Neokoloniale Wohlfahrtsrallye
Die antirassistische Karawane zum Weltsozialforum in Dakar trifft auf die Autorallye "Budapest-Bamako". Ein Video dokumentiert den Alltagsrassismus der Fahrer
Nachdem die Rallye Paris-Dakar wegen Kritik und Anschlagsdrohungen nicht mehr den Norden Afrikas durchquert, hat jetzt ein Discounter-Projekt den freigewordenen Platz eingenommen. Die jährliche Rallye Budapest-Bamako wirbt mit niedrigen Startgebühren und rechnet vor, dass der Trip für rund 1.825 Euro zu haben ist. Falls das Fahrzeug im Zielland Mali verkauft wird, könnten sogar diese Kosten gespart werden. Die Organisatoren werben für die Veranstaltung als “Wohlfahrtsrallye”, da zuvor schon Fahrzeuge an Schulen verschenkt oder Brunnen gebaut wurden. Dieses Jahr waren laut dem Veranstalter 150 Teams am Start.
Während die Möchtegern-Rennfahrer aus 35 Ländern durch den revolutionsgeschüttelten Maghreb peitschen, ist eine andere große Reisegruppe ebenfalls nach Dakar unterwegs und hat sich hierfür ambitionierte politische Ziele gesetzt. Die Bamako-Dakar-Karawane für Bewegungsfreiheit und selbstbestimmte Entwicklung ist letzte Woche zum Weltsozialforum im Senegal aufgebrochen. Die afrikanischen und europäischen Aktivisten reisen ebenfalls in Autos und Bussen und wollen unterwegs gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex demonstrieren.
Frontex wähnt die Außengrenzen der Europäischen Union längst mitten in Afrika und ist etwa in Mauretanien, Senegal, Kapverden und Guinea sehr aktiv. Zusammen mit der in Bamako ansässigen “Assoziation der Abgeschobenen Malis” (AME) organisiert die Karawane Treffen mit der lokalen Bevölkerung und thematisiert die Hintergründe von Flucht und Migration, die Zerstörung kleinbäuerlicher Landwirtschaft oder Auswirkungen des Klimawandels auf afrikanische Länder.
Auf der Rückfahrt von einer Veranstaltung in der südlichen Sahelzone sind die Aktivisten letzte Woche auf mehrere Jeeps der Rallye “Budapest-Bamako” getroffen, die mit Ochsenschädeln behängt vor einem Restaurant geparkt hatten. Ein Filmteam der Karawane hatte die Motoristen interviewt und dabei eine gehörige Portion Neokolonialismus zutage gefördert, der sich bei Betrachtung des jetzt online gestellten Videos mit einer unangenehmen Herrenmenschen-Mentalität paart.
Die Fahrerteams lassen sich von Kindern Essen bringen, was sie mit überheblichen Blicken und Gesten quittieren. Gleichzeitig schwadronieren sie vom Mythos eines “wilden Afrika”. Auf Nachfrage, was damit gemeint sei, wird unter anderem erklärt, dass die Fahrzeuge mit Steinen beworfen würden: “So machen sie das hier in Afrika.”. Eher nebenbei fällt der Grund dafür: In einem Dorf auf der Strecke wurden zwei Kinder überfahren. Die Fahrer bereiten sich von vornherein auf Fahrerflucht vor: “Wenn man eine Kuh überfährt oder einen Hund oder ein Huhn, dann musst du einfach weg.”
Die ungarischen Veranstalter der Rallye hatten den Unfall zuvor abgestritten. “Rallyes dieser Art gehören abgeschafft!”, kritisieren die afrikanischen und europäischen Organisatoren der Karawane zum Weltsozialforum. Mit ähnlichen Vorwürfen war bereits die damalige Rallye “Paris-Dakar” angegriffen worden, die zwar immer noch den gleichen Namen führt, seit 2009 allerdings nach Brasilien ausgewichen ist.
Die Teilnehmer der Rallye freuen sich über die schützende Hand von Militär und Polizei
Die Karawane hat bereits turbulente Zwischenstopps hinter sich. Beim Umsteigen auf dem Flughafen in Paris nach Bamako hatten Aktivisten zusammen mit anderen Fluggästen lautstark gegen eine Abschiebung in der Maschine der Air France protestiert. Der Abzuschiebende hatte sich selbst gegen die Prozedur gewehrt und war brutal zum Schweigen gebracht worden. Die Maschine hob nicht ab und kehrte zum Gate zurück, 20 Personen mussten das Flugzeug verlassen und wurden am Ausgang von der Polizei überwältigt. Dabei machen die Beamten auch nicht vor Kleinkindern halt, die mit Gewalt von ihren Eltern weggerissen wurden.
Die verspätet in Bamako Angekommenen waren zwar von den Aktivisten in Mali herzlich empfangen worden. Der gemeinsame Protest vor der französischen Botschaft gegen die Abschiebungen nach Mali wurde indes von der einheimischen Polizei Riot-Polizei und Tränengas quittiert, obgleich die Demonstranten lediglich Parolen riefen und einen Brief an den Botschafter übergeben wollten.
Die Teilnehmer der Rallye indes freuen sich über die schützende Hand von Militär und Polizei. Kein Wunder, denn die G8-Staaten und die Europäische Union, aus denen sich die Fahrer der zweifelhaften Reiseveranstaltung rekrutieren, haben längst ein Auge auf die nördliche und südliche Sahel-Region geworfen. Zur Migrationsabwehr werden Außenposten weit weg von der EU errichtet und Polizeien in Aufstandsbekämpfung unterrichtet. Die Regierungen erhalten Finanzmittel für bessere Überwachung der Grenzen oder den Bau neuer Abschiebezentren.
Während Menschenrechts- und Bleiberechtsaktivisten in Frankreich und Mali von der Polizei zusammengeknüppelt werden, sorgt sich die EU um den Ausbau gemeinsamer Polizeistrukturen in Westafrika. Unter dem Titel “Die externe Dimension europäischer Polizeikooperation” werden Maßnahmen vorgeschlagen, die aus einem gemeinsamen Treffen des Rates und Interpol hervorgegangen sind. Neben der Bündelung und Ausweitung bereits vorhandener Projekte soll vor allem die “operationelle” Zusammenarbeit entwickelt werden. In Partnerschaften mit “Interessensgruppen” und nationalen Polizeien sollen etwa neue Polizeidatenbanken eingerichtet werden, auf die alle Polizeibehörden Westafrikas Zugriff haben. Gefordert wird ein “integrierter und ganzheitlicher Ansatz”, was gemeinhin als zivil-militärische Kooperation verstanden wird.
Matthias Monroy, 06.02.2011