Oktober 2025 | 10 Jahre Rasthaus Baobab, 20 Jahre ARCOM: „Wir migrieren, um zu leben, nicht um zu sterben!“

2005 war ein besonders schweres Jahr für Migrant:innen in Marokko – viele von ihnen auf dem Weg nach Europa. Immer wieder kam es zu Razzien und Abschiebungen in die Wüste. Im September 2005 wurden mindestens 14 Menschen von Sicherheitskräften getötet, als sie versuchten, die Zäune der auf Territorium gelegenen, aber zu Spanien gehörigen Städte Ceuta und Melilla zu überwinden.

In diesem Klima gründete eine Gruppe kongolesischer Migrant:innen die Organisation ARCOM, die sich fortan für die Rechte aller Migrant:innen einsetzte. Zu ihren Gründer:innen gehörte auch Emmanuel Mbolela, der es 2008 nach Europa schaffte [vgl. das Interview auf dieser Seite]. Mit seinem mittlerweile in fünf Sprachen veröffentlichten Buch Mein Weg vom Kongo nach Europa. Zwischen Widerstand, Flucht und Exil sammelte er so viele Spenden, dass die ARCOM 2015 in der marokkanischen Hauptstadt Rabat das Rasthaus Baobab für Frauen und ihre Kinder gründen konnte – zusammen mit Afrique-Europe-Interact (vgl. Infobox S. 2). Kurzum: 2025 war ein Doppeljubiläum: 20 Jahre ARCOM, 10 Jahre Baobab.

Aus diesem Anlass fand im Oktober in Rabat eine Konferenz unter dem Titel «Wir migrieren, um zu leben, nicht um zu sterben» statt. Teilgenommen haben rund 300 Menschen – mehrheitlich (Transit-)Migrant:innen in Marokko, darunter viele aus Sudan. Hinzu kamen rund 50 Aktivist:innen von Afrique-Europe-Interact und befreundeten Netzwerken aus Niger, Mali, Senegal, Marokko, Mauretanien, Tunesien, Deutschland, Österreich, Frankreich und den Niederlanden. Auf diese Weise wollten wir den Erfahrungsaustausch auf allen Ebenen gewährleisten. Im Zentrum der Vorträge, Podiumsgespräche und Workshops standen die Gewalt auf den Migrationsrouten, überfüllte Lager, Abschiebungen sowie fehlender Schutz für Frauen und Kinder. Auch die künstlerischen Tanz- und Theaterbeiträge beschäftigten sich mit dem Schmerz und den vielfältigen Traumata. Organisation und Verpflegung wurden gemeinsam von Afrique-Europe-Interact und den Bewohnerinnen des Rasthaus Baobab gestemmt.

Aufruf zur Konferenz

2025 markiert gleich zwei bedeutende Jubiläen: den zehnten Jahrestag des „March of Hope“ – jenes historischen Moments, als das europäische Grenzregime vorübergehend zusammenbrach und Bewegungsfreiheit für „People on the Move“ Realität wurde – sowie das 20-jährige Bestehen von der „Vereinigung der Geflüchteten und migrantischen Gemeinschaften in Marokko“ (ARCOM), einer von Migrant:innen gegründeten Organisation zur Verteidigung ihrer Grundrechte in Marokko. Zudem feiert das von ARCOM gegründete Frauenhaus BAOBAB sein zehnjähriges Bestehen – ein Schutzraum für Migrantinnen und ihre Kinder auf ihrer oft lebensgefährlichen Reise. ARCOM, die auch Teil des Afrique-Europe-Interact-Netzwerkes ist, setzt sich seit ihrer Gründung sowohl praktisch als auch politisch für die Rechte von Migrant:innen und Geflüchteten in Marokko ein. Anlässlich der Jubiläen planen ARCOM und Afrique-Europe-Interact eine dreitägige Konferenz in Rabat vom 3. bis 5. Oktober 2025.

Die Konferenz soll dazu beitragen, die langjährigen Kämpfe von ARCOM und dem Rasthaus Baobab gegen das europäische Grenzregime sichtbar zu machen. Unter dem Motto „Nous émigrons pour vivre et non pour mourir“ (Wir migrieren, um zu leben, nicht um zu sterben) wird die Situation von Frauen, Kindern und unbegleiteten Minderjährigen auf den Fluchtrouten beleuchtet. Gemeinsam wollen wir die politischen Verschärfungen durch den Druck der EU analysieren und die alltägliche solidarische Arbeit von Organisationen in den Maghreb-Staaten diskutieren. Die Stimmen von Migrant:innen selbst stehen dabei im Mittelpunkt.

Der Großteil der vorgesehenen 250 – 300 Teilnehmenden und Sprecher:innen wird aus den migrantischen Communities in Rabat und anderen marokkanischen Städten kommen. Angesichts zunehmender Repressionen, rassistischer Gewalt und EU-unterstützter Razzien ist politische Arbeit für Gruppen wie die ARCOM kaum öffentlich möglich. Die Konferenz soll einen geschützten Raum schaffen, um persönliche Erfahrungen zu teilen, Kritik zu äußern und neue Kraft für die Herausforderungen des Alltags zu gewinnen. Gleichzeitig soll die Konferenz als Ausgangspunkt für neuen Widerstand dienen, der zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Migrant:innen in Marokko beitragen kann. Denn ARCOM hat sich in der Vergangenheit immer wieder erfolgreich für die Rechte von Migrant:innen stark gemacht.

Ziel der Konferenz ist es auch, die transnationale Zusammenarbeit von Akteuren entlang der Süd-Nord-Migrationsroute zu stärken und damit bessere Rettungs- und Vernetzungsstrukturen aufzubauen. Denn in den nordafrikanischen Nachbarstaaten der EU findet eine systematische Verfolgung von Migrant:innen statt. Tausende von Menschen stranden nach Kettenabschiebungen aus Tunesien über Libyen und Algerien in Niger. Das Alarme Phone Sahara berichtet regelmäßig über illegale Massenabschiebungen in die Sahara, bei denen immer wieder Menschen sterben. Besonders Frauen und Kinder sind in diesem Zusammenhang Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt.

Gegen das tödliche und ungerechte Grenzregime!
Für Solidarität mit Migrant:innen und gegen ihre zunehmende Kriminalisierung!
Für einen Raum des Austauschs und der Vernetzung, insbesondere für Migrant:innen in den Maghreb-Staaten!