Treffen mit den Angehörigen der Verschwundenen in Tunis
9.7.2012
Eine Gruppe von etwa 10 Frauen des Boats4People Projektes traf sich am ersten Projekttag in Tunis mit einer Gruppe von Muettern, Ehefrauen und Schwestern (und zwei Vaetern), sowie mit Frauen des italienischen feministischen Kollektivs »Il Venticinque Undici« (die “25 11”, benannt nach dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen). Es ging einerseits um ihre Kämpfe und Forderungen und andererseits um Aktionsideen für die Woche. Die beiden Gruppen kämpfen bereits seit ueber einem Jahr gemeinsam fuer mehr Informationen und Transparenz ueber den Verbleib und das Schicksal der Harragas. Es geht bei diesen Familien um verschwundene Angehörige, die in den Wirren der tunesischen Revolution, als fuer die Zeit zwischen Maerz und Mai 2011 das europaeische Grenzregime gegenueber Nordafrika und die Wachhundfunktion der nordafrikanischen Mitelmeeranrainerstaaten ausgeschaltet war, mit anderen 30 – 50.000 Menschen in unzaehligen Booten Richtung Sizilien und Europa aufmachten.
Die Muetter hatten Portraetfotos und zum Teil auch Bilder von Fernsehaufnahmen aus italienischen Nachrichtensendungen, in denen sie ihre an der italienischen Küste eingetroffenen Soehne und Ehemaener hatten identifizieren koennen, dabei und traten sehr entschlossen und kämpferisch auf.
Die Frauen (und zwei Vaeter) berichteten ueber ihre bisherigen Erfolge: sie erkämpften eine Delegation von 6 tunesischen Angehörigen, die versuchten, Zugang zu den Haftzentren und Abschiebeknaesten an der sizilianischen Kueste (Milo, Trapani etc) zu erhalten, um mithilfe von in Tunesien genommenen Fingerabdruecken, ihre Angehörigen wieder zu finden. Darueber hinaus versuchen sie zu erzwingen, dass die tunesischen und italienischen Behoerden durch das Zusammenfuehren und Vergleichen von genommenen Fingerabdruecken ebenfalls zu Identifizierungen beitragen könnten. Eine weitere Perspektive, so berichteten die Frauen, stellen Dossiers mit Informationen ueber die Verschwundenen dar, die beim tunesischen Ministerium fuer Soziales liegen, und ebenfalls untersuchen sollen, welches Schicksal die Angehörigen genommen haben. Ausserdem versuchen die Familien der Verschwundenen, Druck auf die tunesische Telekommunikationsfirma Tunisiana aufzubauen, da zum Teil zwischen den Menschen in den Booten und den Familien letzte Telefonkontakte stattgefunden hatten, die nun mithilfe der Satelliteninformationen lokalisiert werden könnten, um rauszufinden, an welchen Positionen die Boote sich zum Zeitpunkt der Telefonate befanden. Zudem wurde eine Skypekonferenz mit einem tunesischen Anwalt in Italien abgehalten, um mehr Informationen zu seinem kuerzlich Besuch in Milo zu erhalten.
Es wurden verschiedene Positionen zu den Adressat_innen der Proteste ausgetauscht, ob dies (Oppositions-)parteien oder doch die tunesische Regierung sein sollten, mit dem Ergebnis, das aus dem Treffen der Wunsch entstand, den Protest in Form von Kundgebungen vor das Sozialministerium tragen und Treffen und runde Tische zwischen den verschiedenen zustaendigen ital. und tunes. Behoerden zu fordern.
Außerdem gab es die Idee durch eine Kundgebung vor dem Sozialministerium, weiter Druck auf die tunesische Regierung aufzubauen, erneut Gespraeche zum Verbleib der Angehörigen mit der italienischen Regierung aufzunehmen und eventuell auch oeffentlich zu erklaeren, dass aus mehreren Familien Mitglieder in den Hungerstreik treten wuerden, um ihre Verzweiflung und gleichzeitig ihre Entschlossenheit kanalisieren zu koennen.
Im Laufe der Woche gab es mehrere Kundgebungen und Aktionen, Arbeitsgruppen und Workshop zum Thema der Angehörigen der Verschwundenen und Toten.