Dezember 2020 | Unter dschihadistischer Belagerung: Berichte von Bauern und Bäuerinnen aus dem Office du Niger
Afrique-Europe-Interact arbeitet in Mali seit 2012 mit Bauern und Bäuerinnen in der Bewässerungsregion des Office du Niger zusammen. Das Gebiet liegt 270 Kilometer nordöstlich von der Hauptstadt Bamako. Bereits 2012 ist es im Norden des Office du Niger zu Kämpfen zwischen dschihadistischen Gruppierungen und französischer Armee gekommen. Doch erst seit ungefähr 2017 haben radikale Islamisten begonnen, die Region schrittweise zu unterwandern. Im Norden des Office du Niger werden mittlerweile größere Gebiete von dschihadistischen Gruppen kontrolliert. Hierzu gehört auch die Kommune Dogofry. Einige unserer Mitstreiter*innen schicken regelmäßige Berichte an uns. Ihre Forderung lautet, dass malische Sicherheitskräfte entschiedener gegen Dschihadisten vorgehen. Das aber sei nur durch öffentlichen Druck zu erreichen. In diesem Sinne haben wir uns vorgenommen, in den nächsten Monaten regelmäßig die auf Bamanakan geschickten Meldungen ins Deutsche zu übersetzen.
[Montag, 07.12.2020]
Nachdem es eine große Versammlung von Bauern in Goma-Coura im Kreis Dogofiri wegen der Ängste der Bauern vor Anschlägen während der Reisernte gab, und wegen der Sorgen, wie die Reisernte vollzogen werden kann, wurde beschlossen, dass ab Sonntag den 06.12.2020 nun alle zum Mähen und Dreschen auf die Felder sollten. Die Bauern sollten auf den Feldern größere Gruppen bilden und sich gegenseitig helfen, den Reis zu dreschen. Die in großer Zahl anwesenden „Donso“ versicherten, sie würden sich auf die entsprechenden Felder aufteilen und am Rand zum Buschland über die Feldarbeiter wachen [Donso sind ethnienübergreifende Bruderschaften von Jägern, die traditionell auch als Dorfwächter agieren].
So waren seit Sonntag erstmals wieder die Reismäh-Arbeiter auf den Feldern, die seit langer Zeit brach lagen, weil sich niemand zum Mähen oder zum Dreschen hingetraut hatte. Etwa ab 13:30 Uhr, als die Bauern die erste Essenspause machten, gab es Überfälle auf die Arbeiter, wobei 3 Bauern ihr Leben verloren, etliche Getreidestöcke wurden von den Terroristen einfach abgebrannt und es gab mehrere Verletzte.
Bericht eines Bauern aus Dogofry: Die Bauern hatten auf der großen Versammlung in Goma-Coura die malischen Sicherheitskräfte aufgefordert, sie während der Ernte zu schützen und für Sicherheit zu sorgen, damit eine große Not verhindert wird. Auch zur Zeit des Überfalls auf die Landarbeiter wurde sofort Hilfe bei den malischen Sicherheitsbehörden eingefordert. Nach mehreren Stunden kamen einige Sicherheitsleute auf der Teerstraße entlang, zeigten lediglich Präsenz im Ort, weigerten sich aber, zu den Feldern zu fahren. Auch nach weiteren Hilferufen geschah nichts von Seiten der Armee. O-Ton Bauer: „Wir sind ohne jeglichen Schutz hier, auch offizielle Hilfemeldungen werden nicht erhört. Natürlich sind die Donso keine offiziellen Verteidigungskräfte, aber die Schutzllosigkeit lässt uns keine Wahl, wir brauchen Schutz. Bei keinem unserer Notrufe, bei keinem einzigen Anschlag kamen Sicherheitskräfte an den Ort des Geschehens. Sie zeigen nur für eine Stunde Präsenz im Dorf und fahren dann wieder zurück. Wir schlafen derzeit nicht mehr vor Angst. Wir trauen uns nicht auf die Felder, wir haben keine anderen Möglichkeit unsere Existenz zu erhalten.“
[Mittwoch, 09.12.2020]
Alle fragen sich, was der Staat Mali wohl unternehmen wird, um den Terror in Zeiten der Reisernte einzudämmen. In Dogofry und Umgebung wird derzeit nicht mehr geschlafen. Der Terror regiert den Alltag. Der Markttag in Dogofry wurde heute von bewaffneten Terroristen auseinandergetrieben. Am Morgen des Dienstag, wöchentlicher Markttag in Dogofry, kurz nachdem alle ihre Waren ausgepackt hatten, ertönten Schüsse am Eingang des Dorfes. Es handelte sich um Terroristen, die sich direkt auf den Dorfplatz zubewegten. Sie liefen umher, drohten, dass sie „Verräter“ töten werden, bedienten sich reichlich an Lebensmitteln und anderen Dingen, es gab viele Schüsse, später auch nach Einrücken von malischen Soldaten, aber gottseidank wurde niemand erschossen.
Ein Zeuge meinte „Wir wissen nicht mehr was wir noch machen sollen. Wir schreien und rufen um Hilfe, aber die Armee tut so, als ob sie uns nicht hört. Wir verstehen überhaupt nicht, warum die Armee uns weder in der Reisernte noch an unserem einzigen Markttag in der Woche beschützen kann. Sie haben doch Flugzeuge und Hubschrauber. Wir sind nicht nur in unserer Existenz bedroht, wir leben hier schutzlos, als ob dieses Gebiet nicht zum malischen Staat gehört.“