WIDERSTAND IN WESTAFRIKA GEGEN PRIVATISIERUNG UND VERELENDUNG
Von W.Hajek/P.Bach/N.Roth
Die Bürgerkarawane in Mali für die Rücknahme der Privatisierung der Bahn Westafrika mit seinem frankophonen kolonialen Hintergrund wird in den letzten Jahrzehnten genauso von dem anlagesuchenden Kapital heimgesucht wie andere Regionen Afrikas. Im Oktober 2003 wurde die historische Bahnstrecke von Dakar nach Bamako, die von einheimischen Sklaven unter französischer Kolonialverwaltung gebaut wurde, privatisiert.
Einzelne Gewerkschaftsführer in den beiden Anrainerstaaten Mali und Senegal setzten sogar ihre Unterschrift unter den Verkauf. Später stellte sich heraus, dass die Gewerkschaftsführer dafür fürstlich belohnt wurden. Inzwischen haben sich unabhängige und kämpferische Gewerkschaften gebildet.
Die inzwischen 103 Jahre alte und rund 1200 km lange Bahnstrecke wurde auf Druck der Weltbank an das frankokanadische Konsortium Transrail verkauft- siehe den Film Bamako – Die neuen Betreiber schränkten entgegen aller Zusagen und Versprechungen den Personenverkehr drastisch ein, schlossen 26 von 36 Bahnhöfen und kündigten über 600 Eisenbahnern, vornehmlich solchen, die gewerkschaftlich organisiert waren und gegen die Privatisierung protestierten. Die Schließung der Bahnhöfe, Hauptumschlagplatz für die an der Strecke von der Landbevölkerung, -vorwiegend Frauen und Jugendliche -, produzierten Waren, führte zu einer völligen Isolation der Dorfbevölkerungen und dem Zusammenbruch der Dorfökonomien.
Neben den Eisenbahngewerkschaftern, den aktiven wie den entlassenen, sind es vor allem die Händlerinnen und Bäuerinnen, die sich an dem Widerstand gegen die Folgen der Bahnprivatisierung beteiligen. Sie haben auch das Cocidirail – das Bürgerkomitee für die Rückgabe der Bahn – gegründet Die Eisenbahner und das Cocidirail mit den aktiven Bäuerinnen und Händlerinnen aus den Dörfern sind ein aktives Ferment in dieser sich langsam entwickelnden Dynamik des Widerstands.
Ihr Beispiel gerade in Mali hat auch Auswirkungen auf andere Teile der armen Bevölkerung, die Bauern, die Minenarbeiter und die lohnarbeitenden und handeltreibenden Frauen. Dieser Widerstand erscheint mehr und mehr öffentlich, in den vielen kleinen, viel gehörten lokalen Radios, bekommt auch mehr und mehr ein Gesicht. Auf dem afrikanischen Sozialforum in Bamako im Januar 2006 sind es gerade die Eisenbahner um Tiecoura Traore und die Dorffrauen als Mitglieder des Cocidirail, die sichtbar werden und ihre Forderungen nach Wiederherstellung einer öffentlichen Bahngesellschaft, nach einem regelmäßigen Personenverkehr auf der Schiene, nach der Öffnung der geschlossenen Bahnhöfe, lautstark ausdrücken. Der Sprecher des Cocidirail und aktive Eisenbahngewerkschafter, Tiecoura Traore, wird von der Transrail wegen Diffamierung des Unternehmens gekündigt.
Die EisenbahnerInnen aus Senegal und Mali, zusammen mit europäischen EisenbahngewerkschafterInnen wie der Sud- Rail, der CGT aus Spanien und Eisenbahnerinnen aus Nordafrika trafen sich 2005 in Dakar, um gemeinsame Strategien zu überlegen. Tie – Europe koordinierte und organisierte dieses Treffen. 2 Im Juni 2006 kommt es zum ersten Mal seit dem langen Streik von 1947/48 zu einem staatenübergreifenden transnationalen Bahn – Streik an der Strecke. EisenbahnerInnen aus Mali und Senegal forderten gleiche Bezahlung, die Absetzung des weißen neokolonialen Managements, den Ausbau des Personenverkehrs. Im Anschluß an diesen Streik werden eine Reihe von aktiven Streikern vom Dienst suspendiert oder entlassen.
Im Dezember 2006 findet in Dakar das zweite große internationale Treffen der EisenbahnerInnen statt zusammen mit den Bürgerkomitees, dem Cocidirail. Weitere gemeinsame Aktionen werden beschlossen und ein Aufruf ergeht an alle aktive GewerkschafterInnen in Westafrika, überall in ihren Ländern Bürgerkomitees zur Verteidigung einer öffentlichen Bahn zu gründen, gleichzeitig wird die Wiedereinstellung der entlassenen Eisenbahner gefordert und die Wieder-Öffnung der geschlossenen Bahnhöfe.
Zum Zeitpunkt des G8 Gipfels in Heiligendamm führten die in der Gewerkschaft Via campesina weltweit zusammengeschlossenen Bauernverbände einen Gegengipfel des Südens in Sikasso, einem regionalen Zentrum in Mali, durch. Hier ging es vor allem um die Perspektive der Armen des Südens. Eingeladen waren die landlosen Bewegungen aus Lateinamerika wie die MST aus Brasilien. Die Mehrheit der 500 Delegierten kam aus den Ländern des Südens. Das Veranstaltungsdorf wurde aus den Baumaterialien der Region aufgebaut und sollte gerade diese gewollte Eigenständigkeit symbolisieren. Die Frage des öffentlichen Transports in Zusammenhang mit dem Leben und der Ökonomie der Dorfbevölkerungen und speziell der Frauen als Träger dieser Subsistenzökonomie stand auch hier im Mittelpunkt.
Im September 2007 feierte das Cocidirail sein vierjähriges Bestehen und organisierte eine große Bu.rgerkarawane, die 23 Tage dauerte. Auf 10 Etappen entlang der Bahnstrecke von Bamako nach Kayes in Mali wurde die Orte und Lokalitäten besucht, deren Bahnhöfe alle geschlossen wurden. In Volksversammlungen mit der betroffenen Bevölkerung, zusammen mit Filmen und Theateraufführungen, wurden diese Tage zu einem Höhepunkt des Widerstandes gegen die Privatisierung der Bahn. Die private Bahngesellschaft organisierte einige Tage vor der Ankunft der Karawane in Kayes, dem Zentrum der Eisenbahner, das erste Bahnfestival in der langen Geschichte der Bahn und der Präsident von Mali verkündete den Kauf von neuen Eisenbahnwaggons, die ab Januar 2008 zum Einsatz kommen sollen. Auf den Versammlungen kam es zu bewegenden Aussprachen zwischen der Bevölkerung und den Akteuren der Karawane. Den beteiligten Aktivisten aus Mali wie auch aus Europa – aus der BRD und aus Frankreich- wurden durch die Schilderungen der Anwohner erst die Rücksichtslosigkeit des Vorgehens deutlich. Unglaublich stark war der Wille zum Handeln und zur direkten Aktion – Blockaden des Güterverkehrs sollen durchgeführt werden. Ziele dieser Karawane: Wiedereinstellung aller entlassenen EisenbahnerInnen, Anerkennung der unabhängigen Gewerkschaften, Öffnung der geschlossenen Bahnhöfe, Rückuübertragung der Bahn in die öffentlichen Hände, demokratische Kontrolle durch Bürgerkomitees.
Die Karawane wollte gerade durch die Art und Weise der Vorbereitung und 3 Einbeziehung der betroffenen Bevölkerungen helfen, die überall vorhandene Ohnmacht und Isolation aufzubrechen und Mut machen zum gemeinsamen Agieren. Viele Hoffnungen und Erwartungen wurden durch diese bisher einmalige Aktion geweckt. Anfang des Jahres 2008 wird eine Versammlung des Cocidirail Aktions – Vorschläge erarbeiten, wie dieser Kampf 2008 weitergeführt wird. Diese demokratischen Bewegungen von unten in Westafrika sind Teil eines gesellschaftlichen Emanzipationsprozesses, der die Periode des Kampfes um die staatliche Unabhängigkeit abgelöst hat. Die Hoffnungen auf Hilfe von oben, auf eine diesen Prozeß fördernde staatliche Macht sind nicht verschwunden, aber sie verbinden sich nicht mehr mit den aktuellen Regierungen in diesem Teil des Kontinents. Sie verbinden sich aber dennoch mit Geistern von afrikanischen Führern, von einfachen Menschen und historischen Momenten, die diese Hoffnungen symbolisieren.
In diesem Teil Afrikas sind es Ereignisse wie der große sechsmonatige Bahnstreik 1947/ 48 gegen die französische Kolonialmacht, sind es Menschen wie der Gewerkschafter und Filmemacher Ousmane Sembene, sind es engagierte politische Führer wie Tomas Sankara in Burkina. Sie verkörpern diese Hoffnung auf ein Leben in sozialer Wu.rde, in Freiheit von Elend und auf soziale Unabhängigkeit. Die Karawane versuchte auf ihrem einmonatigen langen Marsch diese Welten und Geister lebendig werden zu lassen. Die Karawane war der lebendige Ausdruck einer Zusammenarbeit zwischen aktiven Eisenbahngewerkschaftern aus Mali, Westafrika und aus Europa, vor allem der Sud – Rail aus Frankreich zusammen mit sozialen Initiativen wie dem Cocidirail/ www.cocidirail.se/ aus Mali und dem „icilabas www.icilabas.fr/ “ aus Frankreich und Netzwerken wie tie germany und anderen Organisationen und Künstlergruppen, Filmemachern (“Visions of Labor” + laboB*) und engagierten Individuen.
Die Karawane war ein gemeinsamer Versuch, direkt mit den durch die Bahnprivatisierung betroffenen Bevölkerungen in Kontakt zu kommen, Stadt und Land, Nord und Su.d in eine lebendige Beziehung miteinander zu bringen. Bei diesen Veranstaltungen, Diskussionen, Theaterauffu.hrungen und Filmen ging es nicht nur um die Bahn, sondern um die gesamte Entwicklung der Ökonomie und des kulturellen Lebens entlang der Bahnlinie. Auf den Dorfversammlungen wurde auch über die Akteure der Karawane vermittelt, dass der Kampf gegen die Privatisierung der öffentlichen Güter weltweit geführt wird. Durch die Teilnahme von GewerkschafterInnen, Journalisten, Filmemacher wurden Voraussetzungen geschaffen, um dieses Ereignis auch festzuhalten und weltweit bekanntzumachen.
Peter Bach/ Nico Roth/ Willi Hajek/ Teilnehmer der Karawane/ 20. Januar 2008