Von Bamako nach Dakar
Protesttour für globale Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung
Hagen Kopp (kein mensch ist illegal Hanau)
Gegenseitige Besuche, gemeinsame Aufrufe, abgestimmte Aktionen: die euro-afrikanische Vernetzung im Kampf gegen das EU-Grenzregime hat sich spätestens seit 2006 kontinuierlich weiterentwickelt. Mit einer Buskarawane ist für Anfang 2011 nun ein ganz besonderes Zusammentreffen von BasisaktivistInnen der zwei Kontinente in Vorbereitung.
Die Gründung der AME, der Assoziation der Abgeschobenen aus Mali, fällt nicht zufällig ins Jahr 1996. Den damaligen Kampfzyklus der Sans Papiers in Frankreich, der Papierlose in ganz Europa zum Handeln ermutigte, führten westafrikanische MigrantInnen an. Einige AktivistInnen wurden im weiteren Verlauf nach Mali abgeschoben, am Flughafen in Bamako kam es zu Solidaritätsdemonstrationen für sie. In dieser Widerstandsphase entstand die AME, sie konnte sich in den Folgejahren aber noch nicht als kontinuierlicher Akteur stabilisieren. Erst 2006 – unter dem Eindruck der Ereignisse in Ceuta und Melilla (1) – sowie im Zuge eines Treffens des Weltsozialforums in Bamako, erlebte die Selbstorganisation einen neuen Aufschwung. Ein migrationspolitischer Appell (2) wurde verabschiedet, der einige Publizität erhielt, und Vertreter der AME sind seitdem vielgefragte Referenten in Europa. Sie kritisieren scharf die Externalisierungspolitik der EU (3), und dass das Rückübernahmeabkommen zwischen Frankreich und Mali bis heute nicht unterzeichnet ist – eine seltene Ausnahme im frankophonen Afrika – geht nicht zuletzt auf den Einfluss und die Mobilisierungsfähigkeit der AME zurück. Ihre Aktiven, die am Flughafen und in malischen Grenzstädten Abgeschobene betreuen, verweigern jede Zusammenarbeit mit dem Cigem (4) und sie beteiligen sich an transnationalen Aktivitäten des Noborder-Netzwerks mit einer klaren Positionierung gegen Frontex. Als Projektpartner von medico international und gefördert von Pro Asyl waren Sprecher der Gruppe mehrfach in Deutschland, zuletzt beim Karawanefestival in Jena (5).
Auf Initiative der AME laufen nun die Vorbereitungen für einen euro-afrikanischen Basisaustausch der besonderen Art. Eine Karawane mit fünf Bussen wird in Bamako starten und über mehrere Zwischenstationen Kurs auf die senegalesische Hauptstadt Dakar nehmen. 200 afrikanische AktivistInnen und 50 aus Europa reisen gemeinsam zwei Wochen durch Westafrika. In der europäischen Delegation befinden sich (Ex-)Flüchtlinge und MigrantInnen, die das europäische Lager- und Abschieberegime selbst erlebt und erfolgreich dagegen gekämpft haben. Projekt ZURÜCK (6) lautet eine entsprechende Spendenkampagne für die Tour, um die Reisekosten für alle Beteiligten aufzutreiben. In Versammlungen und mittels einer Revue mit Film- und Theateraufführungen wird der Austausch von Erfahrungen mit dem repressiven europäischen Migrationsregime vorbereitet. Doch in den Stationen und Begegnungen vor Ort sollen gleichzeitig die Hintergründe für Flucht und Migration zur Sprache kommen. Denn nicht weniger wichtig als das „Recht zu gehen“ ist das „Recht zu bleib en “, also die Möglichkeit, im Herkunftsland ein Leben unter sicheren, würdigen und selbstbestimmten Bedingungen zu führen. Mit an Bord der Buskarawane sind deshalb auch Aktive aus malischen Basisinitiativen und Netzwerken (7), die sich gegen neokoloniale Dominanz- und Ausbeutungsverhältnisse zur Wehr setzen – beispielhaft erwähnt sei der derzeit stattfindende Ausverkauf afrikanischer Böden an global operierende Investmentsfonds, Banken und Konzerne. Alle TeilnehmerInnen des ambitionierten Projektes eint die grundsätzliche Überzeugung, dass sich an den derzeitigen Verhältnissen nur etwas ändern lässt, wenn soziale Basisbewegungen aus Afrika und Europa in großem Stil gleichberechtigt, verbindlich und direkt zusammenarbeiten. Insofern zielt die transnational zusammengesetzte Tour auf die Erweiterung direkter Kontakte und die Vertiefung der Zusammenarbeit. Eine kleine Vorhut aus Europa war Ende Oktober in Mali zur gemeinsamen Vorbereitung, die Kabel zwischen Bamako und Bremen (8) laufen heiß, in parallelen Treffen nimmt das Programm zunehmend Gestalt an. Doch ob und wie sich der Anspruch auf eine „Kooperation in Augenhöhe“ konkret und praktisch umsetzen lässt, bleibt angesichts der materiellen, sozialen und kulturellen Kluften eine spannende Frage. (Aktivistische) BesucherInnen aus einer der reichsten Weltregionen treffen auf (aktivistische) GastgeberInnen sowie Bevölkerung in einem der ärmsten Länder dieses Planeten. Sich in diesem Gefälle gleichberechtigt zu bewegen, dürfte nicht die kleinste Herausforderung dieser Reise sein.Ein erstes Drehbuch für das gemeinsame Finale der Tour Afrique ist dennoch bereits entworfen. Die fünf Busse aus Mali sowie Protestkarawanen aus anderen Teilen Afrikas sollen Anfang Februar gemeinsam zur Eröffnung des Weltsozialforums (9) in Dakar einfahren. Im Hafen treffen sie auf 100 Pirogen, mit denen senegalesische AktivistInnen in Form einer Regatta gegen den Frontex-Einsatz vor der westafrikanischen Küste protestieren. Beeindruckender könnte die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit kaum in Szene gesetzt werden.
1) Beim versuchten Sturm mit selbstgebauten Leitern auf die Zäune der spanischen Enklaven wurden im Oktober 2005 in Ceuta und Melilla 14 MigrantInnen von marokkanischen und spanischen Grenzsoldaten getötet.
2) Bamako-Appell vom Januar 2006 für die Würde und Respekt gegenüber MigrantInnen;
3) Vorverlagerung der Migrationskontrolle u.a. nach Westafrika;
4) Das Cigem ist ein von der EU finanziertes Informationszentrum, um sowohl Migrationspolitik wie auch Migrationsbewegung in Mali zu beeinflussen.
5) Im Juni 2010 mit dem Titel “Vereint gegen koloniales Unrecht in Erinnerung an die Toten der Festung Europa”, siehe AK ..
6) Mehr dazu auf der sehens- und lesenswerten Webseite, auf der auch die Gesamtspendenkampagne erläutert ist: www.afrique-euro-interact.net
7) Diese Gruppen sind Teil einer lebendigen Zivilgesellschaft, die sich in den 90er Jahren in Mali entwickelt hat – siehe den Text zu Mali auf dieser Seite.
8) Die meiste Koordinations- und Kommunikationsarbeit wird von der NoLager-Gruppe in Bremen geleistet.
9) Das WSF beginnt am 6. Februar in Dakar.
Erschienen in: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 556 / 17.12.2010