13. Januar 2020 | Vertreter von Afrique-Europe-Interact als Sachverständiger im Deutschen Bundestag
Wie sich das in UN-Friedensmissionen Erreichte nach deren Beendigung besser absichern lässt, wann der richtige Zeitpunkt für den Rückzug ist und wie der Übergang von Konflikten hin zu einer nachhaltigen Entwicklung gelingen kann, das war Gegenstand einer gemeinsamen öffentlichen Sitzung der Unterausschüsse „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ sowie „Vereinte Nationen, Internationale Organisationen und Globalisierung“ des Auswärtigen Ausschusses am Montag, 13. Januar 2020. Neben Vertreter*innen der Bundesregierung waren auch externe Sachverständige geladen. Hierzu gehörte auch Olaf Bernau, der als Vertreter von Fokus Sahel und Afrique-Europe-Interact über die Frage gesprochen hat, inwieweit die Krise im Sahel nicht militärisch zu lösen ist, sondern langfristige Veränderungen in politischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht erfordert. Das offizielle Protokoll der Ausschusssitzung findet sich auf der Webseite des Bundestags. Zudem möchten wir hier den Beitrag von Olaf Bernau dokumentieren, es handelt sich um das Manuskripts seiner frei vorgetragenen Stellungnahme, für die insgesamt 7 Minuten zur Verfügung standen.
Anhörung zu MINUSMA: Bundestag, 13.01.2020. Beitrag von Olaf Bernau (Afrique-Europe-Interact und Fokus Sahel)
Hinweis: Da insgesamt nur 7 Minuten zur Verfügung standen, war der tatsächliche Beitrag kürzer. Im weiteren Verlauf konnte ich noch 3 weitere Statements machen, insgesamt 5 Minuten (der Vorsitzende des Ausschusses war sehr streng…)
- Schön, guten Tag, Danke für die Einladung
- Erlauben Sie mir einleitend noch einige knappe Informationen zu den genannten Organisationen, in deren Name ich spreche – dies zur besseren Einordnung dessen, was ich sagen werde:
Ich spreche im Namen von Fokus Sahel – einem Netzwerk von NGOs, die im Sahel tätig sind. Dazu gehören Akteure wie Brot für die Welt, Miserior, medico international, Eirene oder die Welthungerhilfe. - Ich selbst bin im Rahmen meiner Tätigkeit bei der Organisation Afrique-Europe-Interact 1 bis 2 Monate pro Jahr vor allem in Mali, aber auch in Burkina Faso und Niger unterwegs.
Dabei arbeite ich auch mit Dörfern zusammen, die in den letzten Jahren zunehmend ins Visier von Dschihadisten geraten sind. - Insofern kenne ich die Situation einer sich verschlechternden Sicherheitslage auch aus eigener Anschauung. Es gibt Dörfer, da konnten wir vor 3 Jahren noch problemlos hin, heute hingegen nicht mehr oder nur nach vorheriger Sicherheitszusage durch den Dorfchef.
- Meine hier vorgestellten Überlegungen basieren insofern auf drei Grundlagen: (1) Eigener Erfahrung, (2) intensivem Austausch innerhalb von Fokus Sahel, vor allem mit unseren Partnern (von denen wir einige mit Blick auf die heutige Anhörung auch um aktuelle Statements gebeten haben) und (3) Lektüre von Berichten und Studien aller Art.
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1. Ich möchte mit einer grundsätzlichen Überlegung beginnen:
- Wenn von MINUSMA die Rede ist, sollte immer auch die grundsätzliche Frage gestellt werden, ob MINUSMA überhaupt der richtige Ansatz ist.
- Diese Frage stellt sich vor allem angesichts der sowohl von der UN als auch der Bundesregierung immer wieder geäußerten Einschätzung, dass die Sicherheitslage nicht nur in Mali, sondern im Sahel insgesamt stetig schlechter wird.
- Als Fokus Sahel stellen wir MINUSMA nicht grundsätzlich in Frage, aber wir möchten darauf hinweisen – und das ist gleichsam unsere wichtigste Botschaft, dass der Konflikt in Mali primär nicht militärisch lösbar ist.
- Denn im Kern handelt es sich um politische, ökonomische und soziale Konflikte.
Ohne diese Konflikte bestünde kein Nährboden für die kriminellen Netzwerke, für die dschihadistischen Gruppen und auch nicht für die Zusammenstöße zwischen unterschiedlichen Volksgruppen. - Mit ist durchaus klar, dass diese Feststellung weder neu noch originell ist.
Dennoch handelt es sich um einen zentralen Aspekt, der auch daran ablesbar ist, dass ja zahlreiche dieser Themen auch im MINUSMA-Mandat angesprochen werden. - Um so bedauerlicher ist in unseren Augen, dass sich in der politischen Debatte immer wieder militärische Fragen in den Vordergrund schieben – natürlich auch angesichts der immer wieder neuen Massaker und Anschläge, erst letzte Donnerstag sind 90 nigrische Soldaten getötet worden.
Anders formuliert: Aus unserer Sicht bleibt Politik immer wieder hinter ihren eigenen Einsichten zurück, d.h. zivile Konfliktbearbeitung spielt nicht die Rolle, die ihr zukommen sollte – auch innerhalb von MINUSMA nicht. - Wir möchten daher dafür plädieren, dass Gespräche über Minsuma stets mit der Frage einhergehen sollten, wo Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für die Sahel-Länder deutlich aufgestockt werden könnten und müssten – national, aber auch im Rahmen der EU oder der von Deutschland mitgegründeten Sahel-Allianz.
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2. Um welche Konflikte geht es?
- Im Rahmen dieser kurzen Stellungnahme ist natürlich eine vollständige Analyse nicht möglich, deshalb möchte ich nur auf zwei Beispiele hinweisen:
- Im Zentrum Malis (wo innerhalb Malis derzeit 85 Prozent der Todesfälle zu beklagen sind) gibt es massive Konflikte um Land und Wasser zwischen Pastoralisten – also Viehhirten – und Ackerbauern: Die Tiere fressen die noch nicht geernten Felder ab versus fehlende Durchzugswege oder Zugangsstellen zu Wasser.
- Diese Konflikte sind alt, aber sie werden in jüngerer Zeit durch drei Aspekte zugespitzt: Erstens die demographische Entwicklung, zweitens den Klimawandel und drittens durch Dschihadisten, die diese Konflikte instrumentalisieren.
- Denn Dschihadisten ergreifen einseitig Partei – häufig zugunsten der Viehhirten, die überwiegend der Volksgruppe der Fulbe angehören (oder auch Peul).
Konkreter: Sie regeln Landkonflikte, sie stellen Richter an den Pranger, sie heben Weidegebühren auf etc. - Insofern bedarf es Antworten für beide Gruppen, auch im Kontext des Klimawandels.
Wie wichtig das ist, ist daran ablesbar, dass viele dschihadistische Gruppen sich maßgeblich aus der Volksgruppe der Fulbe rekrutieren, die sich in dieser Region schon seit dem 19. Jahrhundert gegenüber den sesshaften Ackerbauern diskriminiert fühlten. - Wie gesagt, das ist nur ein Beispiel von mehreren.
- Ein weiteres betrifft die ganze Frage, wie der 2015 zwischen bewaffneten Gruppen im Norden und dem Staat geschlossene Friedensprozess bislang nur unvollständig umgesetzt wurde, und vor allem: wie die Bevölkerung bis heute die Inhalte des Friedensvertrags kaum kennt, den Friedensprozess also nicht als etwas begreift, was mit ihr zu tun hat (Stichwort: Ownership).
- Wo MINUSMA Thema ist, müssen diese und weitere Themen in einer lösungsorientierten Perspektive angegangen werden, weshalb es natürlich kein Zufall ist, dass der Friedensvertrag im 2019 verabschiedeten Mandat als eine von zwei strategischen Prioritäten benannt wird.
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3. Zu MINUSMA
a) Erfolge:
- Aus Sicht von Fokus Sahel kann MINUSMA – bei aller Kritik – auf mehrere Erfolge verweisen – drei seien genannt:
- Erstens Schutz der Zivilbevölkerung und somit Stabilisierung der lokalen Sicherheitslage – jedenfalls dort, wo MINUSMA ist.
- Zweitens ist MINUSMA zu einem Garanten der Fortsetzung des Friedensprozesses und lokaler Dialoginitiativen geworden – dies auch dank der Stabilisierung.
- Drittens hat MINUSMA mit seinen zivilen Maßnahmen – auch jenseits des Friedensprozesses – erheblichen Anklang in der Bevölkerung gefunden, nicht zuletzt in der Region Timbuktu.
b) Akzeptanzproblem
- Dennoch wird MINUSMA von der Bevölkerung auch massiv kritisiert.
- Das hat mindestens drei Gründe:
- Erstens eine gewisse Machtlosigkeit, was Schutz der Zivilbevölkerung betrifft – ein Umstand, der damit korrespondiert, dass MINUSMA 70 bis 80 Prozent seiner Ressourcen aufwenden muss, um sich selbst zu schützen und zu versorgen.
- Das ist kein echtes Verschulden, stellt aber in einer von extremen Mangel geprägten Gesellschaft ein Problem dar, was wiederum Propaganda gegen MINUSMA und somit auch Anschläge begünstigt.
- Zweitens wird die Kooperation mit Unterzeichnern des Friedensvertrags, die aber auch als bewaffnete Gruppen agieren, von der Bevölkerung abgelehnt. Die diesbezügliche Kritik richtet sich teils gegen den Friedensvertrag an sich, teils gegen seine Umsetzung – auch was fehlende Entwaffnung bewaffneter Gruppen betrifft.
- Zudem wird in diesem Kontext kritisiert, dass MINUSMA zwar in seinen Berichten das Problem der Straflosigkeit benennt, Übergriffe auf die Zivilbevölkerung aber nicht hinreichend ahndet oder kritisiert, vor allem dann nicht, wenn es sich um Verbrechen der malischen Sicherheitskräfte oder der G5 handelt.
- Drittens – und dieser Punkt ist am entscheidensten – wird MINUSMA zunehmend als eine Art Juniorpartner der französischen Anti-Terorr-Operation Barkhane betrachtet…
- …was insofern richtig ist, als es ja zwischen MINUSMA und Barkhane eine ausdrückliche Arbeitsteilung gibt, wie nicht nur im Mandat festgehalten wird (Satz 30), sondern auch im letzten Bericht des Generalsekretärs von Dezember 2019 (Satz 97).
- Genau das ist aber deshalb problematisch, weil Barkhane von der Bevölkerung nicht als neutral empfunden wird, was unter anderem mit der Situation in Kidal zu tun hat und einem gewissen selbstherrlichen Handeln Frankreichs (worin natürlich auch die ganze Geschichte bis zum Kolonialismus mitschwingt).
- Egal, wie die Kritik gegenüber Frankreich im Einzelnen bewertet wird, Fakt ist, dass sich nicht nur in Mali, sondern auch in Niger in den letzten 1 bis 2 Jahren eine relativ starke Ablehnung französischer Politik entwickelt hat.
- Folge ist, dass nicht nur Barkhane, sondern auch MINUSMA ein zunehmendes Akzeptanzproblem hat.
Erst vergangenen Samstag gab es in Mali landesweite Demonstrationen gegen ausländische Truppen, wobei sich die öffentlich geäußerte Kritik vor allem an Barkhane festmacht (die Proteste waren anlässlich des heutigen Treffens von Macron mit den Staatschefs der G5-Länder in Frankreich). - Und diese Proteste sind nicht nur eine Angelegenheit linker Gruppen, vielmehr handelt es sich um eine von beträchtlichen Teilen der Bevölkerung geteilte Überzeugung. Dies wird auch an einer Antwort deutlich, die uns einer unserer Partner gegeben hat: Youssouf Coulibaly – Rechtsprofessor in Bamako und zugleich verantwortlich für die Ausbildung von Offizieren in Menschenrechtsfragen – antwortete auf unsere Frage, was er von Europa in der jetzigen Situation erwarte: „Dass Europa das Feld nicht Frankreich allein überlässt“ [„Que l’Europe ne laisse pas le champ libre à la seule France »]
- Umgekehrt geht all dies mit einem gewissen Russland-Hype einher: 45 Militärberater sind bereits in Russland, es gibt auch Verträge zur Erneuerung des militärischen Geräts, zudem soll eine prorussische Petition millionenfach unterschrieben worden sein.
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4. Was tun?
- Akzezptanzprobleme sind Gift für jede UN-Friedensmission, das kann Herr Schuhmann bestimmt besser begründen als ich.
- Gleichzeitig kompensiert MINUSMA zur Zeit nur jene Handlungsdefizite im malichen Staatswesen, die ohnehin schnellstmöglich gestopft werden sollten.
- Vor diesem Hintergrund schlagen wir als Fokus Sahel vier Punkte zur Weiterentwicklung von MINUSMA vor, auch mit Blick auf eine Transitions-Perspektive.
- Erstens ist die zivile Konfliktbearbeitung massiv auszubauen – und das umfasst auch die zivile Dimension von MINUSMA.
- Bei diesem Ausbau ist allerdings aus unterschiedlichen Gründen die zivilmilitärische Zusammenarbeit auf das absolut Notwendige zu beschränken.
- Zweitens sollten in einem mindestens 3 bis 5-jährigen (vielleicht sogar 5-10-jährigen) Übergangsprozess die Aufgaben von MINUSMA in malische bzw. afrikanische Hände gelegt werden – auch im Sinne eines bereits jetzt beginnenden Transitions-Prozesses.
- Wichtig hierbei: Da die fehlende Beteiligung der malischen Bevölkerung am Friedensprozess Teil des Problems geworden ist (auch darüber, dass ausländische militärische Kräfte als Besatzungsmacht empfunden werden) sind Transitionsperspektiven in Mali jetzt bereits in den Blick zu nehmen.
- Zum jetzigen Zeitpunkt spricht vieles dafür, dass diese Übergabe an die G5 gehen sollte, die ja auf dem jeweiligen nationalen Territorium von den jeweiligen nationalen Armeen vertreten wird – ggf. in Kooperation mit der ECOWAS und der AU.
- Drittens sollte Maßnahmen ergriffen werden, Frankreich einzuhegen, auch wenn Frankreich dies nicht wollen wird.
- …denn die disaströsen Auswirkungen der französische Operation Barkhane droht, MINUSMA scheitern zu lassen bzw. zu einer weiteren Eskalation beizutragen.
Zugespitzter: Frankreichs Verhalten wirkt in der ohnehin schwierigen Anordnung wie ein Brandbeschleuniger. - Praktisch wären zwei Wege denkbar bzw. wünschenswert:
- ENTWEDER das MINUSMA-Mandat wird robuster ausgestaltet, d.h. MINUSMA steigt selber in den Anti-Terrorkampf ein (der aber insgesamt weniger bedeutsam werden würde, wenn die zivile Komponente steigen würde).
- …doch das birgt natürlich auch extreme Gefahren – nämlich massive Angriffe auf MINUSMA.
ODER der Antiterrorkampf wird auf die G5 schrittweise übertragen – mit enger Unterstützung durch westliche Kräfte, inklusive Frankreich. - Viertens müssen inklusive Friedensverhandlungen aufgenommen werden, in denen zumindest bestimmte dschihadistische Gruppen beteiligt sind (was bislang am Veto von Frankreich gescheitert ist).
- Fünftens muss die malische Armee schnellstmöglich das Recht erhalten, nach Kidal zurückzukehren – quasi als Sofortmaßnahme, um die gesellschaftliche Stimmung etwas zu beruhigen. Hier kommt auch der MINUSMA als offizieller Wächterin des Friedensprozesses eine wesentliche Verantwortung zu, dies zu ermöglichen.
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Zur Kooperation zwischen MINUSMA und Barkhane
a) Juni 2019 (Mandat für MINUSMA)
30.Requests the Secretary-General to ensure adequate coordination, exchange of information and, when applicable, support, within their respective mandates and through existing mechanisms, between MINUSMA, the MDSF, the FC-G5S, the French Forces and the European Unionmissions in Mali, and further requestsMINUSMA to convene regular meetings of the Instance de Coordination au Malias the main platform for such coordination, exchange of information and support;
b) Dezember 2019 (Bericht des Generalsekretärs an Sicherheitsrat)
97: MINUSMA operates under robust rules of engagement, with the authority to use all means necessary to address threats to the implementation of its mandate, notwithstanding the fact that it is not a counter-terrorism mandate. I remain convinced that organizational partners are better placed to conduct major combat and counter-terrorism operations and provide specialist support beyond the scope of the mandate of the Mission and the capability of the United Nations system. Effective partnerships are needed to ensure collective success.