17. April 2013 | NEOKOLONIALEN LANDRAUB UND SPEKULATION MIT LEBENSMITTELN STOPPEN!
Flashmob bei Deutscher Bank in Bremen: Für Ernährungssouveränität und ein gutes Leben für alle!
Anlässlich des weltweiten Aktionstags von Via Campesina haben rund 25 AktivistInnen auf Initiative von Afrique-Europe-Interct am 17. April einen kurzen Flashmob in der Deutsche Bank am Domshof in Bremen durchgeführt. Mit der Aktion sollte an die ebenfalls von Afrique-Europe-Interact initiierte 24-stündige Belagerung der Deutschen Bank am 17. April 2012 angeschlossen werden. Wie damals ging es auch dieses Jahr um den Umstand, dass die Deutsche Bank nicht nur mit Lebensmitteln spekuliert und dadurch die Preise für Grundnahrungsmittel insbesondere in den Ländern des Südens nach oben treibt, sondern auch zu den größten Investoren im internationalen Geschäft mit riesigen Wald-, Weide- Ackerflächen” gehört (“Landgrabbing”). Der Flashmob ist problemlos über die Bühne gegangen, danach sind die AktivistInnen zusammen mit einer Samba-Band zurück zum Infofestival gegen agrarindustrielle Landwirtschaft im Bremer Steintorviertel gezogen.
Während der Aktion wurde folgendes Flugblatt verteilt. Ein PDF des Flugblatts genauso wie Bilder und ein Artikel über die Aktion in der Bremer Ausgabe der taz befinden sich weiter unten.
Weltweit hungern knapp eine Milliarde Menschen – und das mit dem nur schwer vorstellbaren Effekt, dass jährlich über 30 Millionen Hungernde sterben, viele von ihnen an harmlosen Krankheiten, weil ihr Körper durch Unter- oder Mangelernährung extrem geschwächt ist. Um so zynischer ist es, dass seit Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008 immer mehr Banken, Versicherungen und Unternehmen auf den internationalen Finanzmärkten mit Weizen, Reis und anderen agrarischen Rohstoffen spekulieren, das heißt Wetten auf deren Preisentwicklung abschließen. Denn diese Kasinopraktiken sind eine der zentralen Ursachen dafür, weshalb es regelmäßig zu extremen Preisexplosionen bei Grundnahrungsmitteln kommt – ein Mechanismus, der allein in den letzten 5 Jahren über 100 Millionen Menschen zusätzlich in absolute Armut und somit Hunger abgedrängt hat.
Die Deutsche Bank ist mit 5 Milliarden Euro weltweit die Nr. 2 bei der Spekulation mit Nahrungsmitteln, direkt hinter der Allianz-Versicherung. Auch sie kennt den engen, in vielen Studien nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Spekulation und Zuspitzung der Hungerproblematik genau. Beispielsweise heißt es in einer ihrer hausinternen Studien kurz und knapp: „Auch die Spekulation hat zu Preissteigerungen beigetragen“. Ganz ähnlich die Allianz-Versicherung, die in einem ebenfalls internen Papier festhält: Es sei „nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Spekulation übermäßige Preisentwicklungen zumindest fördert.“ Einziger Haken: Die Deutsche Bank ist genauso wenig wie die Allianz-Versicherung gewillt, aus diesen Fakten die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und aus dem Geschäft mit den Hungerprofiten auszusteigen, wie es bereits die DEKA, die Commerzbank oder die Baden-Würtembergische Landesbank getan haben. Im Gegenteil: Erst jüngst verkündete Vorstandschef Jürgen Fitschen, dass das Geldinstitut ihre Ende 2011 auf öffentlichen Druck hin selbst auferlegte Zurückhaltung aufgeben und wieder verstärkt mit Nahrungsmitteln spekulieren wolle. Denn es gebe „kaum stichhaltige empirische Belege“ für den Zusammenhang zwischen Spekulation und Preissteigerungen, so die handfeste Lüge. Vielmehr seien für Preisschwankungen ausschließlich andere Faktoren wie Angebotsengpässe wegen Bevölkerungswachstum, Wasserknappheit oder Klimawandel verantwortlich.
Deutsche Bank belügt Öffentlichkeit und macht Hunger
Vor diesem Hintergrund möchten wir anlässlich des heutigen Aktionstags von Via Campesina erneut dazu aufrufen, den öffentlichen Druck auf die Deutsche Bank (und alle vergleichbaren Investoren) weiterhin aufrechtzuerhalten – ob durch kleine Nadelstiche, gezielte Öffentlichkeitsarbeit oder größere Aktionen wie vor einem Jahr, als auf Initiative von Afrique-Europe-Interact die Deutsche Bank in Bremen 24 Stunden belagert wurde. Denn die Deutsche Bank spitzt nicht nur durch ihre Spekulationsgeschäfte den Hunger zu. Sie ist mit einer Investitionssumme von über 250 Millionen Euro auch einer der größten Akteure im weltweiten Landgrabbing, also beim Ausverkauf von fruchtbarem Ackerland an global operierende Investoren – unter anderem durch Beteiligungen an berühmt berüchtigten (Agrobusiness-)Firmen wie Olam International, ADM oder Syngenta. Anders als die Spekulation mit Lebensmitteln ist neokolonialer Landraub keineswegs ein neues Phänomen – das zeigt bereits ein kurzer Blick in die Geschichte des Kolonialismus. Neu sind allerdings der Umfang, die beteiligten Fonds und die Akteure. So sollen seit Beginn der Finanzkrise 2008 jedes Jahr durchschnittlich 47 Millionen Hektar Land unter den Hammer gekommen sein – was der Größe Schwedens und somit einem Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der EU entspricht. Hintergrund ist ein ständig wachsender Flächenbedarf – insbesondere für Agrosprit und Futtermittel (letzteres im Zuge des weltweit steigenden Fleisch- und Milchkonsums). Die Auswirkungen dieser Landgeschäfte sind katastrophal, vor allem in Afrika, wo heute 75 Prozent des weltweiten Landgrabbings stattfindet: So kommt es neben Hunger zur Vertreibung ganzer Dörfer bzw. zum Durchzugsverbot für Viehhirten und somit zu massenhafter Landflucht. Zudem führt die agrarindustrielle Bearbeitung des geraubten Landes zu massiven ökologischen Schäden: Sie beschleunigt unter anderem den Klimawandel, bewirkt Artensterben und senkt die Fluss- und Grundwasserspiegel („Wasserraub“).
Schließlich: Die Zerschlagung kleinbäuerlicher Existenzgrundlagen hat verschiedene Ursachen. Die Beendigung von Landraub und Lebensmittelspekulation sind daher nur erste Schritte auf dem Weg zu einer Landwirtschaft, die alle Menschen ernährt (was rein mengenmäßig überhaupt kein Problem wäre). Als programmatischer Gegenentwurf zur agrarindustriellen und klimazerstörenden Landwirtschaft sollte dabei auf das von dem weltweiten Kleinbauernverband Via Campesina seit 1996 schrittweise entwickelte Konzept der Ernährungssouveränität zurückgegriffen werden – im Norden genauso wie im Süden des Globus. Denn Ernährungssouveränität zielt auf ein Ernährungssystem, in dessen Zentrum nicht Konzern- bzw. Profitinteressen stehen, sondern der ungehinderte Zugang zu Land, Wasser und Saatgut für kleinbäuerliche Produzent_innen. Kurzum: Es geht um die Verteidigung bzw. Einführung (klein)bäuerlicher und somit nicht-agrarindustrieller Landwirtschaft sowie die Dezentralisierung der Lebensmittelversorgung mit kurzen Versorgungsketten zwischen Produktion und Verbrauch – eine Vision, die freilich nicht allein, sondern nur im Zusammenspiel mit einer Veränderung der Gesamtgesellschaft verwirklicht werden kann.
Kasten: Weltweiter Aktionstag
Weltweiter Aktionstag: Am 17. April 1996 wurden in Brasilien 19 Bauern und Bäuerinnen der Landlosenbewegung MST von staatlichen Sicherheitskräften ermordet. Seitdem ruft das weltweite Kleinbauernnetzwerk Via Campesina jedes Jahr am 17. April zu Aktionen rund um den Globus auf. Hauptaktion in Bremen ist in diesem Jahr ein Infofestival für Ernährungssouveränität von 15 bis 22 Uhr auf dem Ulrichsplatz im Viertel – inklusive Volksküche, Filmclips, Livemusik etc.
PDF-Version des Flyers
Während und nach der Aktion wurde folgender Flyer zu den Machenschaften der Deutschen Bank verteilt – er kann hier als pdf runtergeladen werden. Das Bild mit dem großen Transparent stammt im Übrigen von der Blockupy-Demonstration im Mai 2012 in Frankfurt, an der AktivistInnen von Afrique-Europe-Interact ebenfalls beteiligt waren.
Xanadu in der Deutschen Bank (taz-Nord am 18.04.2013)
Weil die Deutsche Bank nicht daran denkt, mit Spekulationen auf Nahrungsmittel aufzuhören, haben AktivistInnen anlässlich des „Tags der Landlosen“ die Filiale am Domshof gestürmt.” Von Simone Schnase
Die MitarbeiterInnen der Deutschen Bank am Domshof waren sichtlich überfordert – schließlich singen nicht alle Tage bunt angezogene Menschen lauthals den selbst gedichteten Song „Widerstand“ über die Melodie von Olivia Newton John‘s Hit „Xanadu“ und tanzen dazu mitten in der Filiale. Die Flashmob-TeilnehmerInnen, AktivistInnen des Netzwerks Afrique-Europe-Interact, waren aus genau dem gleichen Grunde „zu Besuch“ bei der Deutschen Bank wie vor genau einem Jahr schon einmal, nämlich anlässlich des „Internationalen Tags der Landlosen“. Ihr Protest richtet sich gegen die Beteiligung der Deutschen Bank an Nahrungsmittel-Spekulationen.
„Die Deutsche Bank steht gemeinsam mit der Allianz-Versicherung“ sagt Netzwerk-Aktivist Olaf Bernau, „weltweit an zweiter Stelle bei der Spekulation mit Nahrungsmitteln.“ Und sie sei nicht gewillt, dieses Geschäft aufzugeben: „Die Commerzbank, die DEKA oder auch die Baden-Württembergische Landesbank sind mittlerweile aus diesen obszönen und zynischen Geschäften mit Hungerprofiten ausgestiegen, die Deutsche Bank denkt jedoch gar nicht daran.“
Dabei habe sie im vergangenen Jahr versprochen, eine Studie zu erstellen und ein Gespräch zum Thema Nahrungsmittelspekulationen mit dem Verein „Foodwatch“ zu führen. „Das Gespräch hat es nie gegeben“, sagt Bernau, „und anstelle einer Studie hat die Bank ein drei- oder vierseitiges Papier mit lauter Rechtfertigungen aufgesetzt.“
Die Deutsche Bank bleibt dabei: Nicht nur Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen sagte im Januar auf der „Grünen Woche“ in Berlin, die Bank wolle weiterhin mit Nahrungsmittel-Spekulationen Geld verdienen, sondern auf gestrige Nachfrage der taz auch die Pressestelle: Untersuchungen hätten kaum stichhaltige Belege für einen Zusammenhang dieser Geschäfte mit dem Hunger in der Welt erbracht.
„Zahlreiche renommierte Studien“, sagt indes Bernau, „beweisen das Gegenteil.“ Das Thema sei freilich mittlerweile in der Öffentlichkeit angekommen, „deswegen gehen wir real davon aus, dass dies ein für uns gewinnbarer Kampf ist.“