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Die Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung vertieft die transnationale Vernetzung von Basisbewegungen

Von Dito Alex Behr (Paradigmata – März 2011)

Im Jänner und Februar 2010 zog die Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung, organisiert vom transnationalen Netzwerk „Afrique Europe Interact“ (AEI) während zwei Wochen durch Mali und Senegal. Der Start der 2300 km langen Reise, an der über 300 Aktivist_innen teilnahmen und die mit Bussen organisiert wurde, erfolgte in Bamako; letzte Station war Dakar, wo zu dieser Zeit das 11. Weltsozialforum stattfand. Inhaltlich verfolgte die Karawane das Ziel, antirassistische Basisinitiativen aus Europa und (West-) Afrika zu vernetzen. Denn angesichts der über 14.000 Toten, die das europäische Grenzregime seit den frühen neunziger Jahren direkt oder indirekt zu verantworten hat, ist es mehr als dringlich, sich für eine gänzlich andere Migrationspolitik stark zu machen und dafür neue Allianzen aufzubauen.

Aber auch kapitalismuskritische Fragestellungen standen ganz oben auf der Agenda des Protestzugs
So wurde vielfach das Recht auf Ernährung und der Kampf gegen Landgrabbing thematisiert, ebenso gewerkschaftliche Mobilisierung gegen Privatisierungen bzw. Freihandelsabkommen sowie Proteste gegen den Bau von Uran- oder Goldminen.

Transnationale Organisierung als voraussetzungsvoller Prozess

Selbstredend war die Karawane nicht aus dem Nichts entstanden: Vorangegangen war vielmehr ein spannender und vielseitiger Vorbereitungsprozess, der bereits mehr als ein Jahr vor dem Start der Reise begonnen hatte und der selbst aus transnationalen antirassistischen Kämpfen entstanden war: Zwei Aktive der malischen Organisation AME (Association des Maliens Expulsés – Vereinigung der Abgeschobenen Malis) nahmen im August 2009 am NoBorder Camp auf der griechischen Insel Lesvos teil. Ein zentraler Aktions-Fokus auf diesem Camp war die praktische Kritik an der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, die seit dem Jahr 2004 operiert und für zahllose Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen verantwortlich ist.1

Neben den Überlegungen zu antirassistischer Vernetzung von Unten war während den Vorbereitungen auch der Impuls wichtig, mit der Karawane kritisch an die Internationalismus- Bewegungen der 80er Jahre anzuknüpfen – vielfach wurde darüber diskutiert, wie transnationale Organisierung und Solidarität in Zeiten von Klimawandel, Kämpfen der Migration und multinationalen Konzernen eigentlich aussehen könnte.2

Im Juni 2010 schließlich wurde das Netzwerk Afrique-Europe-Interact bei einem antirassistischen Festival in der ostdeutschen Stadt Jena gegründet. Die europäische Sektion des Netzwerks setzt sich aus Gruppen zusammen, die bisher hauptsächlich in Bleiberechtskämpfen und anti-Abschiebungs-kämpfen aktiv waren; die westafrikanische Sektion von Afrique-Europe-Interact umfasst mittlerweile rund 40 Organisationen – ein Umstand, der auch auf die relative Organisierungsstärke fortschrittlicher NGOs und Basisbewegungen v.a. in Mali verweist.

Im Vorfeld der Karawane wurde eine breite Spendenkampagne lanciert, denn bald war absehbar, dass dieses politische Projekt entsprechend der hohen Teilnehmer_innenzahl nicht ganz billig sein würde. In Rechnung gestellt werden muss in diesem Zusammenhang auch, dass von Beginn an die Teilnahme von Aktivist_innen aus der Flüchtlings-Selbstorganisation zentrale politische Priorität hatte.3 Über vielfältigen Aktivitäten – Publikation von Artikel, Radiobeiträge, Veranstaltungen etc. – gelang es, Mittel zu aquirieren, um sowohl Reisekosten für prekär lebende Aktivist_innen aus Europa zu bezahlen, als auch eine Reihe von Kosten in Mali und Senegal zu übernehmen, die von der AME oder anderen Organisationen vor Ort schlicht nicht hätten getragen werden können.4 Diese Tatsache verweist bereits auf eine der zentralen Herausforderungen der Karawane: nämlich trotz des immensen ökonomischen Ungleichgewichts zwischen West-Afrika und Mitteleuropa eine dauerhaft angelegte Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe, sprich ohne paternalistische Bevormundungen, zustande zu bringen. Dementsprechend oft wurde während der Karawane darüber diskutiert, wie es gelingen könnte, das klassische Verhältnis der Hilfestellung, das von den meisten NGOs nach wie vor reproduziert wird, zu überwinden.

Aktionen und Debatten über 2300 km Strecke

Die Karawane verbrachte mehrere Tage in Bamako, die u.a. dazu genutzt wurden, um erste Plenas und Workshops abzuhalten, um in verschiedenen Radiostationen der Stadt über die anstehenden Aktivitäten zu informieren sowie um eine Demonstration zur französischen Botschaft zu organisieren.5 Die erste Station der Karawane war dann die Kleinstadt Nioro du Sahel an der Grenze zu Mauretanien im Norden des Landes. Dieser Ort wurde von den malischen Genoss_innen vorgeschlagen, weil in den letzten Jahren tausende Rückschiebungen von Migrant_innen, die auf dem Weg nach Marokko, die kanarischen Inseln oder auf spanisches Festland waren, nach Nioro stattgefunden haben. Diese Rückschiebungen wurden von mauretanischen Militärs in Zusammenarbeit mit Frontex durchgeführt. Nioro gilt deshalb zurecht als „Hotspot“ der Externalisierung des EU-Grenzregimes. Beim Grenzübergang wurde eine Demonstration organisiert, des weiteren ein Trauermarsch zum Gedenken an die Opfer der Festung Europa sowie ein abendliches Filmscreening.

Nach der Station in Nioro ging es zunächst wieder zurück nach Bamako, wo die Karawane sich mit einem weiteren Protestzug, der über Kamerun, Nigeria, Benin, Togo und Burkina Faso nach Mali gekommen war, vereinigte. Das Netzwerk AEI war also nicht der einzige Zusammenhang, der kollektiv organisiert zum Weltsozialforum fuhr.6

Die weiteren Stationen der Karawane waren Kayes in West-Mali, sowie Tambakunda und Kaolack im Senegal. Einen wichtigen Stellenwert hatte das Forum für afrikanische feministische Bewegungen, das in Kaolack stattfand.

Beim Sozialforum in Dakar schließlich brachte sich das Netzwerk AEI mit mehreren workshops ein, u.a. mit einer Veranstaltung zu Arbeitsbedingungen von Migrant_innen in Europa. Dort sprach neben anderen auch Spitou Mendy, der vor zehn Jahren aus Senegal nach Spanien emigriert ist und heute in Almería, im südlichen Teil Andalusiens, als Gewerkschafter arbeitet. In dieser Region, die zum Symbol für die Über-Ausbeutung von migrantischen Landarbeiter_innen in der industriellen Landwirtschaft wurde, ist Mendy in der Gewerkschaft SOC aktiv, die als einzige Organisation die Interessen der – oft illegalisierten – Arbeitsmigrant_innen vertritt.7

Des weiteren organisierte das Netzwerk AEI eine Demonstration zum Sitz von Frontex in Dakar. Diese Demonstration war auch im Kontext des Weltsozialforums, bei dem über 40.000 Menschen teilnahmen, eine sichtbare und breit rezipierte Intervention gegen das europäische Grenzregime.

Perspektiven

Insgesamt kann gesagt werden, dass mit der Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung zumindest der Anfang gemacht wurde – in dem Sinn, dass eine kontinuierliche Zusammenarbeit von Basisbewegungen erst im Aufbau ist und bestimmt noch viel Engagement und Arbeit erfordert. In diesem Sinn richtet sich die Aufmerksamkeit der Aktivist_innen des Netzwerks aktuell auf die Ereignisse in den Ländern des Maghreb: Die AME empfängt seit März tausende Rückgeschobene aus Libyen, viele von ihnen haben traumatische Erlebnisse hinter sich. Des weiteren soll demnächst eine europäische Delegation von AEI nach Tunesien reisen, wo sich nach den revolutionären Umwälzungen neue Perspektiven für soziale Bewegungen eröffnen. All diese Ereignisse sind Grund genug, transnationale Solidaritätsarbeit weiter zu stärken und aufzubauen.

D.A.Behr ist im Netzwerk Afrique-Europe-Interact aktiv und promoviert an der Uni Wien zum Thema: „Landwirtschaft, Migration, Supermärkte: Ausbeutung und Widerstand entlang der Wertschöpfungskette von Obst und Gemüse“. Kontakt: plastik.meer@reflex.at

Fußnoten:

1 Frontex (aus dem französischen für frontières extérieures) koordiniert den Schutz der europäischen Außengrenzen. Die Agentur wurde 2004 auf der Grundlage einer Verordnung des Rates der Europäischen Union gegründet. Frontex hat ein Verfahren der Überwachungs- und Sicherungstechnologien für Grenzen entwickelt. Die Agentur unterstützt die EU-Mitgliedsstaaten auch bei der Rückführung von Flüchtlingen und patrouilliert selbst an den Grenzen rund um den Mittelmeerraum, aber auch weit innerhalb des afrikanischen Kontinents, beispielsweise vor den Küsten Senegals.

2 Vgl dazu „Zur Notwendigkeit der politischen Neu-Ausrichtung von transnationaler Organisierungs- und Solidaritätsarbeit ?Kampagnen an der Schnittstelle von antirassistischen sowie klima- und landwirtschaftspolitischen Netzwerken zwischen Europa und Afrika“ (D.A. Behr, grundrisse nr 36), bzw. dem Wochendendseminar „Internationalismus reloaded“, am 16. und 17.4.2011 in Berlin. Siehe http://internationalismusreloaded.blogsport.de/2011/02/22/erster-eintrag/

3 (Ehemalige) Flüchtlinge und Migrant_innen, die in verschiedenen Ländern Europas leben, nahmen an der Reise teil und berichteten bei Diskussionsveranstaltungen, Demos oder Konferenzen in Mali und Senegal von ihren Organisierungs-Erfahrungen gegen institutionellen Rassismus, für Bleiberecht sowie für bessere Arbeitsbedingungen. Besonders zu erwähnen ist die Teilnahme einer Delegation der Pariser Sans Papiers (http://ministere-de-la-regularisation-de-tous-les-sans-papiers.net/joomla1.5/). Die meisten Mitglieder dieser Delegation waren selbst Migrant_innen aus Mali, die sich über die Jahre in Frankreich einen Aufenthaltstitel erkämpft haben.

4 Trotz der Tatsache, dass die Spendenkampagne verhältnismäßig gut funktioniert hat, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Schulden des Netzwerks AEI leider noch nicht zu Gänze abbezahlt sind. Aus diesem Grund sind weitere Unterstützungsbeiträge, sowie Ideen für Veranstaltungen sehr willkommen! Kontakt: plastik.meer@reflex.at

5 Hintergrund für die Protestaktion vor der französischen Botschaft war der Umstand, dass einem in Paris lebenden Migranten von den französischen Behörden die Wieder-Einreise nach Europa verwehrt wurde. Siehe Video-Clip auf der homepage von AEI: http://www.afrique-europe-interact.net/index.php?article_id=379&clang=0

6 Zu erwähnen ist auch die Karawane von Rabat (Marokko) nach Dakar. Mitorganisator dieser Karawane war Fabien Yene Didier, dessen Buch „Bis an die Grenzen – Chronik einer Migration“ im April 2011 auf deutsch beim Drava Verlag erschienen ist (www.drava.at). Yene schildert in seiner Erzählung seine eigene Migration von Kamerun nach Marokko. Der Autor war beim Massenansturm auf die Grenzzäune von Ceuta und Melilla mit dabei. Insgesamt versuchte Yene 28 Mal, die Grenzzäune zu überwinden. Heute lebt er als antirassistischer Aktivist in Rabat.

7 Mehr infos zum Thema in der Broschüre: „Peripherie & Plastikmeer – Globale Landwirtschaft, Migration, Widerstand“, frei downloadbar als .pdf unter: http://no-racism.net/article/2548/. Kann gegen freie Spende bestellt werden unter plastik.meer@reflex.at (112 Seiten).