01. Februar 2020 | Klimawandel und Gewalteskalation im Sahel
In folgendem schildert Olaf Bernau von Afrique-Europe-Interact, inwiefern der Klimawandel die aktuelle Gewaltdynamik im Sahel zuspitzt. Der Text ist in leicht gekürzter Version in der Februar-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik erschienen – dort unter dem Titel “Kampffeld Sahelzone: Wie der Dschihadismus von der Klimakrise profitiert”.
Am 23. März 2019 fielen in dem Dorf Ogossagou im Zentrum Malis 160 Menschen einem Massaker zum Opfer, auch ihre Tiere wurden getötet und sämtliche Häuser niedergebrannt. Betroffen waren Angehörige der Fulbe, einem halbnomadischen Hirtenvolk, das in zahlreichen Ländern Westafrikas lebt und zu dem ca. 40 Millionen Menschen gehören. Verantwortlich für den fatalen Angriff soll eine von der Regierung unterstützte Miliz der Dogon gewesen sein – eine vor allem Ackerbau betreibende Volksgruppe, die aufgrund ihrer Maskenkunst und ihrer zum Weltkulturerbe gehörenden Felsendörfer weit über Afrika hinaus Bekanntheit erlangt hat. Das Massaker von Ogossagou löste vielerorts Entsetzen aus, zumal es nicht das erste seiner Art gewesen ist: Allein im Zentrum Malis haben in den letzten zwei Jahren über 1.000 Zivilist*innen und Militärs ihr Leben verloren, auch in den Nachbarländern Burkina Faso und Niger ist die Gewalt seit 2018 förmlich explodiert. Hinzu kommt, dass in den am stärksten betroffenen Gebieten 1.800 Schulen geschlossen sind, 5,1 Millionen Menschen Lebensmittelhilfe erhalten und 450.000 Menschen ihre Dörfer verlassen haben. Kein Wunder also, dass es nach dem Massaker von Ogossagou zu Massenprotesten kam, in deren Verlauf die malische Regierung zurücktreten musste. Gleichzeitig fragten sich viele, ob im westlichen Sahel ein ethnisch aufgeladener Bürgerkrieg drohe – entfacht von den mindestens 9 dschihadistischen Organisationen und Netzwerken, die in dem riesigen Gebiet agieren, viele von ihnen durch Träueschwüre mit Al Qaida oder dem Islamischen Staat verbunden.
In der deutschen Öffentlichkeit zirkulieren vor allem drei Interpretationen des Geschehens: Am populärsten ist die These, wonach der Sahel zunehmend von Dschihadisten aufgerieben würde, zusammen mit kriminellen Gruppen und Selbstverteidigungsmilizen unterschiedlicher Volksgruppen. Die Staaten seien äußerst fragil, manche auch von Korruption und schlechter Regierungsführung ausgelaugt, gleichzeitig treibe Armut und Perspektivlosigkeit immer mehr junge Männer in die Arme dschihadistischer Gruppen.Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat dieses Szenario erst im Dezember öffentlichkeitswirksam beschworen, nicht zuletzt mit Blick auf ihre Forderung, dass Deutschland im Sahel militärisch stärker eingreifen müsse. Eine zweite Lesart betont vor allem die Verantwortung der westlichen Länder: Sie seien nicht nur aus historischen Gründen für die im Sahel grassierende Armut verantwortlich. Vielmehr würden sie weiterhin skrupellose Interessenpolitik betreiben, etwa im Rohstoffbereich oder bei der Ausdehnung des EU-Grenzregimes bis weit auf den afrikanischen Kontinent. Dies umfasse auch eine militärische Kooperation mit den Sahel-Regierungen, die in den Augen der lokalen Bevölkerung keine wirkliche Legitimität besäßen. Insgesamt ginge hieraus eine Eskalationsdynamik hervor, unter anderem, weil Dschihadisten internationale Truppen als legitime Angriffsziele betrachten würden, einschließlich der UN-Friedensmission MINUSMA in Mali, an der Deutschland mit 1.100 Soldat*innen beteiligt ist. Eine dritte Lesart ist unter Expert*innen schon länger Thema, wird aber hierzulande erst seit dem Massaker von Ogossagou intensiver diskutiert: Danach spitze der Klimawandel die Konkurrenz um Boden- und Wasserressourcen massiv zu, auch im Zusammenspiel mit dem im Sahel äußerst hohen Bevölkerungswachstum. Betroffen seien in erster Linie Viehhirten und Ackebauern, ein Umstand, der von Dschihadisten zum Anlass genommen würde, Partei für eine der beiden Seiten zu ergreifen und somit althergebrachte Konflikte in hasserfüllte Konfliktspiralen zu verwandeln – etwa zwischen Fulbe und Dogon.
Grundsätzlich schließen sich die unterschiedlichen Lesarten nicht aus, auch wenn es kein Zufall sein dürfte, dass der mediale und politische Mainstream das erste Erklärungsmodell bevorzugt, also jenes, das Europa weitgehend von Verantwortung für die sozialen Verwerfungen im Sahel freispricht. Ungeachtet dessen soll hier das Klimawandel-Szenario näher betrachtet werden. Zum einen, weil es einen Blickwinkel stark macht, der ansonsten häufig fehlt – nämlich die Frage, wie sich imperiale Politik und dschihadistische Gewalt mit lokalen Problemlagen kurzschließen. Zum anderen, weil der Sahel bereits heute zu einem der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen gehört und es daher besonders wichtig ist, die genauen Auswirkungen des Klimawandels zu verstehen. Denn die von der Bundesregierung derzeit favorisierten Lösungsstrategien in Punkto Sahel sind vor allem militärisch geprägt. Demgegenüber soll gezeigt werden, dass ohne eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung die derzeitige Krise nicht gelöst werden kann – eine strategische Ausrichtung, die auch Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel umfassen muss, vor allem im landwirtschaftlichen Bereich.
Klimawandel in Sahel
Wer das Massaker von Ogossagou im Kontext des Klimawandels begreifen möchte, muss das soziale Gefüge näher in den Blick nehmen, das Ackerbauern (wie die Dogon) und Viehhirten (wie die Fulbe) nicht nur im Zentrum Malis bereits seit langem komplementär verbindet: Traditionell bauen die Dogon Hirse an. Um die Qualität ihrer teils sandigen, teils lehmhaltigen Böden zu verbessern, schließen sie Verträge mit den Fulbe ab, damit diese in der anbaufreien Zeit ihre Tiere auf die Felder treiben und so eine Düngung durch Exkremente ermöglichen. Umgekehrt erhalten die Tiere Zugang zu Futter, am begehrtesten sind die übriggebliebenen Halme direkt nach der Ernte. Zudem können die Fulbe Milch verkaufen, auch im Tausch gegen Hirse. Und doch: Dieses Arrangement war zu keinem Zeitpunkt spannungsfrei. Einerseits passierte es regelmäßig, dass Tiere auf noch nicht abgeerntete Felder gelangten und so die Pflanzen ganz oder teilweise fraßen. Andererseits waren immer wieder die Durchzugswege für Tiere oder der Zugang zu Wasserstellen blockiert, häufig durch frisch angelegte Felder. Das ist der Grund, weshalb bereits im 19. Jahrhundert auf dem Gebiet des heutigen Malis erste Regelwerke zum Umgang mit solchen Konflikten ausgearbeitet wurden – inklusive Bußgeldkatalogen bei Feldzerstörungen.
Umso verhängnisvoller ist es, dass das soziale Gefüge zwischen Dogon und Fulbe in den letzten 40 Jahren zunehmend brüchig geworden ist: Begonnen hat es mit den beiden großen Sahel-Dürren Anfang der 1970er und Mitte der 1980er Jahre – beides Katastrophen, von denen die Klimaforschung heute weiß, dass sie die ersten Effekte des menschengemachten Klimawandels waren. So ist die Temperatur im Sahel zwischen 1970 und 2010 mit 0,6 bis 0,8 Grad schneller als im weltweiten Durchschnitt gestiegen, erwartet werden derzeit mindestens 4 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Umgekehrt haben die Niederschläge zwischen 2000 und 2009 zwischen 8 und 15 Prozent abgenommen, ganz zu schweigen davon, dass sich die Niederschlagsmuster verändern: Die Regenzeit wird kürzer, es regnet unregelmäßiger, zudem kommt es immer öfter zu sintflutartigen Regenfällen mit anschließenden Überschwemmungen. Entsprechend hat sich auch die Ackerbaugrenze im Sahel seit 1970 um 100 Kilometer nach Süden verschoben. Der Verlust an Land und Wasser war allerdings nur die eine Seite der Medaille. Die andere war, dass die Dogon im Zuge des Bevölkerungswachstums – und flankiert durch die Einführung des Pfluges – immer mehr Land bebaut haben, auch solches, das bislang von den Fulbe genutzt wurde. Beide Entwicklungen haben immer wieder zu tödlichen Konflikten geführt: Beispielsweise starben am 7. Dezember 1993 bei einem Streit zwischen zwei Fulbe-Dörfern 29 Menschen, Anlass war eine seit Jahrzehnten schwelende Auseinandersetzung um Weideflächen. Oder am 22. Mai 2012: Damals sind bei einem Dogon-Angriff auf das Fulbe-Dorf Sari 21 Menschen ums Leben gekommen, zudem wurden 774 Rinder gestohlen und 350 Häuser niedergebrannt. Glücklicherweise sind solche gravierenden Zusammenstöße die Ausnahme geblieben. Denn üblicherweise haben die klassischen Konfliklösungsmechanismen gegriffen, oft unter Leitung eines Imams oder anderer einflussreicher Persönlichkeiten. Zudem haben sowohl Fulbe als auch Dogon zusätzliche Einkommensquellen aufgetan: Etwa durch den Anbau von Gemüse in der Trockenzeit, durch temporäre Migration einzelner Familienmitglieder, oder dadurch, dass viele Dogon-Haushalte pikanterweise begonnen haben, selber Rinder zu kaufen, diese aber von Fulbe hüten zu lassen.
Konfliktverschärfung durch Dschihadisten
Deutlich wird also: Der Klimawandel an sich führt nicht zur Gewalt, schon gar nicht unter Volksgruppen, die bereits seit langem spannungsreich, aber friedlich zusammenleben. Vielmehr wird die aktuelle Gewalteskalation im Sahel erst verständlich, wenn man das Verhalten der dschihadistischen Akteure genauer in den Blick nimmt. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die „Katiba Macina“ des salafistischen Predigers Amadou Koufa, der ebenfalls zur Volksgruppe der Fulbe gehört. Denn die Katiba Macina stellt die soziale Ordnung im Sahel in Frage – eine Art sozialrebellischer Haltung, die sich auf die verschiedenen dschihadistischen Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts beruft. So kritisiert die Gruppe überhöhte Weidegebühren, die Angehörige der traditionellen Fulbe-Elite erheben, auch geißelt sie korrupte Landvergabepraktiken der staatlichen Verwaltung oder stellt Richter*innen an den Pranger, die sich bei Land- und Wasserkonflikten bestechen lassen. Gleichzeitig bekräftigt die Katiba Mecina in ihren Verlautbarungen jene tief im kollektiven Gedächtnis der Fulbe verankerte Grundüberzeugung, wonach vor allem die einfachen Fulbe bereits seit jeher benachteiligt werden. Etwa, indem die erste Unabhängigkeitsregierung unter dem Sozialisten Modibo Keita systematisch versucht hat, nomadische Volksgruppen wie die Fulbe oder die Tuareg zu sesshaften Ackerbauern zu machen. Oder indem in den 1970er Jahren anlässlich eines von der Weltbank finanzierten Reisentwicklungsprogramms im Zentrum Malis riesige Weideflächen in Ackerland verwandelt wurden. Es kann daher nicht überraschen, dass sich vor allem junge Fulbe der Katiba Macina angeschlossen haben, dies jedoch mit der fatalen Konsequenz, dass die Fulbe nun seitens der übrigen Bevölkerung pauschal als Terroristen verdächtigt werden – einschließlich Gegenangriffen wie beim Massaker von Ogossagou. Und das umso mehr, als die Katiba Macina nicht nur Anschläge auf Soldat*innen, (französisch unterrichtende) Lehrer*innen oder lokale Persönlichkeiten verübt, sondern auch die Interessen einfacher Fulbe unter Androhung von Gewalt wirkungsvoll vertritt. So hat sie in diversen Landkonflikten klare Entscheidungen getroffen, in anderen Fällen wurden Weidegebühren aufgehoben oder Strafen für illegalen Holzeinschlag kassiert. Klassische Konfliktklösungsmechanismen konnten sich unter solchen Voraussetzungen kaum noch behaupten, auch deshalb nicht, weil selbst Imame oder lokale Würdenträger in den Augen vieler Menschen als korrupt und parteilich gelten. In diesem Sinne muss das Massaker von Ogossagou als vorläufiger Höhepunkt einer nicht nur von der Katiba Macina bewusst provozierten Eskalation begriffen werden. Eine Einschätzung, die auch durch den Umstand unterstrichen wird, dass die Angreifer laut Augenzeugenberichten das Massaker als Rache für einen Al-Qaida-Angriff auf einen malischen Militärposten ausgegeben haben, bei dem eine Woche zuvor 23 Menschen ums Leben gekommen waren.
Das Beispiel der Katiba Macina wirft Licht auf einen generellen Zusammenhang. Denn nicht überall sind es klimwandelbedingte Konflikte um Land- oder Wasserressourcen, durch die dschihadistische Kräfte Zugang zur lokalen Bevölkerung finden. Und auch sind keineswegs überall Fulbe in lokale Auseinandersetzungen involviert. Erwähnt sei nur der schwer zugängliche Nationalpark W, der für mehrere dschihadistische Gruppen ein wichtiges Rückzugsgebiet darstellt, unter anderem, weil er auf den Territorien von Burkina Faso, Niger und Benin liegt und insofern Grenzübertritte problemlos ermöglicht. Um die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu erlangen, haben die Dschihadisten bestimmte Teile des Parks unter ihre Kontrolle gebracht und wichtige Naturschutzgesetze außer Kraft gesetzt, vor allem das weitgehende Jagdverbot. Ähnlich in einigen Goldabbaugebieten im Osten Burkina Fasos: Auch dort haben dschihadistische Gruppen das Kommando übernommen und handwerklichen Goldschürfern bessere Konditionen eingeräumt als zuvor die staatliche Verwaltung. All diese Beispiele zeigen, dass Dschihadisten nicht nur Geld brauchen, sondern auch Rückzugsgebiete und die Möglichkeit, Nachwuchs zu rekrutieren. Insofern ist dies der eigentliche Grund, weshalb sämtliche dschihadistische Gruppen direkt oder indirekt in kriminelle Machenschaften involviert sind – ganz gleich, ob es um den Schmuggel von Autos, Benzin, Waffen oder Drogen geht, um Viehdiebstahl, Wilderei oder den irregulären Betrieb von Goldminen. Und auch dürfte auf diese Weise verständlich werden, weshalb Dschihadisten zunehmend in bestimmten Teilen der Bevölkerung fest verankert sind. Denn die meisten dieser Geschäfte werden mit einzelnen Familien, Gruppen oder Dörfern abgewickelt, meist mit solchen, deren Interessen auch ansonsten verteidigt werden. Hinzu kommt, dass die dschihadistische Rhetorik gegen Staat, westliche Werte und internationale Truppen gut zu einer vielerorts verbreiteten Grundstimmung passt.
Zurück zum Klimawandel: 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung im Sahel leben von der Landwirtschaft. Der Klimawandel ist insofern nicht irgendeine Randvariable, sondern hat entscheidenden Einfluss auf die Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung, insbesondere auf ihre Ernährungssituation. Und doch macht Klimawandel nicht Gewalt – diese Gleichung wäre zu einfach. Damit es zu Konfrontationen kommt, bedarf es vielmehr des Zusammenspiels verschiedener Faktoren. Gleichzeitig gilt, dass sich der Klimawandel immer stärker zuspitzt. Die bereits zitierten Zahlen sind erschreckend. Entsprechend gehen Expert*innen davon aus, dass allein die Hirse-Erträge um 15 bis 25 Prozent zurückgehen werden, sollte es zu einer Erwärmung von 2 Grad kommen. Auch im Viehbereich werden massive Einbrüche erwartet, so wie das Fischaufkommen im Niger bereits zwischen 1995 und 2005 um 50 Prozent zurückgegangen ist. Kurzum: Vieles spricht dafür, dass der Faktor Klimawandel perspektivisch ein immer größeres Gewicht bei der Frage von Krieg und Frieden im Sahel erhält.
Alternativen
Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte deutlich werden, wie unangemessen es ist, wenn jetzt über einen verstärkten deutschen Militäreinsatz im Sahel gestritten wird. Denn das Militär kann allenfalls dort einen Schutz gewährleisten, wo es stationiert ist, aber nicht in den riesigen Weiten des Sahel. Statt Terrorbekämpfung ist ein multidimensionales Vorgehen erforderlich, welches das Prinzip menschlicher Sicherheit ins Zentrum rückt – verstanden im vollumfänglichen Sinne des Wortes: Erstens sollten in allen betroffenen Ländern ernsthafte Friedensprozesse auf den Weg gebracht werden, wobei im Falle Malis ausdrücklich darauf hingewiesen sei, dass die im Friedensabkommen von Algier (2015) vereinbarten und bislang nur unvollständig umgesetzten Maßnahmen bestenfalls punktuell Antworten auf die seit 2016 im Zentrum Malis neu entstandenen Problemlagen geben. Besonders wichtig ist die Förderung lokaler Dialoginitiativen, um Eskalationen zwischen einzelnen Volksgruppen den Boden zu entziehen. Zudem gilt es, bei solchen Friedensprozessen dschihadistische Kräfte ausdrücklich einzubinden, vorausgesetzt, sie verzichten auf Waffengewalt. Zweitens müssen die staatlichen Verwaltungen ihre Aufgaben wieder aufnehmen bzw. endlich auf das gesamte Staatsterritorium ausdehnen. Dies wird ohne umfängliche finanzielle Unterstützung von außen nicht klappen, unter anderem geht es um Infrastruktur, alltägliche Basisdienstleistungen (Bildung, Gesundheit etc.) und eine korruptionsfreie Justiz. Des Weiteren müssen die Sicherheitskräfte umfassend gestärkt werden, vor allem, um die Bevölkerung vor bewaffneten Angriffen oder Kriminalität wie zum Beispiel Viehdiebstahl zu schützen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die von der EU verfolgten Ausbildungsprogramme bislang nur bescheidene Erfolge aufweisen. Drittens sind die Lebensbedingungen auf allen Ebenen zu verbessern, was nicht zuletzt umfängliche Maßnahmen gegen den Klimawandel erfordert – unter anderem Bewässerungsprojekte jeder Art, Aufforstungsprogramme, agrarökologische Anbaumethoden und Katastrophenschutz. Besonders zu beachten sind in diesem Kontext die Belange von Viehhirten, auch deshalb, weil sich dschihadistische Kräfte nicht zuletzt auf die Volksgruppe der Fulbe stützen. Viertens müssen externe Akteure endlich ihre rücksichtslose und äußerst kontraproduktive Interessenpolitik im Sahel einstellen – und das gilt für die EU genauso wie für die arabischen Länder, die USA, die Türkei oder China. Denn derzeit werden pro Jahr 3,5 Milliarden Dollar für Militäroperationen im Sahel ausgegeben, davon 1 Milliarde für MINUSMA. Würde nur ein Bruchteil des Geldes über einen Zeitraum von 10 Jahren genutzt werden, um die ländliche Bevölkerung umfassend zu stärken, dürften die dschihadistischen Kräfte ausgedient haben.
Zum Weiterlesen: Fokus Sahel: Wege aus der Gewalt? Gesellschaftliches Engagement im Kontext politischer Destabilisierung und gewaltsamer Konflikte im Sahel, Tagungsdokumentation, März 2019. Download: www.fokussahel.de; Gaye Serigne-Bamba: Conflicts between farmers and herders against a backdrop of asymmetric threats in Mali and Burkina Faso. Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (2018): Download: www.fes-mali.org; Baba Dakono u.a.: Extrémisme violent, criminalité organisée et conflits locaux dans le Liptako-Gourma. Studie des Institut d'études de sécurité (2019). Download: www.issafrica.org
Olaf Bernau ist aktiv bei Afrique-Europe-Interact