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05. Dezember 2013 | „Fluchtwege öffnen – Tote verhindern (Bilder & Berichte von den Aktionen in Osnabrück)

Neben der Pressekonferenz (s.u.) haben in Osnabrück zwei weitere Aktivitäten stattgefunden: Zunächst die Übergabe zweier Briefe an den niedersächsischen Staatssekretär Hans-Jörg Haferkamp (in seiner Eigenschaft als Leiter des Planungsstabs der Innenministerkonferenz). Konkret hat es sich dabei um den Appell an die Innenminister der Länder und des Bundes sowie einen kurzen, von den ehemaligen Choucha-Flüchtlingen unterzeichneten Brief gehandelt. Darüber hinaus hat im Anschluss an die Pressekonferenz eine kleine Demonstration durch die Osnabrücker Innenstadt stattgefunden, die aber wegen des Herbststurmes „Xavers“ bereits nach 30 Minuten abgebrochen wurde, auch deshalb, weil die Innenstadt wie leergefegt war.

Bilder von den IMK-Aktionen in Osnabrück

Fünf der sieben Fotos von der Demonstration (Nr. 9 bis 13) wurden uns freundlicherweise von visual.rebellion zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!

Zwischenfazit zur aktuellen Choucha-Kampagne

Inwiefern unsere Proteste erfolgreich gewesen sind, ist derzeit noch nicht klar. Fakt ist (so viel haben die Innenminister auf ihrer Pressekonferenz bereits bekannt gegeben), dass eine Fortführung des Resettelement-Programms geplant ist, mit dem auch die ersten 200 Choucha-Flüchtlinge gekommen sind. Inwiefern hiervon allerdings die übrigen Choucha-Flüchtlinge profitieren werden, kann erst gesagt werden, wenn die ausführlichen Beschlüsse der Konferenz öffentlich zugänglich sind (wobei uns vom Bremer Innensenator Mäurer und dem niedersächsischen Staatssekretär Haferkamp versichert wurde, dass die Situation in Choucha explizit angesprochen würde). Und doch kann bereits jetzt gesagt werden, dass es aller Voraussicht nach weiteren Drucks bedarf, wenn es überhaupt zu einer Lösung kommen soll. Denn Rückfragen beim UNHCR haben ergeben, dass auch der UNHCR (genauso wie die Bundesregierung) bislang auf das lokale Integrationsprogramm in Tunesien setzt. Insofern dürfte es in den nächsten Wochen nicht zuletzt darum gehen, die unter anderem auf der Pressekonferenz beschriebenen Schwierigkeiten bei der lokalen Integration noch stärker herauszustellen – womit wir bereits bei der Pressekonferenz gelandet wären:

Bericht von der Pressekonferenz

Bei der Pressekonferenz haben mehrere Aktivisten von der Situation in Tunesien berichtet, darunter fünf Flüchtlinge, die bis September 2012 selber in Choucha gewesen sind. Dabei ist insbesondere dreierlei deutlich geworden – gleichsam als Vertiefung dessen, worauf bereits in dem Appell an die Innenminister der Länder und des Bundes hingewiesen wurde: Erstens, dass die von der Bundesregierung propagierte „lokale Intergration“ für Flüchtlinge in Tunesien derzeit nicht möglich ist. Zweitens, dass viele Kriegsflüchtlinge aus Libyen schon lange in Libyen gelebt und insofern überhaupt nicht geplant hatten, nach Europa zu kommen (ein Umstand, den auch die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg immer wieder betonen). Drittens, dass es für die meisten Flüchtlinge schlicht nicht möglich ist, nach Libyen oder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren und dass daher viele keine andere Möglichkeit sehen, als ein Boot Richtung Europa zu nehmen.

Konkreter:

Nach einer kurzen Einführung zur Entstehungsgeschichte von Choucha berichtete zunächst Issa M. über die schwierige Situation in Choucha. Er selbst kommt ursprünglich aus dem Sudan und hatte bereits in den 1970er Jahren in Libyen Geologie studiert. Wegen des Bürgerkriegs in Darfur ist er in den 1990er Jahren erneut nach Libyen gekommen, wo er bis zum Krieg als Ingenieur in der Ölindustrie gearbeitet hat.

Sodann berichtete Abdel B. über die lokale Integration in Tunesien. Diese sei nicht möglich, weil weder die tunesische Regierung noch die tunesische Gesellschaft auf die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereitet seien. Tunesien hat zwar die von Deutschland zur Verfügung gestellten 600.000 Euro für die lokale Integration der in Choucha zurückgebliebenen Flüchtlinge akzeptiert, doch dies sei einzige deshalb passiert, weil Tunesien von der Entwicklungszusammenarbeit mit Deutschland abhängig sei. Entsprechend gibt es bis heute keinerlei praktische Integrationsangebote für die Leute aus Choucha: Es ist unmöglich, einen Arbeitsplatz zu finden und mit den in mehreren Schritten ausgezahlten 500 Euro Startgeld sei ein Überleben in Tunesien schlicht nicht möglich. Abdel B. berichtete zudem über zahlreiche Diskriminierungen im Alltag – inklusive unberechenbarer und von der Polizei kaum verfolgter körperlicher Gewalt. Wie der erste Sprecher stammt auch Abdel B. aus dem Sudan, wobei auch er als ausgebildeter Ökonom schon viele Jahre in Libyen im Buchhaltungswesen gearbeitet hat.

Ergänzend zu Abdel B. berichtete Riad B-A. im Anschluss ebenfalls über Tunesien, allerdings aus der Perspektive eines Tunesiers, der vor über 10 Jahren selber als Migrant nach Europa gekommen und in den letzten 3 Jahren regelmäßig als Aktivist von Afrique-Europe-Interact in Tunesien gewesen ist (und dabei auch Choucha besucht hat). Riad B-A. wies zunächst darauf hin, dass Tunesien im Zuge des libyschen Bürgerkriegs in wenigen Monaten 500.000 Flüchtlinge aufgenommen hat – viele von ihnen libysche StaatsbürgerInnen. Doch unter den damaligen wie heutigen Umständen sei es für Tunesien nicht möglich gewesen, jene Flüchtlinge auch langfristig aufzunehmen, die nicht bereits nach kurzer Zeit in ihre Herkunftsländer zurückkehren konnten. Denn die Lage in Tuensien sei politisch instabil und ökonomisch schwierig, weshalb seit der Revolution in Tunesien mindestens 40.000 junge Leute das Land mit dem Boot verlassen hätten. Riad B-A. wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass das lokale Integrationsprogramm für Choucha-Flüchtlinge in einer Kleinstadt im Süden Tunesiens stattfinden solle, also einer Region, in der auch unter den Einheimischen überproportional hohe Arbeitslosigkeit bestünde. Zusammengefasst hieße dies, dass Europa Tunesien in dieser Fragen vor allem dadurch helfen könne, dass es die Choucha-Flüchtlinge direkt aufnehme.

Doch nicht nur in Tunesien haben die Choucha-Flüchtlinge keinerlei Chance. Auch eine Rückkehr ist für viele ausgeschlossen, wie Essam A. berichtete: Der 28-jährige ist in Libyen als Kind einer eriträischen Flüchtlingsfamlie geboren und hat 2009 ein Studium als Agraringenieur abgeschlossen. Zu Beginn des Bürgerkriegs wurde er von der Familie vorausgeschickt, um die Fluchtroute nach Tunesien auszukundschaften, allerdings waren die Umstände äußert schwierig, so dass nur er in Choucha angekommen ist. Als Ausländer konnte er anschließend nicht nach Libyen zurück – und das, obwohl er sein ganzes Leben in Libyen gelebt hat. Entsprechend wurde auch sein Bruder jüngst aufgehalten und über zwei Wochen im Gefängnis festgehalten, weil er keinen Einreisestempel in seinem Pass vorweisen konnte. Einziger Haken: Der ebenfalls in Libyen geborene Bruder hatte das Land nie verlassen, so dass er gar keinen Einreisestempel haben konnte. Mittlerweile drohen die libyschen Behörden, die gesamte Familie von Essam A. nach Eritrea abzuschieben, weshalb er sich große Sorge mache, ob sie nicht früher oder später ebenfalls ein Boot Richtung Europa besteigen würde.

In einem ebenfalls sehr bewegenden Beitrag berichtete sodann Chaudry V. über die dramatischen Umstände, die ihn nach Choucha verschlagen hatten. Chaudry V. stammt aus Pakistan und hatte seit 35 Jahren als mittelständischer Bauunternehmer in Libyen gelebt. Als der Krieg eskalierte, wurde seine Wohnung eines Nachts von Milizen gestürmt, so dass er mit seiner Familie fluchtartig den Stadtteil verlassen musste. Zwei Wochen später wurden sie allerdings erneut von Milizen aufgegriffen und gegen ihren erklärten Willen auf ein völlig überladenes Boot Richtung Europa gezwungen (eine Strategie, mit der das damalige Gadaffi-Regime versuchte, Europa unter Druck zu setzen). Nach einer 6-tägigen Irrfahrt übers Mittelmeer sei das Boot schließlich gekentert, wodurch über 500 Menschen ihr Leben verloren hätten. Er uns seine Familie seien gerettet worden und anschließend direkt nach Choucha gebracht worden – ein Ort, der laut Chaudry V. allein aufgrund seiner klimatischen Verhältnisse eine absolut lebensfeindliche Umgebung darstellen würde.

Im letzten Beitrag berichtete Emmanuel G. darüber, dass er und die anderen zwar unglaubliches Glück gehabt hätten, als sie von Choucha nach Deutschland ausreisen konnten, dass es aber auch hierzulande Probleme gäbe. Deutlich würde das vor allem am Beipiel der Familienzusammenführung: Diese sei zwar theoretisch möglich, doch die Hürden seien enorm. So muss er erstens 1.200 Euro pro Monat verdienen, zweitens einen mindestens einjährigen Arbeitsvertrag besitzen und drittens 3.000 Euro auf dem Bankkonto nachweisen, bevor er seine in Ruanda lebenden minderjährigen Kinder nach Deutschland holen könnte. Dies sei laut Emmanuel G. ein gewaltiges Problem, und das um so mehr, als seine Frau im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen im Kongo verstorben sei und die Kinder daher um so dringlicher auf ihren Vater angewiesen seien. Letzteres ist auch insofern bemerkenswert, als Emmanuel G. unter den SprecherInnen während der Pressekonferenz der einzige war, der in Libyen als 'klassischer' Flüchtling gelebt hat. Er musste den Kongo im Jahr 2007 endgültig verlassen, im Anschluss ist er über den Sudan und die Bürgerkriegsregion Darfur nach Libyen gekommen und von dort nach Choucha.

Im abschließenden Fragenteil wies Issa M. nochmal eigens auf den Umstand hin, dass sich ihre Forderungen auf alle in Choucha lebenden Flüchtlinge beziehen würde. Denn wer vom UNHCR abgelehnt und wer angenommen wurde, sei eine pure Lotterie gewesen, so wie einige Choucha-Flüchtlinge zwar als Flüchtlinge anerkannt worden wären, aber dennoch keinen Zugang zum Resettlement-Programm hätten, einzig weil sie bei ihrer Flucht aus Libyen an der Grenze monatelang aufgehalten worden seien und daher „zu spät“ in Choucha angekommen seien.