Winter 2008 | Entwicklungshilfe für kapitalistische Aneignung
Die zwei Geschichten der Economic Partnership Agreements
Von Frauke Banse
Die Welthandelsorganisation (WTO) steckt fest. Rivalitäten zwischen den USA und der Europäischen Union, Interessen der wirtschaftlich aufstrebenden Staaten wie Indien oder Brasilien, aber auch Koalitionen von ärmeren Entwicklungsländern blockieren sie. Parallel dazu geriet die WTO durch Proteste, angefangen in Seattle, in eine öffentliche Legitimationskrise. Doch ist damit das Projekt der weltweiten Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung ebenfalls ins Stocken geraten? Mitnichten. Jetzt werden bilaterale Freihandelsabkommen abgeschlossen, die über die bisherigen Vereinbarungen in der WTO weit hinaus gehen. Die EU ist dabei treibende Kraft und versucht so die Interessen ihrer Konzerne zu bedienen. Im Moment verhandelt sie darüber mit Staaten aus Afrika, der Karibik und des Pazifik. Was verbirgt sich hinter diesen “Wirtschaftspartnerschaftsabkommen”, die, geht es nach dem Willen der Europäischen Kommission, Ende 2007 abgeschlossen sein sollen?
Die Geschichte der “Economic Partnership Agreements” (EPAs), die zur Zeit zwischen der EU und ihren ehemaligen Kolonien in Afrika, der Karibik und der Pazifikregion (AKP-Staaten) ausgehandelt werden, kann von zwei Seiten erzählt werden. Die erste Version der Geschichte wird zum Beispiel vom BMZ erläutert: Mit Hilfe der EPAs werden “Handels- und Entwicklungspolitik kohärent verbunden”. Dies gelänge so gut, weil die EPAs Teil des Abkommens von Cotonou sind, in denen die EU ihre Beziehung zu den AKP-Staaten neu regelt. Die Vertragspartner streben nach guter Regierungsführung, Bekämpfung der Armut und – endlich – Weltmarktintegration der ehemaligen Kolonien. Die EPAs sollen nun den Handel zwischen der EU und den AKP-Staaten “WTO-konform” gestalten und diesen Ziele dienen. Bisher konnten die AKP-Staaten viele ihrer Produkte zollfrei auf den europäischen Markt exportieren. Das soll sich jetzt ändern. Die EPAs schreiben vor, dass nun auch die AKP-Staaten ihre Zollschranken fallen lassen müssen. Im BMZ und in der EU ist bekannt, dass Zölle fragile Ökonomien schützen können. Um der schönen Ziele von Cotonou willen “flankieren” deutsche und europäische Entwicklungshilfe diese Liberalisierungen, heißt es im Ministerium. Dem “Sachzwang WTO” erlegen, bietet der starke dem schwachen Partner freundlich “Anpassungshilfen” und Unterstützung beim “Kapazitätsaufbau” an und verkündet, die Marktöffnung solle “vorsichtig” erfolgen. Und hier endet dann auch schon die erste Version der EPAs-Erzählung.
Erzwingende Hilfe
Soweit so gut. Und doch dramatisch genug. Dass beispielsweise afrikanische Märkte durch Dumping von allerlei Billiggütern aus der EU – von Hühnchenschenkeln bis zu Tomatenmark – zerstört werden, ist bekannt. Zudem gehen den öffentlichen Haushalten durch Zollsenkungen wichtige Einnahmen verloren, die dann nicht mehr für Infrastruktur und Soziales zur Verfügung stehen. Bis zu 40% der AKP-Staatseinnahmen speisen sich aus Zöllen.
Im Glauben an “das Gute” im Cotonou-Abkommen – die Armutsbekämpfung – meinen auch einige europäische NGOs, die EPAs “für die Armen brauchbar” machen zu können. (1) Manche fordern gar mehr Entwicklungshilfe, um die Anpassungskosten an die Liberalisierung tragbar zu machen. (2) Doch daran zu glauben, dass “Anpassungshilfe” und etwas mehr Zeit für die Zollsenkung “den Armen” hilft, ist nicht nur angesichts der massiven wirtschaftlichen Ungleichheit der AKP-Staaten im Verhältnis zur EU absurd. Die AKP-Staaten werden auch bei noch so viel “Anpassungshilfe” nicht mit der EU konkurrieren können. Vollkommen ausgeblendet wird auch, was die Verknüpfung von Entwicklungshilfe mit Handelspolitik bedeutet: Auch schon vorher waren Entwicklungsgelder an Liberalisierungs- und Privatisierungsprogramme gebunden. Die explizite Verknüpfung zwischen “Entwicklung” und “Handel” wird im Abkommen von Cotonou verstärkt. Die Freihandelsabkommen können den AKP-Staaten abgepresst werden. Nur wer unterzeichnet bekommt noch Gelder aus dem europäischen Topf.
Jenseits der Zollsenkung
Auch im Entwicklungshilfeministerium kursiert – zumindest andeutungsweise – dass es noch eine zweite Erzählvariante der Geschichte der EPAs geben könnte. Dort ist man der Ansicht, dass die EPAs einen “breiteren” Ansatz als den des Marktzugangs verfolgen. Regionale Integration soll gestärkt, Produktions- und Handelskapazitäten aufgebaut werden. Und hinter dem anvisierten Ziel “entwicklungsförderliche Gestaltung handelsbezogener Themen” sollen Wettbewerb, Investitionen und öffentliche Auftragsvergaben neu justiert werden. Begründet wird eine solche Regulierung im Investitionsbereich aus “entwicklungspolitischer Sicht”. (4) An dieser Stelle wird klar: Es geht um weit mehr als um einen liberaleren Güterhandel nach Gusto der WTO. Die WTO-Verhandlungen um die “handelsbezogenen Themen”, die weit über die Senkung von Zöllen hinaus gehen, sind teils von Länderkoalitionen abgelehnt, teils ins Stocken geraten. Mit den neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen soll nun auf bilateralem Weg all das durchgedrückt werden, was auf multilateraler Ebene nicht möglich war. So können Dienstleistungen und Investitionen liberalisiert und geistige Eigentumsrechte ausgedehnt werden. Nochmal: Es geht nicht nur um den Handel mit bereits produzierten Gütern oder geförderten Rohstoffen, sondern um die Regulierung der Produktion selbst und damit um die umfassende Aneignung von Land, natürlichen Ressourcen, Arbeitskräften, Wissen und Produktionsmitteln durch europäische Konzerne – und um die international einklagbare Absicherung dieser Eigentumsverhältnisse. Am einfachsten geht das für die EU dort, wo der Kapitalismus nur wenig entwickelt ist: Subsahara Afrika. Der Widerstand der Unternehmen ist schwach, ebenso die Macht der Gewerkschaften. Genau so können Geschichte und Zielperspektive der EPAs eben auch erzählt werden. Die EU ermöglicht umfassende Handels- und Produktionsstandards im Sinne ihrer Konzerne und “flankiert” das mit Entwicklungshilfe.
Entwicklung oder kapitalistische Aneignung?
In ihrem EPAs-Investitionskapitel fordert die EU, dass vor ausländischen Direktinvestitionen wirtschaftliche, ökologische und soziale Folgen nicht abgeschätzt werden müssen. Umwelt-, Sozial- und ArbeitnehmerInnenstandards sind nicht von Interesse. Außerdem sollen in den AKP-Staaten investierende Unternehmen noch leichter als bisher Gewinne außer Landes schaffen können, keine oder nur sehr wenig Steuern zahlen und Gewinne nicht reinvestieren müssen. Auch die öffentliche Aufsichtsfunktion in den investierenden Unternehmen soll stark eingeschränkt und inländische Unternehmen gleich behandelt werden wie europäische. So wird eine vernichtende Konkurrenzsituation geschaffen und einer Monopolisierung des Kapitals Tür und Tor geöffnet. Schon heute werden multinationalen Konzernen in AKP-Staaten freie Hand gewährt – im Glauben an die uneingeschränkte Notwendigkeit von ausländischen Direktinvestitionen. Ihnen werden Steuern im großen Stil erlassen, sie dürfen sich von der Versorgung unprofitabler Kunden oder Regionen zurückziehen, die Umwelt vergiften und heimische ArbeiterInnen zu Hungerlöhnen beschäftigen. Die neue Qualität der EPAs: All das wäre dann international einklagbar und auf lange Zeit festgeschrieben. Bereits bestehende bilaterale Investitionsabkommen zum reinen Vorteil europäischer Investoren werden verschärft und auf andere Staaten ausgedehnt.
Im Bereich Dienstleistungen sieht es nicht anders aus. Im EPAs-Forderungskatalog wird dieses wirtschaftliche Hauptinteresse der EU an die Liberalisierung von Investitionen gekoppelt. Dienstleistungen lassen sich vielfach nur direkt vor Ort verkaufen. Mächtige europäische Konzerne wünschen offene Märkte für ihre Finanzdienstleistungen, Wasser- und Abwasserversorgung, Energie, Transport oder Kommunikation, Groß- und Einzelhandel, Tourismus. Im WTO-Abkommen zu Dienstleistungen (GATS) werden jeweils einzelne zu liberalisierende Bereiche ausgehandelt. Nicht so in den EPAs. Dort soll “substantiell weit” liberalisiert werden. In Anbetracht des Umfangs dieser Sparte und der geringen Verhandlungsmacht der AKP-Staaten ist absehbar, dass nur ein, zwei Sektoren von der Marktöffnung ausgeschlossen sein werden. Sind die EPAs erst einmal unterschrieben, können Unternehmen in einen stark reglementierten Bereich vorstoßen, öffentliche Dienstleistungen werden zur Ware und Privatisierungen z.B. der Elektrizitäts- oder Wasserversorgung sehr wahrscheinlich. Durch den Aufkauf z.B. inländischer Banken durch europäische kommt es zu weiteren Monopolisierungen, zum Rückzug von weniger rentablen Kunden und Regionen. Tourismusunternehmen können sich niederlassen und nach Belieben auch in ökologisch sensiblen Regionen so viel Natur verbrauchen, wie sie möchten etc. Das findet bereits jetzt alles schon statt, richtig, aber: Werden Regierungen durch gesellschaftlichen Druck genötigt, private Unternehmen zu regulieren und ihnen Auflagen zu machen oder gar die privatisierten Dienstleistungen wieder zur öffentlichen Domäne zu erklären, werden sie nach den Regeln der EPAs mit harten Strafen rechnen müssen. Damit wird unmöglich, Privatisierungen wie im bolivianischen Cochamba geschehen, rückgängig zu machen.
Transparenz heißt: “nur der billigste darf bauen”
Auch das öffentliche Beschaffungswesen ist für die EU von Interesse – schließlich machen staatliche Aufträge zwischen 10-20% des Bruttoinlandsprodukts in AKP-Staaten aus. Ein lukrativer Markt also. Bei öffentlichen Maßnahmen, beispielsweise dem Bau von Schulen oder Straßen ist es Regierungen prinzipiell möglich, gezielt benachteiligte gesellschaftliche Gruppen, Regionen oder spezielle Wirtschaftszweige zu fördern, indem sie an diese Aufträge vergibt. Natürlich können sie dabei auch auf Umwelt- und Sozialstandards bestehen. Das BMZ verkündet nun, mithilfe der EPAs die Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verbessern zu wollen. Das klingt erstmal gut. Etwas klarere Worte spricht die Europäische Kommission. Sie macht deutlich, dass die EPAs neben der Transparenz auch Wettbewerb und Effizienz als verpflichtende Kriterien bei den Vergaberichtlinien festschreiben sollen. Sie fordert, dass Regierungen den jeweils billigsten Anbieter fördern – ungeachtet der Folgen für Umwelt und Soziales, für ArbeitnehmerInnenrechte, regionale Förderung etc. Die EU will sogar Entschädigungsklauseln für jene Firmen festschreiben, die durch eine Nichtbeachtung dieser Regeln wirtschaftlich geschädigt wurden – selbstverständlich vom jeweiligen AKP-Staat zu entrichten. Der Partnerschaftsvertrag soll eine pikante Ausnahme enthalten: Wurde bei der Vergabe von europäischer Entwicklungshilfe festgelegt, dass mit diesen Geldern nur bei europäischen Firmen eingekauft werden darf, dann gestatten die EPAs dies ausnahmsweise – auch dann, wenn es z.B. billigere heimische Anbieter gibt.
Das WTO-Abkommen über geistige Eigentumsrechte (TRIPS) soll ausgedehnt werden, um in allen AKP-Staaten nationale Patentrechte zu fixieren – beispielsweise für pflanzliche oder tierische Gene. Das TRIPS-Abkommen ist in vielen AKP Staaten noch nicht umgesetzt. Entweder hat die WTO Ländern, die zu den so genannten Least Developed Countries (LDCs) gehören, bis zum Jahr 2013 Zeit für die Umsetzung gewährt, oder sie sind gar nicht Mitglieder der WTO. Letzteres betrifft immerhin 21 von 78 Staaten. Wie bei anderen Themen auch, gehen die EPAs über die bestehenden WTO-Regeln hinaus. Das TRIPS gestattete noch Ausnahmen von geistigen Eigentumsrechten – beispielsweise das Kopieren von Lehrmaterial. Ein Schulbuch kann in Mali 5% des Jahreseinkommens kosten. Wenn nach dem Willen der EU auch diese Ausnahmen gestrichen werden, sind die bildungspolitischen Konsequenzen offensichtlich. Oder: Unternehmen sollen mit Hilfe der EPAs den Zugang zu öffentlichen Datenbanken beschränken können. Sie könnten dann erwirken, dass beispielsweise die Arbeit des ghanaischen Environmental Information Network, das Ministerien, Umweltorganisationen oder WissenschaftlerInnen Daten zur Verfügung stellt, für illegal erklärt wird.
Druckmittel “Kohärente Entwicklungshilfe”
Bei der WTO Konferenz in Cancun 2003 verhinderte ein breites Bündnis von Entwicklungsländern Verhandlungen über die so genannten “Singapur-Issues” – Investitionen, öffentliches Beschaffungswesen und Wettbewerbsregeln. Die meisten AKP-Staaten wollen auch zukünftig weder die Singapur Issues nochgeistige Eigentumsrechte oder Dienstleistungen in den EPAs verhandeln. Sie lehnen die EPAs als WTOplus- Vertrag ab. Dennoch besteht die Gefahr, dass die AKP-Länder Ende 2007 in den Verhandlungen den EPAs vollständig zuzustimmen.Oder sie könnten sich erstmal nur auf die Zollsenkung für Güter festlegen, sich aber gleichzeitig verpflichten, die “WTOplus” Themen zeitnah weiterzuverhandeln. Wieso aber besteht überhaupt die Gefahr, dass die AKP-Staaten diesem verheerenden Abkommen zustimmen? Hier wirkt die Kohärenz von Entwicklungs- und Handelspolitik. Vor dem Hintergrund langjähriger Abhängigkeiten kann nun die Europäische Kommission etwa der Pazifikregion mit dem Entzug bereits zugesagter Entwicklungsgelder drohen, sofern sie die EPAs nicht unterschreibt. Oder sie kann die afrikanischen Staaten mit Mitteln aus dem Entwicklungshilfefonds bestechen: Die volle Summe bekommen sie nur, wenn der Vertrag wie vorgesehen Ende 2007 unterzeichnet wird,etwas weniger, wenn sie wenigstens in den Verhandlungen bleiben.
Europa erobert die Welt
Klar ist: Der Europäischen Union geht es nicht nur um den Marktzugang für bereits produzierte Güter. Hier stellt sie zu Recht fest, dass die AKP-Märkte für sie nicht von großem Interesse sind. Sie verkauft die EPAs als entwicklungspolitische Wohltat. Sie verspricht Zollausfälle zu kompensieren, Zeit für die Zollsenkung und Ausnahmen für besonders sensible Produkte zu gewähren. Der Kern dessen, was die EPAs ausmachen, gerät aus dem Blick. Unter dem harmlos klingenden Label “handelsbezogene Themen” werden Besitzverhältnisse, öffentliche Fördermaßnahmen und Dienstleistungen wie die Versorgung mit Wasser und Strom nach europäischen und Konzern-Interessen umgestaltet, ebenso wie Umwelt- und Sozialgesetze, Regeln für Besteuerung und Wettbewerb. Die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse werden über ein internationales Abkommen weiter festgeschrieben. Mit beruhigenden Verweisen auf “Entwicklungshilfe” und “Armutsbekämpfung” werden demokratische Spielräume und staatlicheSouveränität umfassend beschnitten. Die EPAs sind eine antidemokratische Großattacke zu Gunsten europäischer Konzerne.
Frauke Banse ist Redakteurin bei Fantômas und ist aktiv in der Stop-EPAs-Projektgruppe von attac.
Zum Weiterlesen:
Was sind EPAs? Factsheets von der Stop EPAs Kampagne. Download unter: www.attac.de/wto/bilder/epas/factsheet_EPAs.pdf
Anmerkungen:
1) So der Name einer NGO-Konferenz “Making EPAs work for the poor” im Oktober 2005 in Bonn.
2) S. Beiträge von Rampa und Ulmer in: Making EPAs work for the Poor (2005), Economic Partnership Agreements (EPAs) and Political Alternatives, Konferenzbericht. www.epa2007.de/upload/pdf/epa_alternatives_2005.pdf
3) BMZ (2007): Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen AKP-Staaten und der EU, BMZ Materialien 174, S.11, www.bmz.de/de/service/infothek/fach/materialien/Materialie174.pdf
4) Ebd., S. 9.
Quelle: Fantomas – Magazin für linke Debatte und Praxis / Nr. 12 / Winter/Frühjahr 08