Flüchtlinge in Tunesien (tagesschau.de)
Die Vergessenen von Choucha
Die Hilfsorganisationen und Journalisten sind abgereist, doch an der tunesisch-libyschen Grenze spitzt sich die Lage weiter zu. Tausende Flüchtlinge sitzen hier seit Monaten fest. Die Geduld der Flüchtlinge und der Tunesier ist am Ende. In den Camps entlädt sich Gewalt.
Von Marc Dugge, ARD-Hörfunkstudio Rabat
Das Camp Choucha ist ein öder Ort, direkt an der tunesisch-libyschen Grenze. Auf dem Wüstensand stehen lange Reihen von beigefarbenen Zelten der UNO. In ihnen waren in Spitzenzeiten bis zu 20.000 Menschen untergebracht. Nur ein Bruchteil ist noch hier, vor allem Schwarzafrikaner. In ihre krisengeschüttelten Heimatländer Somalia, Eritrea, Sudan oder Elfenbeinküste können sie nicht zurück. Und so müssen sie vor allem eines: Warten. “Was ist unser Schicksal?”, fragt ein Nigerianer. “Wir sind seit 90 Tagen hier, seit drei Monaten!”, klagt er. Und ein anderer Mann ergänzt: “Wir wollen ein gutes Leben. Wir können nicht in unsere Heimatländer zurück. Wir wollen Asyl! Bitte, wir brauchen jetzt Europa!”
Europa will die Menschen nicht
Aber Europa braucht sie nicht. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat nach Angaben seines Sprechers die EU mehrmals darum gebeten, die Flüchtlinge aufzunehmen. Doch die EU bietet gerade mal 700 Plätze. Kein Wunder, dass die Ungeduld im Lager steigt – und auch die Spannungen. Unbekannte setzten in der Nacht zum Sonntag Zelte in Brand. Vier Menschen aus Eritrea starben. Am Montag blockierten die Flüchtlinge dann die wichtige Straße nach Libyen, um auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam zu machen. Damit brachten sie nicht nur die vielen Schmuggler gegen sich auf, die vom Grenzverkehr leben, sondern auch weite Teile der lokalen Bevölkerung.
Angriff mit Eisenstangen und Knüppeln
Michael Hackert von der Flüchtlingsorganisation “Welcome to Europe” kommt gerade erst aus dem Lager zurück. Er musste fliehen, denn die Lage wurde zu gefährlich. Vormittags um 11.00 Uhr, so berichtet er, “kam eine Gruppe von 100 bis 200 Leuten aus den umliegenden Orten und hat das Camp attackiert”. Die Angreifer seien bewaffnet gewesen – mit Eisenstangen und Knüppeln. “Und die haben die Menschen gejagt. Ganz viele Leute haben ihr letztes Hab und Gut zusammengepackt und sind ab in den Busch.“
Das tunesische Militär ging mit Tränengas gegen die Demonstranten vor. Mittlerweile soll die Lage wieder unter Kontrolle sein. Dennoch: Einige wollen nicht mehr warten. Sie haben sich schon wieder aufgemacht, Richtung Libyen, ins Kriegsgebiet. Wo sie vielleicht eine Piroge erwischen können, die sie nach Lampedusa bringt.