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04. Dezember 2020 | „Wie auf einem Ameisenhaufen“ - Stimmen aus Mali zur Sicherheitskrise im Sahel

Seit 2012 wird Mali von mehreren gewalttätigen Konflikten erschüttert. Begonnen hat es im Norden des Landes, 2015 hat sich die Krise ins Zentrum ausgeweitet, danach in die Nachbarländer Burkina Faso und Niger. An den bewaffneten Auseinandersetzungen sind dschihadistische und kriminelle Gruppierungen, Selbstverteidigungsmilizen und staatliche Sicherheitskräfte beteiligt. Europa setzt vor allem auf eine militärische Lösung der Krise, insbesondere durch Antiterroreinsätze und die UN-Friedensmission MINUSMA. Demgegenüber hat Afrique-Europe-Interact von Anfang an betont, dass es sich um ökonomische, politische, soziale und ökologische Konflikte handeln würde, die nicht militärisch gelöst werden könnten. Dennoch ist es zu kontroversen Debatten unter anderem mit der „Informationsstelle Militarisierung“ in Tübingen gekommen – nachzulesen auf unserer Webseite. Denn aus Sicht der malischen Mitglieder von Afrique-Europe-Interact kann derzeit auf Militär nicht gänzlich verzichtet werden. Da Stimmen aus dem Sahel in der europäischen Debatte relativ selten Gehör finden, haben wir drei unserer Mitstreiter:innen um kurze Statements gebeten – namentlich Alassane Dicko und Diory Traoré aus Bamako und Madou Diallo aus der Bewässerungsregion Office du Niger, die immer stärker von dschihadistischen Angriffen betroffen ist.

Allumfassende Unsicherheit

Alassane: Die Bedrohung wächst von Tag zu Tag. Bamako ist umzingelt, im Umkreis von 150 Kilometern gibt es aus allen Richtungen dschihadistische Attacken. Und in Bamako selbst werden tagtäglich Menschen angegriffen, ohne dass das aufgeklärt wird. Lebensmittel werden immer teurer oder erreichen die Stadt gar nicht mehr, weil Anbau und Transport durch den Krieg erschwert werden. Menschen auf dem Land wenden sich an Dschihadisten, weil sie vom Staat im Stich gelassen werden, aber effektive Konfliktregelung brauchen.

2011 bis heute | Wie die Krise im Sahel die Arbeit von Afrique-Europe-Interact in Mali von Anfang an geprägt hat

Die gewalttätigen Auseinandersetzungen im Sahel begleiten Afrique-Europe-Interact seit Anfang an. Schon während der Bamako-Dakar-Karawane im Januar/Februar 2011 gab es intensive Debatten darüber, ob es nicht zu gefährlich sei, in Gogui gegen Abschiebungen zu demonstrieren, einem Posten an der malisch-mauretanischen Grenze, an dem bis 2011 Migrant*innen ausgesetzt wurden, die auf der Bootspassage von Westafrika zu den Kanarischen Inseln abgefangen wurden. 2012 kam es zur Besetzung des Nordens Malis durch seperatistische Tuareg-Gruppen und Dschihadisten, was seinerseits zur französischen Militärintervention im Januar 2013 geführt hat. Anfangs haben diese Ereignisse unsere politische Arbeit stark geprägt – insbesondere in Mali. So hat Afrique-Europe-Interact mit anderen Gruppen seit November 2012 einen weißen Marsch geplant, dessen Ziel es war, eine militärische Konfrontation zu verhindern. Nachdem Frankreich interveniert hat und der Marsch verboten wurde, hat Afrique-Europe-Interact zwei große Bürgerversammlungen in Bamako durchgeführt (vgl. den Link zum weißen Marsch), in deren Mittelpunkt Versöhungsfragen zwischen den verschiedenen Volksgruppen standen. In den folgenden Jahren hat sich die Arbeit von Afrique-Europe-Interact vor allem auf Landkonflikte und Migrationsfragen konzentriert, sodass die Krise im Norden und im Zentrum Malis in unserer alltäglichen Arbeit eine eher ungeordnete Rolle gespielt hat – ungeachtet dessen, dass nicht nur Mali, sondern auch Burkina Faso und Niger zunehmend in den Sog der verschiedenen Gewaltdynamiken geraten sind. Mittlerweile greift die Krise immer stärker um sich: So wird es immer schwieriger bzw. gefährlicher, mit dem Bus von Bamako nach Ouagadougou zu fahren, der Hauptstadt von Burkina Faso – oder von Ouagadougou nach Niamey, der Hauptstadt des Niger. Gleichzeitig ist auch das Office du Niger zunehmend von der Eskalation betroffen. In manche Dörfer können wir gar nicht mehr fahren, in andere nur noch nach vorheriger Sicherheitsgarantie durch den jeweiligen Dorfchef. Bislang hat sich diese Entwicklung auf afrikanischer Seite nicht in eigenständige Aktivitäten übersetzt, aber das Thema begleitet uns ständig – nicht nur politisch, sondern auch praktisch. Insofern sind die in der Rubrik Aktivitäten in Europa dokumentierten Positionen auch Ausdruck der gemeinsamen Suchbewegungen von afrikanischer und europäischer Sektion von Afrique-Europe-Interact.