Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

Lager plattgemacht (taz)

Tausende afrikanische Libyen-Flüchtlinge sind erneut auf der Flucht. Die lokale Bevölkerung hatte zuvor ihr Lager Choucha verwüstet.

VON CHRISTIAN JAKOB // taz

BREMEN taz | Die Krise um das Flüchtlingslager Choucha an der tunesisch-libyschen Grenze spitzt sich zu. Das Lager ist verwüstet und niedergebrannt, nach Angaben des UN-Welternährungsprogramms WFP starben bei den Unruhen vier Flüchtlinge. Rund 2.000 Bewohner des Camps flüchteten in Richtung Libyen, wo sie einst hergekommen waren, um sich in Tunesien in Sicherheit zu bringen.

Zuvor hatte das tunesische Militär Tränengas und nach Angaben von Lagerbewohnern auch scharfe Munition eingesetzt, um eine Protestaktion der rund 4.000 in dem Lager untergebrachten Flüchtlinge zu stoppen. Sämtliche Hilfsorganisationen hatten das Camp aus Sicherheitsgründen am Montag verlassen und kehrten erst im Laufe des Mittwochs langsam in die weitgehend zerstörte Zeltstadt zurück. Zeitgleich besuchte der tunesische Verteidigungsminister das Camp, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

Militär und Hilfswerke brachten den Flüchtlingen am Mittwoch zum ersten Mal seit Montag wieder Lebensmittel, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen versuchten, die Infrastruktur wieder instand zu setzen. “Das Camp ist aber derartig zerstört, dass dies schwierig wird”, sagte der WFP-Delegationsleiter in Choucha, Hans Vikoler. “Nach den Angriffen durch die lokale Bevölkerung müssen wir das Lager wahrscheinlich ohnehin verlegen.” Der UNHCR, der das Lager betreibt, wollte sich nicht äußern. “Wir müssen erst die Lage sondieren”, sagte Firas Kayal vom UNHCR.

Mit Eisenstangen gegen die Flüchtlinge

Die Unruhen waren ausgebrochen, nachdem am Sonntag bei einem Brand in Choucha vier Eritreer gestorben waren. Am nächsten Tag hatten Hunderte Flüchtlinge gegen ihre Lebensbedingungen protestiert und dabei Straßenbarrikaden errichtet. Das tunesische Militär versuchte zunächst, die Proteste mit Tränengas zu stoppen. Dann drangen Bewohner der nahe gelegenen Stadt Ben Guardane in das Lager ein.

Sie griffen die Flüchtlinge mit Eisenstangen an und brannten eine große Zahl an Zelten nieder. Lokale Händler hatte wütend gemacht, dass die Lagerbewohner die für den illegalen Grenzhandel wichtige Straße zur libyschen Grenze blockiert hatten. Wegen der verstärkten Militärpräsenz war ihnen das Lager ein Dorn im Auge.

Flüchtlinge berichten, das Militär sei nicht eingeschritten, um das Camp vor den Angreifern zu schützen. Eine französische Journalistin, die am Dienstagnachmittag versucht hatte, sich dem Lager zu nähern, berichtete, sie sei von einem Mob angegriffen worden, der die Zufahrtsstraße zu dem Lager blockiert hatte. Das Militär habe sich zurückgezogen und den Bewohnern von Ben Guardane freie Hand gelassen.

In Choucha waren bis zum Wochenende rund 4.000 Libyen-Flüchtlinge vor allem aus Drittstaaten wie Somalia oder Eritrea untergebracht, in die eine Rückkehr ausgeschlossen ist. Tunesien erlaubte ihnen nicht, das Lager zu verlassen. Die EU weigert sich, sie aufzunehmen, obwohl der UNHCR mehrfach dringend um Aufnahme von Libyen-Flüchtlingen aus Ländern wie Somalia gebeten hat.

Quelle: taz