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Kein Frühling für Flüchtlinge

Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik üben auch europäische Institutionen. Folgen hat das nicht.

Kommentar von Christian Jakob

Jungle World Nr. 14, 5. April 2012

Drei Reisen hat Tineke Strik unternommen, sie hat viele Zeugen befragt. Vorige Woche präsentierte die Sonderbeauftragte des Europarats in Brüssel ihren Bericht, der erneut zeigte, dass das Leben von Papierlosen in Europa nichts wert ist. Die niederländische Abgeordnete hatte untersucht, warum die Nato und die EU zwei Wochen lang dabei zugesehen hatten, wie 61 subsaharische Flüchtlinge auf dem Mittelmeer starben. Am 26. März 2011 waren 50 Männer, 20 Frauen und zwei Babys in Tripolis in See gestochen. Einen Schiffsführer hatten sie für ihr sieben Meter langes Gummiboot ebenso wenig wie ausreichend Proviant
und Treibstoff. Die libyschen Schlepper hatten nur gesagt: Fahrt 18 Stunden geradeaus, dann erreicht ihr Lampedusa. 15 Tage später wurde ihr Boot an die Felsküste nahe der libyschen Stadt Zliten, östlich von Tripolis, gespült. Nur elf Menschen waren noch am Leben. Zuvor hatten die Schiffbrüchigen ihre Position per Satellitentelefon an die italienische Küstenwache durchgeben lassen, ein Fischerboot, zwei spanische Nato-Schiffe und ein Militärhubschrauber waren zu ihnen gekommen. »Aber niemand hat den
Flüchtlingen geholfen«, sagt Strik.
Oft kommen solche Berichte in Europa, das seiner eigenen Verfassung gemäß ein »Raum der Freiheit und des Rechts« sein soll, an die Öffentlichkeit. Der Menschenrechtsgerichtshof EGMR, EU-Parlamentarier oder eben der Europarat beklagen, dass die Realität in Europa weit hinter den eigenen Maßstäben zurückbleibe. Das gilt vor allem für den Umgang mit jenen, die man hier nicht haben will. Konsequenzen hatte das noch nie. Das EU-Programm heißt weiterhin: Öffnung nach innen, Abschottung nach
außen.
Als Zugeständnis an Beschwerdeführer wie Strik wird der EU-Grenzschutzagentur Frontex mal ein Menschenrechtsbeauftragter verordnet oder ein paar Flüchtlingen Entschädigung gezahlt. Dies geschah zuletzt nach einem Urteil des EGMR. Der hatte im Februar Italien verurteilt, weil es Flüchtlinge nach Libyen geschickt hatte, ohne dass diese einen Asylantrag hätten stellen können.
Einige Betroffene können die Entschädigung nicht mehr annehmen, sie waren in der Zwischenzeit im Mittelmeer ertrunken.
Wie wenig Europa seinen eigenen humanitären Ansprüchen gerecht wird, zeigt der Fall von Abu Kurke Kebato. Der Äthiopier ist einer der elf Überlebenden aus Zliten. Am Donnerstag voriger Woche, nur wenige Stunden nachdem Strik ihren Bericht vorgelegt hatte, wurde Kebato zur Abschiebung in einem Flüchtlingsheim im niederländischen Baexem festgenommen.
Viele hofften, der »arabische Frühling« würde der Abschottungspolitik der EU ein Ende setzen. Doch vor allem die neuen Machthaber in Libyen lassen keine Zweifel daran, dass sie mindestens so gute Hilfsgrenzschützer Europas sein wollen wie der ihnen so verhasste Muammar al-Gaddafi. Ende März wandte sich Mustafa Joha, der Kommandant der Marinebasis von Tripolis, über den Sender al-Jazeera an die EU. Seine Männer täten alles, um »Illegale« zu verhaften, doch die Küste sei zu lang, die Ressourcen seien zu knapp. »Kommen Sie zu uns«, appellierte er an Europa. Die EU sei herzlich eingeladen, sich in den libyschen Hoheitsgewässern an der Jagd auf Papierlose zu beteiligen. Sie wird sich nicht lange bitten lassen.