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Interviews mit Überlebenden von Bootsunglücken in Choucha

Die Tunesien-Delegation von Afrique-Europe-Interact und Welcome to Europe hat im Flüchtlingslager Choucha zahlreiche Flüchtlinge getroffen, die in den letzten Wochen Bootsunglücke auf dem Weg nach Europa überlebt haben. Mit vielen von ihnen hat unsere Delegation Video-Interviews gemacht – an dieser Stelle sind die mündlichen Antworten von drei Überlebenden dokumentiert:

INTERVIEW NR 1.

Ich bin Somalier. Ich bin seit Ende Dezember 2006 weg von Somalia. Ich war unterwegs auch 10 Tage in Kenia. Dann über Uganda. Dann hab ich versucht über den Sudan reinzukommen. Ich hab ungefähr drei Monate im Sudan gearbeitet. Ende 2007 bin ich durch die Wüste von Sudan nach Libyen rein. Ich war 13 Tage in der Wüste. Dann wurde ich vom libyschen Militär gefasst und zurückgeschoben an die Grenuze von Sudan. Dann hab ich es wieder versucht nach Libyen reinzukommen. Dann wurde ich ein Jahr ins Gefängnis gesteckt. Nach einem Jahr bin ich wieder rausgekommen. Vielleicht war das eine Amnestie an einem spezielllen Tag (Festtag). Ich bin nach dem Problem in Libyen aufs Meer / Ins Boot. Wir sind zwei Tage auf dem Meer geblieben.

Frage: „Wie viele ward ihr?“

Ungefähr 250 Menschen waren wir, die meisten Somalier. Bengalier, Nigerier und Ghanaer.
Dann gab es eine Motorpanne. Über 18 Stunden sind wir auf dem Meer getrieben, ohne Motor. Ein Tunesisches Boot ist vorbeikommen. Die haben uns gefragt, von wo seid ihr? Wir haben gesagt, wir sind Somali und wir sind weg, weil es probleme gibt in Libyen, wir waren in Libyen, als es mit den Problemen dort anfing. Wir versuchen nach Europa zu gehen um Asyl zu suchen, die haben uns dann gesagt, wir können euch nicht helfen, nur zum Flüchtlingslager nach Choucha bringen. Wir haben dann akzeptiert weil wir fast tot waren. Wir sind hier her angekommen am 30.4 diesen Jahres. Weil wir mitbekommen haben wie krass die Atmosphäre im Camp ist, haben wir entschieden, wieder zurück nach Libyen zu gehen. Wir haben wirklich starke Probleme mit dem Staub und mit dem Essen, wir können nicht hier leben.

Frage: trotz des Krieges?

Ist egal, hier in der Wüste können wir nicht menschenwürdig leben. Wir sind also wieder aufs Boot, vor zwei Wochen. Wir sind aus dem Hafen von Tripolis gestartet. Wir waren mehr als 820 Personen.
Das Boot war etwa 14 Meter lang. Wir waren über drei Etagen verteilt. Ich hatte Glück, dass ich ganz oben war. Nach 10 Minuten Fahrt ist das Boot auseinandergebrochen. Dabei sind sehr viele gestorben. Es waren mehr als 210 Somalier an Bord, der Rest andere Afrikanische Nationalitäten.
Und fast alle sind umgekommen.

Frage: wie viele sind gerettet worden?

Etwa 120 Personen haben es geschafft bis zum Hafen zurück zu schwimmen. Mit mir war mein Freund Abdel Rachman. Seine Schwester ist auch gestorben, auch seine Nichte. Die meisten waren unten im Schiff und sind dort nicht mehr rausgekommen. Als ich gesehen habe, dass das Boot zu sinken beginnt, bin ich ins Wasser gesprungen. Auch mein Freund Abdel ist gesprungen. Am Ende bin ich am Strand gelandet.

Frage: wo genau?

Im Hafen. Die Polizei hat nur geguckt, die haben gar nicht erst versucht, jemanden zu retten. Wenn sie es nur versucht hätten, hätten sie leicht noch 200 Menschen retten können. Bis jetzt liegen die Leichen unten im Boot auf dem Grund des Meeres. Ja, es liegen wirklich noch. Ich war ganz durch einander und hatte Angst gehabt. Ich hab mit meiner Familie telefoniert, die haben gesagt, geh nicht mehr nach Choucha, leb doch in Tripolis oder komm zurück nach Somalia. Aber jetzt sind wir hier und wenn es weiter so geht, wenn die UNO keine Lösung für uns findet, gehen wir nochmal zurück nach Libyen. Nach Somalia können wir nicht zurück. Wir sterben oder wir gewinnen!

Frage: was erwartest du von Europäischen Ländern?

Wir brauchen Hilfe, alle wissen, dass wir Somalier in einer schlimmen Situation sind und wir brauchen Hilfe von den Europäern!! Es gibt Iraker, Eritreer die aus dem Lager rauskommen, aber es gibt keinen einzigen Somali, der aus dem Lager bislang rausgekommen ist. Diese Menschen kommen raus, vielleicht weil die Familien in Canada haben oder so. Ich weiss es auch nicht. Ich hab bis heute noch kein Interview machen können, Ich hab es mehrfach versucht, aber die sagen, Du, du bekommst kein Interview. Das war was ich sagen wollte. Ich bin auch jemand, der eine Verletzung hat (Schusswunde) – das Ziel meiner Reise ist, dass ich eine Behandlung bekomme für mein Bein. Die Wunde ist alt, aber nicht gut behandelt worden und macht mir Probleme. Ich wollte gerne in ein gutes Krankenhaus gehen, ich bin doch noch jung und habe zu leben. Ich bin hier ins Krankenhaus der Marokkaner gegangen. Sie haben mir Paracetamol gegeben. Krass, das ist doch nicht normal, ich habe eine Schusswunde und sie geben mir Paracetamol. Sie ist geschwollen, mein Knie. Man gibt doch Paracetamol für Kopfschmerzen!

INTERVIEW NR. 2

Ich bin aus Somalia. Ich war auf dem Meer am 7. Mai Wir sind im Hafen von Tripoli los auf einem Schiff mit drei Etagen. Wir waren 820 Menschen aus verschiedenen Ländern. Die meisten waren Somalier, Nigerier. Nach einem Kilometer Fahrt ist das Schiff gesunken. Ungefähr 700 Menschen sind gestorben. Die restlichen konnten sich retten, da sie schwimmen konnten. Meine Geschwister und mein Cousin sind umgekommen. Ich hab nur Glück gehabt, weil ich in der obersten Etage war.
Ich hab an diesem Tag viel geweint. Dann hab ich mit meiner Familie in Somalia telefoniert und die haben gemeint, geh wieder nach Tunesien. Das war mein zweiter Versuch , ich war auch beim ersten Boot, wo wir zurückgeschoben worden sind nach Choucha

Frage: wirst du es nochmal versuchen?

Ja, wir können ja nicht in der Wüste leben hier. Wir warten bis das Wetter gut wird, dann versuchen wir es nochmal. Wir glauben an Gott, ob wir leben oder sterben liegt in Gottes Hand.

INTERVIEW NR. 3

Jetzt ist's total billig in Libyen, Früher hat es 2200 Doller gekostet, heute nur noch 200. Das Problem ist ,dass sie heute die Schiffe so voll laden, damit sie mehr Geld bekommen. Hier im Camp gibt es keine Menschenrechte. Hier sind wir in der Wüste. Wir wollen gerne gut leben. Wir können nicht mehr zurück weil es in Somalia so viele Probleme gibt. Hier haben wir keine Rechte.

Es ist besser das Risiko nochmal in Kauf zu nehmen und es von Libyen aus nochmal zu versuchen, als hier zu bleiben. Am Anfang, vor 3 Monaten, waren wir 1.500, jetzt sind wir noch nur 700, und auch die werden es bestimmt nochmal versuchen.