„Wissen wird über militante Recherche geschaffen“
Der Standard (Ausgabe vom 3. März 2011)
Mit internationalen Studierenden und abgeschobenen Migranten begaben sich Stephanie Deimel und Dieter Behr auf eine Buskarawane quer durch Westafrika. Mit ihnen sprachen Sophie Niedenzu und Tanja Traxler.
UniStandard: Was hat euch bewogen, an der Karawane teilzunehmen?
Deimel: Ich habe soeben eine Diplomarbeit über Frontex (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, Anm.) und die Auswirkung der EU-Außengrenzpolitik auf Migrationsbewegungen geschrieben. Nun wollte ich mir die Situation vor Ort ansehen und mich mit Migranten unterhalten.
Behr: Meine Doktorarbeit beschäftigt sich mit Landwirtschaftsmigration und Supermärkten. Ich bin schon länger aktionistisch tätig, und vor einem Jahr ist die Idee mit befreundeten Aktivisten entstanden, eine Karawane zum Weltsozialforum nach Dakar zu machen – und zwar gemeinsam mit einer in Bamako beheimateten Vereinigung, die aus der Selbstorganisation abgeschobener Malier entstanden ist.
uniStandard: Was war das Ziel der Karawane?
Behr: Wir wollen transnationale Kooperationen und antirassistische Netzwerke aufbauen.
Deimel: Es gibt oft das falsche Bild, dass die Jugend Afrikas unbedingt wegen der Lebensqualität nach Europa möchte. Für die wenigsten, die in die EU unterwegs waren und mit denen wir gesprochen haben, ist die Migration wirtschaftlich motiviert. Und Wirtschaftsflucht produziert triste Situationen, weil Jugendliche Geld für ihre Familien nach Hause schicken müssen, das sie schwer erwirtschaften können. Deswegen war der direkte Austausch wichtig, also bei der Karawane auch Leute dabeizuhaben, die selbst migriert sind, um Jugendlichen, die auswandern wollen, von ihren Erfahrungen berichten zu können.
UniStandard: Ihr beschäftigt euch mit dem Thema Migration wissenschaftlich, aber auch aktionistisch. Wie schwierig ist es da, die Objektivität zu wahren?
Behr: Kritische Wissenschaft erfordert, dass man sich in das Handgemenge der sozialen Auseinandersetzungen mit einer emanzipatorischen Perspektive begibt. Ich denke, dass für die kritische Wissenschaft diese aktivistischen Impulse deshalb so wichtig sind, weil viel Wissen erst über die militante Recherche herangeschafft wird. Die Unis müssten sich da öffnen und in Seminargruppen geschlossen an solchen Aktionen teilnehmen.
Deimel: Bei einer intensiven Auseinandersetzung mit einem Thema wie Frontex entwickelt man den Willen, Aktionen zu setzen. Die Uni nimmt an solchen Projekten nicht teil, weil das eine politische Positionierung wäre, die nicht erwünscht ist. Wir erleben in Österreich, dass viele Aktionen mit dem Terrorismusparagrafen verfolgt werden.
UniStandard: Wie habt Weltsozialforum erlebt?
Behr: Grundsätzlich gut. Leider hat der Rektor der Uni Dakar, wo das Weltsozialform stattfand, zeitgleich die Prüfungswoche festgelegt. Dieser Schritt war zweifellos gegen die Aktivitäten des Sozialforums gerichtet und hat zu viel Chaos geführt.
Deimel: Es haben sich absurde Szenen abgespielt, ratlose Studierende, die nicht gewusst haben, was passiert, und die kurze Spontandemos gebildet haben, um ihren Hörsaal zurückzubekommen, in dem vielleicht gerade ein Workshop zum „Recht auf Bildung“ abgehalten wurde. Andererseits gab es auch Transparente wie „Nein zur Sabotage des Weltsozialforums durch den Rektor“.
UniStandard: Wie gestaltete sich euer Zeitplan in diesen drei Wochen?
Deimel: In der ersten Woche waren wir in Bamako und Nioro, wo wir Demos und Aktionen hatten. Die zweite Woche hielten wir in einigen Dörfern und interagierten mit der lokalen Bevölkerung. Wir organisierten etwa Frauentreffen. Den Schluss bildet das Weltsozialforum in Dakar.