Workshop Angehörige von Verschwundenen
Auf dem Vorbereitungstreffen zum Weltsozialforum am 13.7.2012 Schwerpunkttag Migration
Moderation: Edda Pando (ARCI, Italien) und Hamadi Zribi (Tunesien)
Nach einer Vorstellungsrunde der ca. 60 TeilnehmerInnen, wurden sieben Projekte aus verschiedenen Ländern zum Thema Verschwundene und Tote an den Grenzen vorgestellt. Dieser Austausch der Projekte, Probleme und Ansätze aus verschiedenen Ländern war sehr inspirierend und Grundlage für die anschließende Diskussion um gemeinsame Forderungen und Vernetzung.
Djori Traoré von ADEM (Association pour les droits des emigrés maliens) berichtete von den Erfahrungen in ihrer Arbeit mit Gruppen von Frauen, deren Männer oder Kinder sich auf den Weg nach Europa gemacht haben, und von denen seitdem jede Spur fehlt. Es gibt viele verschiedene solcher Frauengruppen. Ihr Fokus richtet sich in erster Linie auf Alltagsprobleme, denn vor deren Abreise trugen die Männer die Verantwortung für den Lebensunterhalt. Sie machen 1 x wöchentlich eine Radiosendung.
»Das Mittelmeer ist der größte Friedhof geworden, den wir kennen.«, so eröffnete Farouk Ben Lhiba aus Zarzis, der seine Kinder im Meer verloren hat, seinen Beitrag. Das Boot “Rais Ali II”, auf dem sie waren, stiess mit einem tunesischen Militärschiff “Elhouria 302” zusammen. Alle Insassen des Bootes sind verschwunden. Auch der Körper seines Sohnes wurde nicht gefunden: »Wenn ich den Körper hätte, könnte ich meinen Sohn auf den Friedhof bringen und trauern.« Er forderte Visaerleichterungen, damit die gefährliche Überfahrt in solchen Booten nicht mehr notwendig sei.
Das transnationale Netzwerk Welcome 2 Europe entstand aus den Erfahrungen um den Infopunkt auf dem Noborder Camp auf Lesbos 2009. In diesem Jahr überquerten Tausende von boat people das Meer zwischen der Türkei und den griechischen Inseln. In der Situation trafen sich hunderte von Aktivisten und Flüchtlingen und MigrantInnen zu einem gemeinsamen und erfolgreichen Kampf gegen das Auffanglager Pagani. Zur Verstetigung der Zusammenarbeit entwickelten AktivistInnen den webguide www.w2eu.info – ein Portal, das Menschen auf dem Weg in und nach Europa mit Informationen z.B. über Anlaufstellen oder die Asylpraxis in europäischen Ländern unterstützt. Zusätzlich recherchiert und beobachtet seit 2010 ein Infomobil an den griechischen Grenzen, und unterstützt Flüchtlinge und MigrantInnen. Ebenfalls 2010 wurde die Initiative »Lost at Borders« gegründet. Eine erste Aktion war das Errichten einer Erinnerungstafel für 8 ertrunkene afghanische Flüchtlinge. Ein Fokus ist also die Unterstützung der Angehörigen von Flüchtlingen, die beim Versuch, Fortress Europe zu überwinden, gestorben sind. Genauso unterstützt die Initiative Angehörige bei der Suche nach ihren Vermissten und versucht, diese beiden Anliegen in einem gemeinsamen Kampf gegen das EU-Grenzregime zusammen zu führen.
Auch in Zentralamerika gibt es seit Jahren Aktionen zum Thema Verschwundene und Tote an den Grenzen. Edda Pando stellte die Gruppe »Movimiento Migrante Mesoamericano« vor. Seit 7 Jahren gibt es eine Karawane der Würde auf der Route der Migration zwischen Mexico und den USA. Nach amnesty international sind dort zwischen 2006 und 2011 60.000 Menschen verschwunden. Sie schlagen vor, am 18.12.2012 einen internationalen Aktionstag zum Thema Tote an den Grenzen zu machen: »Wir müssen den Schmerz verwandeln in einen politischen Kampf.«
Eine Initiative ganz anderer Art wurde von Lorenzo Pezzani und Charles Heller vorgestellt: Sie entwickelten kürzlich im Rahmen von Boats 4 People eine crowdmap namens »watchthemed«. Das ist eine interaktive Karte im Netz zur Überwachung und Dokumentation des Mittelmeers. Auf ihr können Fälle von Verschwundenen und Toten registriert werden. Ziel ist es, mit politischen und rechtlichen Mitteln die Straflosigkeit zu überwinden, die in Bezug auf Verbrechen gegen die Menschlichkleit im Rahmen von Migrationsabwehr herrscht. Ziel ist auch, politische Gründe unterlassener Hilfeleistung anzuprangern und mittels Klagen die Verantwortlichen anzugehen.
Eine Gruppe von tunesischen Müttern von Verschwundenen forderte die Abschaffung der Visa, denn »wir haben die Revolution für Würde und Demokratie gemacht.«. Sie haben diese Woche ihren Protest vor das Minesterium für auswärtige Angelgenheiten in Tunis getragen. Sie fordern Transparenz darüber, was mit ihren Söhnen passiert ist, denn sie haben Beweise, dass einige Kinder gut in Italien angekommen sind. »Die Regierung ist tatenlos, unsere Söhne haben die Revolution gemacht, aber wir haben immer noch keine Ergebnisse über ihren Verbleib. Es wird eine zweite Revolution geben wenn sich die Situation nicht ändert. Mein Sohn ist nicht der Sohn des Präsidenten, er ist ein Sohn des Volkes. Deswegen ist er gegangen.«
Die Frauen des italienischen feministischen Kollektivs »Il Venticinque Undici« (die “2511”, benannt nach dem Internationalen Tag zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen) arbeiten seit einem Jahr mit den tunesischen Müttern von Verschwundenen zusammen. Sie kämpfen für mehr Informationen über den Verbleib der Verschwundenen. Sie haben die rechtlichen Schritte u.a. zum Abgleich der 300 Fingerabdrücke von Angehörigen zwischen Tunesien und Italien begleitet und helfen detailreiche Dossiers über die einzelnen Fälle zu erstellen.
Das Netzwerk »Justice sans frontier pour les migrants« ist in Mali, Senegal, Spanien und Nigeria aktiv. Sie fordern bestehende Menschenrechte auch für MigrantInnen ein und wollen eine Klage vor den Menschenrechtsgerichtshof bringen. Sie prangern auch die Verantwortung der afrikanischen Regierungen an.
Die Organisation der Familien der Verschwundenen in Algerien wurde 1998 gegründet und tagt jede Woche. Sie fordern eine unabhängige Untersuchungskommission über das Schicksal der Verschwundenen MigrantInnen, von der deren Anghörige ein Teil sein sollen.
In der anschließenden Diskussion entwickelten sich folgende Vorschläge für ein weiteres gemeinsames Vorgehen:
- einen gemeinsamen Forderungskatalog auszuarbeiten
- internationale Unterstützung für die Aktionen und Forderungen der tunesischen Mütter der Verschwundenen zu mobilisieren
- eine bessere Vernetzung unter den verschiedenen Initiativen zu beginnen
- den 18.12.2012 als gemeinsamen Aktionstag festzulegen
- eine unabhängige Untersuchungskomission zur Recherche nach den Toten und Verschwundenen zu gründen
- Kampf für Bestrafung der Verantwortlichen für die Toten und Verschwundenen