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April 2017 | Rasthaus-Newsletter Nr. 5

1. Vorbemerkungen

Dieser Newsletter basiert auf einem aktuellen Bericht von Emmanuel, geflüchtet aus dem Kongo und wohnhaft in den Niederlanden, der zum Koordinationskreis des Baobabs gehört (aus Schutzgründen nennen wir in diesem Newsletter lediglich Vornamen). Emmanuel war im März dieses Jahres für zwei Wochen in Rabat, um zusammen mit seiner dortigen Gruppe ARCOM die Arbeit des Rasthauses weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang ist auch eine Delegierte des in mehreren europäischen Ländern verankerten Kooperativen-Netzwerks Longo Mai in Rabat gewesen, nicht zuletzt deshalb, weil Longo Mai das Rasthaus zukünftig auch finanziell unterstützen wird.

2. Zur allgemeinen Situation der Migrant_innen in Marokko

Der im November 2015 auf Initiative der EU begonnene Valletta-Prozess hat zur Folge, dass es unter anderem in den Maghreb-Staaten zu einer immer repressiveren Grenzpolitik kommt (vgl. hierzu auch die auf der Webseite von Afrique-Europe-Interact dokumentierten Artikel in der Rubrik “Themen // Afrika & Migration // Valletta-Prozess). Insgesamt ist zu beobachten, dass es zunehmend Übergriffe auch im alltäglichen Leben in den Städten gegenüber Migrant_innen besonders aus Subsahara-Afrika gibt. So berichtet Emmanuel, dass im Januar dieses Jahres die zweijährige Tochter einer kongolesischen Migrantin in Rabat von einer Marokkanerin ermordet wurde. Emmanuel betont ausdrücklich, dass die Gewaltakte auch auf das Konto der EU und der von ihr betriebenen Externalisierung der Grenzpolitik gingen. Zu den großen Mengen an Geld, die die EU an Marokko bezahle, komme ein erheblicher politischer Druck, der darauf abziele, das Land für die Grenzsicherung einzuspannen. Die Polizeigewalt sei eine Konsequenz dieser Politik. Die Bevölkerung nehme diesen Impuls ebenfalls auf und imitiere diese Gewalt, sie sehe sich darin bestätigt, dass Migrant_innen in dieser Gesellschaft keinen Schutz genießen. Gleichzeitig sei auch festzuhalten, so Emmanuel, dass der marokkanische Staat jüngst eine weitere Kampagne zur Regularisierung von Migrant_innen ohne Papiere gestartet habe (was unter anderem eine Folge des jahrelangen politischen Drucks selbstorganisierter Migrant_innen sein dürfte).

3. Personelle Veränderungen und Konsequenzen im Baobab

Im Baobab hat es in den letzten Monaten mehrere personelle Veränderungen gegeben: Zwei Verantwortliche konnten nach Europa weiterreisen. Zudem hat eine weitere Person (die selber eine extrem schmerzhafte Fluchtgeschichte hat) das Rasthaus verlassen, nachdem es im Umgang mit den Bewohner_innen mehrfach zu massiven Schwierigkeiten gekommen ist. Der europäische Teil des Unterstützer_innenteams des Rasthauses hat die diesbezüglichen Vorgänge mit Emmanuel ausführlich nachbereitet. Eines der Ergebnisse lautet, dass alle aktuellen Mitarbeiter_innen des Rasthauses eine niedrigschwellige Fortbildung bei einem Psychologie-Professor in Rabat zur Arbeit mit traumatisierten Geflüchteten begonnen haben. Zudem soll es zukünftig regelmäßige Supervisionstermine geben. Die Finanzierung hierfür wird in einem ersten Schritt von der in Frankfurt ansässigen (Gesundheits-)NGO Medico International übernommen.

Für das Baobab arbeiten derzeit außer Raoul (einer der Mitgründer des Rasthauses) Christie und Arlette. Christie kommt aus der Elfenbeinküste und hat selber im Baobab gewohnt. In dieser Zeit hat sie bereits Verantwortung übernommen, unter anderem, indem sie einige Frauen bei der Arbeitssuche unterstütze. Außerdem hat sie auch früher schon im kirchlichen Rahmen Erfahrungen in ähnlichen Bereichen gesammelt. Arlette hat im Kongo Jura studiert und gehört ebenfalls zur ARCOM. Darüber hinaus wird ab Mai eine weitere Person im Rahmen des Schulprojekts angestellt (siehe unten).

4. Die Appartements des Baobabs

Die drei Appartements des Baobabs befinden sich im selben Stadtteil und sind zur Zeit voll belegt: Im Appartement 1 wohnen momentan sieben Frauen und fünf Kinder (3 Jahre, 4 Jahre, 5 Jahre, 1 Monat, 2 Monate). Eine der Frauen, Ravia, hat ihr Baby während ihres Aufenthaltes im Baobab entbunden. Man hatte ihr wegen des Babys zugestanden, zwei weitere Monate in der Wohnung zu bleiben. Jetzt nähert sich die Zeit allerdings dem Ende. Ravias Situation ist sehr schwierig. Es soll Kontakt aufgenommen werden mit einer Gruppe katholischer Nonnen, mit der konkreten Frage, ob sie sich um Ravia und ihr Baby kümmern können. Im Appartement 2 leben elf Frauen, von denen zwei schwanger sind. Im Appartement 3 sind neun Frauen untergebracht, zudem zwei unbegleitete minderjährige Mädchen (12 und 14 Jahre alt). Auf die Situation dieser beiden Kinder soll hier näher eingegangen werden:

Die Mutter der beiden Mädchen lebt in Frankreich und ist dort als Geflüchtete anerkannt. Nach ihren Aussagen verfügt sie über einen Brief der französischen Behörden, der es ihr erlaubt, die Kinder nach Frankreich kommen zu lassen. Sie hatte einen Bericht geschrieben, den sie nach Mali schickte, wo ihre Kinder waren, aber die französische Botschaft hatte sich geweigert, Visa auszustellen. Ein sogenannter „Fluchthelfer“ bot ihr an, er würde die Kinder mit nach Marokko nehmen und die Reise organisieren. Die Mutter schickt dem Mann regelmäßig Geld, da er ihr sagte, er bezahle davon die Unterkunft der Mädchen, mache Behördengänge, damit sie zur Mutter nach Frankreich reisen können etc. Das ist allerdings nicht wahr. Emmanuel hat Erkundigungen angestellt und herausgefunden, dass kein einziger Behördengang unternommen wurde und der Mann die Mädchen und das Baobab dazu missbraucht, Geld von der Mutter zu erpressen. Aus Sorge um die Sicherheit der Kinder stellten Arlette, Christie und Raoul das Problem dem UNHCR (UN-Flüchtlingskommissariat) vor. Die Verantwortlichen dieser Behörde wollten jedoch keinen Präzedenzfall schaffen und verwiesen an die IOM (International Organisation of Migration), damit man die Kinder nach Guinea zurückbringe, wo sie bei den Großeltern leben könnten. Die eingangs bereits erwähnte Delegierte von Longo Mai bemüht sich zur Zeit, die Ausreise der Mädchen nach Frankreich mit Hilfe eines Anwalts zu organisieren. Emmanuel hat sich noch einmal schriftlich an den UNHCR gewandt. Denn es steht zu befürchten, dass der erwähnte “Fluchthelfer” die Kinder jetzt im Frühling die gefährliche Fahrt über das Meer antreten lassen könnte.

5. Das Schulprojekt

Emmanuel hat zusammen mit der ARCOM eine Elternversammlung durchgeführt. Hierbei wurde deutlich, dass viele der Kinder Probleme haben, mit marokkanischen Kindern zu kommunizieren. Hinzu kommt, dass die Unterrichtssprache Arabisch ist, was es manchen Kindern erschwert, den Unterrichtsstoff vollumfänglich zu erfassen. Daher soll Nachhilfeunterricht eingerichtet werden, darüber hinaus regten die Eltern an, Französischkurse für die Kinder anzubieten (wofür zwei Mitglieder von ARCOM derzeit eine kostenlose Ausbildung zu Sprachlehrer_innen durchlaufen). Das Schulprogramm wird von Rosine betreut, die selbst eine Zeitlang gemeinsam mit ihren vier Kindern im Baobab gewohnt hat (es handelt sich bei Rosine um die bereits erwähnte vierte Person, die ab Mai ein Gehalt beziehen wird).

Des Weiteren wurden für die Schulkinder im Rahmen einer von Emmanuel initiierten Spendensammlung in Luxemburg eine große Anzahl aktueller (Schul-)Bücher gespendet, die mit einem Bus nach Rabat transportiert wurden. Emmanuel hat hierfür eine kleine Bibliothek eingerichtet, die ebenfalls von Rosine verwaltet wird. Es dürfte insofern nicht verwunderlich sein, dass einige neu in Rabat angekommene Familien bereits darum gebeten haben, dass ihre Kinder ebenfalls ins Schulprogramm aufgenommen werden.

6. Ladenlokal

Bei einer Versammlung der Bewohnerinnen des Rasthauses wurde deutlich, dass es dringenden Bedarf nach einem größeren Raum gibt, der als Treffpunkt für die Frauen sowie als Standort für die Bibliothek, den Nachhilfeunterricht und einige der beruflichen Aktivitäten der Frauen (Nähstudio und Restaurant) dienen möge. In diesem Sinne wurde nunmehr ein 4. Appartement angemietet, um direkt beginnen zu können. Allerdings wurde auch beschlossen, ab sofort nach einem geeigneteren Ladenlokal zu suchen, in das nochmals umgezogen werden würde – letzteres im Übrigen auch deshalb, um einen kleinen Beitrag zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen der marokkanischen Bevölkerung und subsaharischen Migrant_innen zu leisten.

7. Allgemeiner Newsletter von Afrique-Europe-Interact

Vergangene Woche ist auch der aktuelle Newsletter von Afrique-Europe-Interact erschienen, dieses Mal auch in gedruckter Form. Er kann unter info@afrique-europe-interact.net bestellt oder auf der Webseite von Afrique-Europe-Interact runtergeladen werden.