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Flüchtlingshilfe auf hoher See (Neues Deutschland)

Aktivisten planen, zum Schutz von Migranten selbst mit Booten auf dem Mittelmeer zu kreuzen

Von Tim Zülch (07.03.2012)

Vor Lampedusa spielen sich immer wieder Flüchtlingsdramen ab. Antirassistische Gruppen geben dem europäischen Grenzregime eine Mitschuld. Aus Angst vor Abschiebung nach Afrika ohne die Chance auf einen Asylantrag, stechen Migranten mit immer kleineren Booten in See. Boote, die für Meeresüberfahrten eigentlich ungeeignet sind.Mit Booten und auf Fähren wollen im Sommer antirassistische Aktivistinnen und Aktivisten im Mittelmeer gegen die europäische Grenzpolitik protestieren. Sie planen eine dauerhafte Beobachtung bestimmter Meeresabschnitte, um Frontex auf die Finger zu schauen und, wenn es darauf ankommt, Seenothilfe zu leisten.

Über 2000 Personen ertranken letzes Jahr beim Versuch, das Mittelmeer Richtung Europa zu überqueren – 1400 davon allein zwischen Libyen, Tunesien und Italien. Eine Zahl, die der italienische Journalist Gabriele del Grande aus Zeitungsberichten rekonstruiert hat. Das Jahr 2011 sei bisher das mit den meisten Toten im Mittelmeer, sagt del Grande. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen sieht dieses Jahr als Spitzenreiter, spricht aber von 1500 Ertrunkenen, eine Zahl, die der UNHCR aus den Kontakten mit Hinterbliebenen rekonstruiert. In jedem Fall eine »unerträgliche Situation, die sofortiges Handeln fordert«, befinden antirassistische Gruppen.

Bislang können sie das maritime Handeln der europäischen Grenzschutzagentur Frontex meist nur von Land aus beobachten. Was sich wirklich auf hoher See abspielt, ist von dort aus nur schwer zu verfolgen. Die Idee für »Boats-for-People« entstand: Die Kritiker der EU-Abschottung wollen künftig vermehrt auch das Meer und – konkret die Region Sizilien, Lampedusa, Malta, Tunesien – ins Blickfeld nehmen. Gedacht ist, eine mediterrane Vernetzung und eine dauerhafte Beobachtung zwischen der nordafrikanischen Küste und den südeuropäischen Inseln aufzubauen. So könnte Frontex besser auf die Finger geschaut werden und – bisher oft nur vermutete – Verstöße gegen internationale Konventionen aufgeklärt werden. Zudem wäre es möglich, konkrete Seenothilfe vor Ort zu leisten, da mittlerweile Migranten und Flüchtlinge, um Frontex zu entgehen, in immer kleineren Booten in See stechen und damit Wetterumschwüngen schutzlos ausgeliefert sind.

Die Idee ist gut, allein die Umsetzung stellt die antirassistischen Aktivisten vor einige Probleme. So ist die Suche nach geeigneten Booten und finanzieller Unterstützung schwerer als gedacht. Eine erste öffentlichkeitswirksame Aktion von Boats-for-People musste zweimal verschoben werden. Im Juli dieses Jahres soll es endlich soweit sein. Dann ist der Start eines Protestturns auf Sizilien geplant, der über Lampedusa und Tunis führen und in Monastir enden soll. Das dort gleichzeitig stattfindende maghrebinische Sozialforum wird Anlass sein, weitere Kontakte vor Ort zu knüpfen.

»Der Austausch zwischen Afrika und Nordeuropa hat sich verstärkt«, freut sich Hagen Kopp vom Vorbereitungskreis. Auf verschiedenen Reisen konnten bereits mehrere tunesische Gruppen für eine Teilnahme begeistert werden, etwa das Forum für ökonomische und soziale Rechte in Tunis und mehrere Hinterbliebenengruppen von auf dem Meer Ertrunkenen. Boats-for-People verteilt zudem Flugblätter an Fischer und Kapitäne in süditalienischen Häfen, die auf die geplante Aktion und die Verpflichtung für Seeleute hinweisen, Schiffsbrüchigen in jedem Fall zu helfen.

Allerdings gibt es auch bei der Protestfahrt im Juli noch Unwägbarkeiten. Ob wirklich die gesamte Strecke in Booten zurückgelegt werden kann, ist unklar. Die Organisatoren versuchen derzeit, seetüchtige Boote und Geld aufzutreiben, da Ausleihe und Unterhalt solcher Boote sehr teuer ist. Mit der geplanten See-Aktion, und mehr noch der anvisierten systematischen Überwachung bestimmter Meeresabschnitte betritt das Bündnis aus Gruppen in Deutschland, Holland, Frankreich, Italien und Tunesien antirassistisches Neuland. Ungefährlich ist das Unterfangen nicht, sind doch die Behörden bei der Verfolgung von Unterstützungsaktionen für in Seenot geratene Migrantinnen und Migranten in der Vergangenheit nicht zimperlich gewesen.

2004 wurden Elias Bierdel und seine Crew der Cap Anamur festgenommen, weil sie 37 Schiffbrüchige an Bord ihres Schiffes genommen hatten. Das Gerichtsverfahren endete allerdings fünf Jahre später mit einem Freispruch. 2007 wurden sieben tunesische Fischer, die ebenfalls Migranten aus der Seenot retteten, einen Monat in Italien inhaftiert und als Schleuser angeklagt. Die Kapitäne der beiden Schiffe wurden im Herbst 2009 zu je zweieinhalb Jahren Haft wegen Beihilfe zur illegalen Einreise verurteilt. Ihre fünf Besatzungsmitglieder kamen frei.