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»Wir werden alles tun, um Hilfe zu organisieren« (junge welt)

Solidaritätsflottille für Flüchtlinge will Mitte Oktober von Italien aus Richtung Nordafrika in See stechen. Ein Gespräch mit Conni Gunßer

Interview: Gitta Düperthal (junge welt: 05.09.2011) // Conni Gunßer engagiert sich im Flüchtlingsrat Hamburg und im Netzwerk Afrique Europe Interact

Schiffe der Solidarität« werden am 15. Oktober von der Provinz Rom aus in Richtung Nordafrika in See stechen. Die Initiative richtet sich gegen das Sterben von Flüchtlingen im Mittelmeer. Was planen Sie konkret?
Die Initiative zu dieser Flottille ist von Gruppen aus Frankreich und Italien ausgegangen, die sich Ende Juni unter dem Motto »The wind of change« – »der Wind des Wandels« im toskanischen Cecina trafen. An diesen jährlich stattfindenden Treffen beteiligen sich europäische und nordafrikanische Gruppen, die sich mit Migration beschäftigen. Hauptthema waren diesmal die Revolutionen in nordafrikanischen und arabischen Ländern und die Veränderungen im Mittelmeerraum. Dort wurde die Idee erstmals diskutiert. Angesichts der Tatsache, daß seit Jahresbeginn mehr als 2000 Flüchtlinge in der Mittelmeerregion ertrunken oder verdurstet sind, sehen wir Handlungsbedarf. Tausende sitzen zur Zeit in Wüstenlagern wie im tunesischen Coucha oder in Libyen fest. Auch ihnen bleibt kaum anderes übrig, als den riskanten Versuch zu wagen, in überfüllte und seeuntaugliche Boote zu steigen. Wir werden vom anderen Ende der Fluchtroute aus den Boatpeople entgegenkommen: über Sizilien, Lampedusa und Malta bis zu diversen Häfen in Tunesien, gegebenenfalls auch Libyen. Ziel ist es, dauerhaft zu beobachten und zu protokollieren, was zwischen der nordafrikanischen Küste und den südeuropäischen Inseln geschieht. Das Projekt zielt auf sogenanntes Monitoring.

Was ist damit genau gemeint?
Wir wollen die skandalösen Vorgänge auf dem Meer dokumentieren und öffentlichkeitswirksam anklagen. Wir werden zwar selber kaum Flüchtlinge retten können, dazu reicht unsere Kapazität nicht aus – aber wir werden alles tun, um Hilfe zu organisieren. Das Netzwerk Afrique Europe Interact – eine Organisation, die sich langfristig bemühen will, transnationale Netzwerke zwischen sozialen Basisbewegungen in Afrika und Europa aufzubauen – unterstützt dieses Projekt.

Welche politische Lösung streben Sie an?
Wir sind der Meinung, daß die Aktivitäten der europäischen Grenzpolizei Frontex gestoppt werden müssen. Sie zwingt Tausende Bootsflüchtlinge auf hoher See zum Umkehren nach Afrika, was häufig deren Tod bedeutet. Bereits im Sommer haben wir den Appell »Fluchtwege öffnen« gestartet. Europa muß mehr Flüchtlinge aus Nordafrika aufnehmen. Wir finden es unerträglich, daß Tunesien eine halbe Million aufgenommen hat, während Europa dies ablehnt – mit Ausnahme von 150 Flüchtlingen aus Malta. Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) fordert Europa dazu vergeblich auf. Da unsere Appelle ungehört bleiben, werden die »Schiffe der Solidarität« starten.

Hat sich das Vorgehen von Frontex nach der arabischen Revolution verschärft?
Ja. Sie haben im Februar eine »Operation Hermes« gestartet, im Meer zwischen Italien, Malta und Tunesien, um dort Flüchtlinge zu hindern, Richtung Europa weiterzufahren. Ein weiterer Skandal ist, daß jede Menge Kriegsschiffe dort unterwegs sind. Jede Hilfeleistung für Schiffbrüchige wird unterlassen. Wer versucht Flüchtlinge nach Europa durchzubringen, wird als Menschenschmuggler kriminalisiert. Gleichzeitig verstärken EU-Verantwortliche den Druck auf die Übergangsregierungen der nordafrikanischen Länder, ihre Küsten lückenlos zu kontrollieren und mit Frontex zusammenzuarbeiten.

Wie viele Boote werden fahren?
Das ist noch nicht klar. Wir werden sie leihen müssen. Eine Idee war, die »Free Gaza«-Bewegung zu fragen, aber deren Boote sind zur Zeit noch nicht freigegeben. Greenpeace hat keine Boote übrig. Deshalb haben wir im Internet unter www.fluechtlingsrat-hamburg.de einen Spendenaufruf veröffentlicht. Wir planen, ab dem 15. Oktober zunächst drei Wochen unterwegs zu sein – langfristig wollen wir aber dauerhafte Beobachtung garantieren.

Wie funktioniert die Vernetzung europäischer Organisationen mit nordafrikanischen Aktivisten?
Über unser gemeinsames Ziel: Tunesien darf nicht zum Wachhund Europas stilisiert werden. Die Demokratiebewegungen in Nordafrika bieten die Chance für einen Neuanfang. Statt tödlicher Ausgrenzung und grotesker Bedrohungsszenarien müssen Offenheit und Solidarität die Zukunft des Mittelmeerraumes prägen. Es braucht Brücken statt Mauern für ein neues afrikanisch-europäisches Verhältnis.