B4P-Kurzbericht der Station Monastir
12, 13. und 14. Juli 2012
Donnerstag, 12.7.: Ankunft und WSF-Eröffnung
Die B4P-Reisegruppe ist am 11.7. von Tunis nach Monastir weitergezogen, um dort an dem Vorbereitungstreffen des Weltsozialforums (WSF) teilzunehmen, das 2013 in Tunesien stattfinden soll. Nach einem internen Koordinationstreffen mit Austausch und Berichten zu den vergangenen Tagen sowie über die aktualisierten Planungen für Monastir startete am frühen Abend die Eröffnungsveranstaltung des WSF-Treffens. Ca. 500 TeilnehmerInnen und Interessierte, vor allem aus dem Maghreb, aus afrikanischen Ländern und aus Europa, kamen im Innenhof der alten Burg zusammen. Es gab mehere Redebeiträge von unterschiedlichen VertreterInnen aus dem Sozialforumsprozess sowie aus sozialen Bewegungen und Gewerkschaften Tunesiens, danach folgte ein Konzert. Für B4P hatten wir Transparente aufgehängt und einen Infostand aufgebaut. Unser Material, die verschiedensprachigen Aufrufe sowie die Postkarten und Buttons, fanden viel Interesse. Zudem war auf den Flyern sowie auf den an mehreren Stellen in der Stadt Monastir und auch in der Burg aufgehängten riesigen Werbebannern für das WSF-Treffen das Boats4people-Logo sehr prominent abgedruckt. Und auch im Gesamtprogramm des nächsten Tages war Migration und B4P eines der wesentlichen inhaltlichen Themen.
Freitag, 13.7.: Versammlung, Arbeitsgruppen und zentrale Hafenaktion
Das detaillierte Migrations-Programm mit Plenum und Arbeitsgruppen findet sich auf der Webseite, und an der Auftaktversammlung nahmen über 200 Leute teil, der Hörsaal war bis bis zum letzten Platz gefüllt. Nach der Vorstellung des B4P-Projektes gab es u.a. einen Bericht zu einer aktuellen Delegationsreise nach Libyen, wo Flüchtlinge und MigrantInnen erneut in großen Lagern unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt sind. Offensichtlich übernimmt die neue Regierung in Zusammenarbeit mit den bewaffneten Milizen die Wachhundrolle, die das Gadafi-Regime im Interesse und mit finanzieller Unterstützung der EU gegenüber der Migration eingenommen hatte.
Zwei Mütter von toten und verschwundenen Harragas kamen anschließend zu Wort und forderten nicht nur Wiedergutmachung und Aufklärung sondern auch die Abschaffung des tödlichen Visumsregimes. Schließlich berichtete ein Vertreter einer Flüchtlingsdelegation aus Choucha von der nach wie vor unerträglichen Situation im Lager an der Grenze zu Libyen.
Drei Arbeitsgruppen folgten am Nachmittag:
Zum Workshop über die Toten und Verschwundenen an den Grenzen kamen ca. 60 TeilnehmerInnen zusammen, es wurden sieben Projekte aus verschiedenen Ländern (u.a. in Tunesien, Algerien, Mali, Griechenland, USA-Mexiko) vorgestellt. Ein Austausch der Projekte, der jeweiligen Erfahrungen und auch Probleme, wurde begonnen und war sehr inspirierend, es wurde eine erste Grundlage für gemeinsame Forderungen und Aktivitäten geschaffen. Zum 18.12.2012 – dem internationalen Tag der Rechte der MigrantInnen – soll das Thema der Verschwundenen und Toten an den Grenzen auf globaler Ebenen zum Schwerpunkt gemacht werden.
Im zweiten Workshop über Migration im Maghreb stand das Flüchtlingslager Choucha im Mittelpunkt und es wurde eine gemeinsame Presseerklärung mit aktuellen Forderungen verabschiedet.
In der dritten Arbeitsgruppe wurde über die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit diskutiert und über mögliche weitere Mobilisierungen und Kampagnen in Tunesien beraten. Unter anderem gibt es den Vorschlag für eine Karawane für das Recht auf Migration durch mehrere tunesische Städte (siehe unten). Auf einem Abschlussplenum wurden diese Ergebnisse der Arbeitsgruppen nochmal zusammengetragen.
Dass B4P im Rahmen des Treffens des WSF einen hohen Stellenwert hatte, kam auch dadurch zum Ausdruck, dass zur zentralen B4P-Aktion im kleinen Hafen von Ksibet el Mediouni, einem Nachbarort von Monastir, mehrere Busse für alle TeilnehmerInnen gechartert wurden und somit mehrere hundert Menschen teilnehmen konnten. Allerdings nahm die Aktion selbst teilweise einen unglücklichen Verlauf: das B4P-Boot Oloferne lief schon weit abseits des Hafens auf Grund, die Ankunft der B4P-Delegation erfolgte deshalb allein in den begleitenden Fischerbooten. Und wegen starkem Wind und auch mangelnder Koordination konnte nur ein sehr kleiner Teil der vorbereiteten Feuerballons eingesetzt werden. Geplant war, dass mehrere hundert solcher Leuchtzeichen zum Gedenken an die Opfer des Grenzregimes an der Küste losfliegen sollten.
Dafür gab es bei Ankunft der Fischerboote eine beeindruckende künstlerische Performance, indem mehrere nackte Menschen mit (blut)roter Farbe bemalt am Pier in Hockstellung saßen. Eine Pressekonferenz fand statt und die Banderole mit der Liste der Toten des EU-Grenzregimes wurde erneut ausgerollt und einige der Namen verlesen.
Samstag, 14. 7.: perspektivische Arbeitstreffen mit Watch the Med und Psycho-Club
Während das B4P-Boot Oloferne sich für die letzte Etappe nach Lampedusa vorbereitete, hat unsere transnationale Reisegruppe – an dem für viele TeilnehmerInnen letzten Tag vor der Heimreise – noch zwei perspektivische Arbeitstreffen veranstaltet.
Zum einen gab es ein Treffen mit Lorenzo Pezzani und Charles Heller, den Gründern von Watch-the-Med. Hintergrund und Idee sowie die ersten Schritte zur Realisierung dieses interaktiven Kartenprojektes wurden vorgestellt (dazu folgt demnächst ein eigener Text), es wurde über die unterschiedlichen Elemente und Potentiale diskutiert. Deutlich wurde, dass mit diesem Projekt die bislang eher symbolisch-mediale Intervention von B4P überschritten werden kann. Und dass es nicht nur darum geht, die Umstände für „Left-to-die“-Boote zu rekonstruieren und entsprechende Verantwortlichkeiten bei Nato, Frontex oder Grenzschutz politisch zu denunzieren und juristisch anzuklagen. Vielmehr wäre das besondere perspektivische Ziel von Watch-the-Med, ein SMS-basiertes Notrufsystem einzurichten, über das im Falle von Bootsunglücken mit einem Netzwerk zivilgesellschaftlicher Akteure so schnell und breit der politisch-öffentliche Druck aufgebaut wird, dass die Küstenwachen die gefährdeten Boatpeople retten müssen. Natürlich gab es viele offene Fragen, ob und wie das praktisch funktionieren kann, und in den kommenden Wochen sollen unterschiedliche Akteure angesprochen und gewonnen werden, zur Umsetzung des Projektes beizutragen.
Zum zweiten gab es ein (Abschluss-)Treffen mit den Mitgliedern des Psycho-Club bezüglich weiterer Aktivitäten in Tunesien. Ausgehend von der Arbeitsgruppe des Vortrages wurde der Vorschlag für eine Karawane für Bewegungsfreiheit konkretisiert. Denkbar wäre zunächst (ev. im Dezember 2012) eine kleinere Infotour mit einem Bus und einer begrenzten Anzahl von AktivistInnen, um mit diesen praktischen Erfahrungen dann eine zweite, größere Karawane für 2013 zu starten. Das Recht auf Migration soll inhaltlich im Mittelpunkt stehen, MigrantInnen – Angehörige von verschwundenen Harragas, Abgeschobene, TransitmigrantInnen – von Beginn an beteiligt sein. Neue Formen kreativer Sensibilisierung müssen entwickelt werden, um insbesondere die ärmere Bevölkerung anzusprechen. Und in den kommenden Wochen soll versucht werden, in Tunesien wie auf europäischer Seite erste Kerngruppen zu bilden, die den Vorschlag weiter konkretisieren. Eine entsprechende Kommunikationsliste wurde erstellt. Und ob dieser Karawanenvorschlag als Folgeprojekt und im Rahmen von B4P stehen soll oder zu einer eigenständigen Initiative wird, soll in den Auswertungs- und Perspektiventreffen von B4P diskutiert werden.