sudan, Eritrea oder der Elfenbeinküste – versuchen nun, trotz blutiger Kämpfe und Schikanen durch das libysche Militär, nach Libyen zurückzukehren, berichten Helfer. Von der libyschen Küste aus wollen die heimatlosen Migranten, wie es vor ihnen schon viele andere versuchten, per Boot übers Mittelmeer nach Südeuropa zu kommen.
Die Bootsflüchtlinge seien sich über das hohe Risiko der Überfahrt nach Süditalien bewusst, heißt es beim UNHCR in Genf. “Aber sie haben das Gefühl, dass sie nichts zu verlieren haben. Ein Mann aus Eritrea sagte uns, dass er lieber bei dem Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, sterben wolle, als weiter in Gefahr zu leben.” Europa müsse sich daher darauf einstellen, dass noch tausende Armuts- und Krisen-Migranten übers Mittelmeer kommen werden.
Den meisten jener über 430 000 Flüchtlinge, die in den letzten drei Monaten aus Libyen über die tunesische Grenze kamen, konnte geholfen werden. Darunter waren 50 000 tunesische Gastarbeiter, die in ihre Heimat zurückkehrten. Etwa 200 000 Libyer, von denen viele in großer Solidarität beim tunesischen Nachbarn von Familien aufgenommen wurden. Und 180 000 Angehörige aus Dritt-Staaten, wie etwa Ägypten, von denen die meisten inzwischen ebenfalls dank internationaler Luft- und Boottransporte wieder nach Hause kamen.
Tausende Schwarzafrikaner aus den Kriegs- und Krisenländern Somalia, Eritrea und der Elfenbeinküste können jedoch nicht in die Heimat zurückkehren. Für mindestens 6000 dieser zwischen die Fronten Geratenen gebe es bisher keine Lösung, obwohl viele von ihnen nach Angaben des UNHCR einen Flüchtlingsstatus oder klare Asylgründe geltend machen können. Man habe bisher trotz mehrerer Hilfsappelle erst 800 Aufnahme-Zusagen aus Europa und den USA bekommen – das reiche nicht aus, um diese humanitäre Krise zu bewältigen.
Die deutsche Flüchtlings-Organisation Pro Asyl appellierte an die Bundesregierung, “sich auf europäischer Ebene für eine sofortige Aufnahme von Flüchtlingen aus Choucha einzusetzen”.