Wenn die Sheanussbäume gerodet sind: Die neue Landnahme aus Genderperspektive
Ute Straub
Aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen von Männern und Frauen haben die durch die steigende Nachfrage nach Agrarland veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingen auf Männer und Frauen auch unterschiedliche Auswirkungen. Besonders deutlich zeigt sich dies beim Zugang zu Land, bei den Arbeitsbedingungen und bei so genanntem ungenutzten Land.
In den Entwicklungsländern produzieren Frauen zwischen 60 und 80 Prozent der lokal konsumierten Lebensmittel und tragen die Hauptlast der landwirtschaftlichen Produktion. Darüber hinaus verrichten Frauen eine Vielzahl an Aufgaben für die Familie: Sie holen Wasser und sammeln Brennholz, sind verantwortlich für die Kindererziehung und die Pflege kranker und alter Familienmitglieder. All das macht Frauen zum Rückgrat der Ernährungssicherheit und wirtschaftlichen Entwicklung im ländlichen Raum.
Gleichzeitig ist in vielen traditionellen Gesellschaften die soziale Stellung der Frau schwach, was sie gegenüber externen Einflüssen besonders verletzlich macht. Im Durchschnitt besitzen Frauen in Entwicklungsländern lediglich 10 Prozent der Bodenrechte, obwohl sie zum Beispiel in Afrika 80 bis 90 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeit verrichten und auch in anderen Ländern des Südens die Mehrzahl der Kleinproduzent/innen und Landarbeiter/innen stellen. Verkaufen oder verpachten Regierungen nun Land an einen Investor, das bisher von Frauen bewirtschaftet wurde, ist für diese die Lage besonders prekär. Denn ohne formalen Landtitel bleibt ihnen der ordentliche Rechtsweg verwehrt, gegen eine ungewollte Veräußerung ihres Landes Einspruch zu erheben oder eine adäquate Entschädigung einzuklagen.
Bei Landtiteln benachteiligt
Eine unzureichende Gesetzgebung wird oft von traditionellen Praktiken flankiert, die Frauen auf weniger fruchtbares Land verdrängen oder ihnen nur so genannte Sekundärrechte zugestehen. Das bedeutet, dass die Frauen zwar das Land bewirtschaften, als Besitzer jedoch männliche Familienmitglieder eingetragen sind. Stirbt nun zum Beispiel der Ehemann, hat die Frau kein weiteres Anrecht auf das Land und ist bei der weiteren Nutzung des Landes von der Gunst eines männlichen Verwandten abhängig, an den das Land üblicherweise vererbt wird.
Ohne Landtitel können Frauen das Land auch nicht als Sicherheit für Kredite nutzen, die für notwendige Investitionen in Produktionsmittel wie Dünger, Pestizide oder auch Saatgut gebraucht werden. Während Männer also noch eher von einkommensschaffenden Möglichkeiten, wie zum Beispiel dem Vertragsanbau für einen Großinvestor profitieren können, ist eine kommerzielle Landwirtschaft für weiblich geführte Haushalte nahezu unmöglich.
Unter dem wachsenden ökonomischen Druck migrieren Männer verstärkt in Städte, um dort Arbeit zu suchen. Frauen bleiben tendenziell eher auf dem Land zurück. Etwa 30 Prozent der ländlichen Haushalte in Entwicklungsländern werden inzwischen von Frauen geführt. Oft bleibt ihnen nur die Möglichkeit, auf den entstehenden Plantagen der Investoren anzuheuern und so das überlebenswichtige Einkommen für die Familie zu sichern. Die Chancen, hier einen Job zu bekommen, sind für Frauen nicht schlecht, denn viele Landbesitzer stellen bevorzugt Frauen ein, die als zuverlässige Arbeitskräfte gelten und zudem billiger sind als ihre männlichen Kollegen.
Doch gerade im Agrarsektor sind Anstellungsverhältnisse meist zeitlich begrenzt, unterbezahlt und unsicher. Fundamentale Arbeitsrechte werden regelmäßig verletzt, und da ein Großteil der Lohnarbeit im informellen Sektor stattfindet, ist die nationale Arbeitsgesetzgebung machtlos, einen Mindestlohn durchzusetzen oder Frauen vor Diskriminierung und sexuellem Missbrauch zu schützen. Aufsichtsbehörden sind zu schwach, um eine effektive Kontrolle der Einhaltung von Mindeststandards in weitläufigen ländlichen Gegenden zu garantieren.
Einer der Hauptgründe, warum gerade Afrika für ausländische Investoren so attraktiv ist, ist der scheinbare Überfluss an ungenutztem Land. Doch was Investoren oder Regierungen als Brachland kategorisieren, kann für ländliche Haushalte und besonders für Frauen sehr wohl eine wichtige Rolle spielen. Frauen nutzen es zum Brennholzsammeln und Wasserholen sowie zum Sammeln von Beeren und Medizinalpflanzen und bessern damit das Einkommen der Haushalte auf, von dem vor allem die ärmsten Haushalte besonders abhängig sind. Werden auf diesen Flächen nun im großen Stil Monokulturen angebaut, sind deutlich weitere Wege für das Sammeln von Brennholz und das Wasserholen die Folge. Eine schwindende Biodiversität setzt das für Notlagen so wichtige zusätzliche Einkommen aufs Spiel.
Jatropha-Anbau statt Sheanussbäume
Manchmal basieren auf der Nutzung dieser sogenannten ungenutzten Flächen ganze Wirtschaftszweige. ActionAid dokumentierte einen Fall in Nordghana, in dem die ghanaische Regierung einem Tochterunternehmen von „Bio Fuel Norway“ den Anbau von Jatropha genehmigte. Doch genau dieses Land war bereits mit Sheanussbäumen bepflanzt worden, deren Früchte eine wichtige Einkommensquelle der Frauen im Dorf darstellten. Die Frauen nutzten die Nuss zur Produktion von Sheabutter, welche weltweit für die Herstellung von Seifen und Kosmetik und lokal für Pomade und zum Kochen verwendet wird. Zuerst freuten sich die Dorfbewohner/innen von Alipe über die neuen Einkommensmöglichkeiten, die sie sich durch den Jatropha-Anbau versprachen. Doch dann wurden die Sheanussbäume gefällt.
Eine der Dorfrauen berichtete: „Die Sheanüsse, die ich über das Jahr verteilt sammele, helfen mir, meine Kinder in die Schule zu schicken, Kleidung zu kaufen und die Nahrungsmittelvorräte für die Familie aufzufüllen, wenn die Vorräte aus der eigenen Landwirtschaft ausgehen. Aber da viele Bäume gefällt wurden, war die Ausbeute dieses Jahr sehr mager. Jetzt, da die Bäume abgeholzt sind, habe ich eine gute Einkommensquelle für immer verloren. Und bis jetzt haben wir auch keine Entschädigung bekommen.“ (ActionAid International: Food, Farmers and Fuel: Balancing Global Grain and Energy Policies with Sustainable Land Use. Johannesburg, November 2008, PDF downloaden) Die Dorfbewohner/innen in Alipe haben protestiert und es geschafft, den weiteren Jatropha-Anbau zu stoppen und eingehende Konsultationen einzufordern. Im Fall von Alipe hatten die Entscheidungsträger die wirtschaftliche Aktivität der Frauen nicht berücksichtigt. Das Beispiel zeigt sehr gut, was passieren kann, wenn keine genderspezifische Folgenabschätzung im Vorfeld solcher Investitionen durchgeführt wird.
Dabei werden Investitionen in den jahrzehntelang sträflich vernachlässigten Agrarsektor dringend gebraucht. Doch mindestens genauso wichtig sind verbindliche Regeln. Entwicklungspotenziale und Nachhaltigkeit ergeben sich nicht von selbst. Die aufgezeigten genderspezifischen Problemstellungen müssen darin berücksichtigt werden und dafür braucht es eine verbesserte Erhebung genderrelevanter Daten. Ganz konkret muss der Zugang von Frauen zu Land und weiteren Produktionsmitteln dauerhaft gesichert, Arbeitsbedingungen im Agrarsektor verbessert und die Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen erhöht werden. Die geschlechterpezifischen Risiken der Landnahmen zu erkennen und sie mit differenzierten Strategien anzugehen, ist eine Grundvoraussetzung für nachhaltige Entwicklung und Ernährungssicherheit.
Dieser Artikel erschien zuerst im INKOTA-Brief vom Juni 2010.
Ute Straub ist Agrarreferentin bei der Heinrich-Böll-Stiftung und arbeitet zu den Themen Agrarhandel und Welternährung.