Offener Brief an die Bundesregierung nach Verfassungsputsch und Parlamentswahlen in Togo

Am 26. März 2024 verabschiedete das von der Regierungspartei UNIR kontrollierte Parlament in einer buchstäblichen Nacht-und-Nebel-Aktion eine neue Verfassung. Diese erlaubt es Präsident Faure Gnasingbé, die Begrenzung seiner Macht auf zwei Mandatsperioden zu umgehen. Durch den neu geschaffenen Posten des „Präsidenten des Ministerrats“ kann er von einem ihm ergebenen Parlament praktisch unbegrenzt wiedergewählt werden. Bei den nur wenige Wochen später am 29. April stattfinden Parlamentswahlen gewann die Regierungspartei schließlich nach offiziellen Angaben 96 Prozent der Parlamentssitze. Um auf diese besorgniserregenden Entwicklungen sowie erhobene Vorwürfe der Wahlmanipulation und die unterdrückten Proteste gegen die von der Opposition als konstitutioneller Putsch bezeichnete Verfassungsänderung aufmerksam zu machen, hat Afrique-Europe-Interact folgenden offenen Brief an das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie an das Auswärtige Amt geschickt.

++++++

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Schulze,

wir wenden uns an Sie, weil wir auf die jüngsten, unseres Erachtens äußerst beunruhigenden politischen Entwicklungen in Togo aufmerksam machen möchten. Dabei möchten wir an das Gespräch anknüpfen, das wir am 14.06.2022 mit Herrn Christoph Rauh im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Bonn geführt haben – damals ausgehend von Recherchen unserer Kooperationspartner in Togo, die wir im September 2022 auch als Beilage der bundesweiten Ausgabe der Tageszeitung “taz” veröffentlicht haben [1].

Was ist geschehen? In einer buchstäblichen „Nacht-und-Nebel-Aktion“ hat das von der Regierungspartei „Union pour la République“ (UNIR) dominierte Nationalparlament Togos am 25. März 2024 ohne vorherige gesellschaftliche Diskussion eine Verfassungsänderung durchgesetzt, die geeignet ist, dem jetzigen Präsidenten Faure Gnassingbé die Macht ohne jede zeitliche Begrenzung zu sichern. Die Abgeordneten – aufgrund eines Boykotts der Parlamentswahlen 2018 durch die Opposition fast ausschließlich UNIR-Mitglieder – wurden am 25. März 2014 auf Anweisung des Präsidenten nachts einberufen, um eine neue Verfassung zu verabschieden. Obwohl den Abgeordneten der Text nicht im Detail bekannt war, nahmen sie ihn mit 87 Ja-Stimmen, einer Nein-Stimme und einer Enthaltung an.

Die entscheidende Veränderung besteht dabei in der Transformation von einer Präsidialdemokratie, bei der nach französischem Vorbild der direkt vom Volk gewählte Präsident das exekutive Machtzentrum ist, zu einer parlamentarischen Demokratie, bei der das exekutive Staatsoberhaupt vom Parlament gewählt wird. Insofern konzentriert die neue togoische Verfassung die Staatsgewalt in den Händen des neu geschaffenen Amtes des „Präsidenten des Ministerrats“. Die in der togoischen Verfassung von 1992 vorgesehene und auch von der ECOWAS angestrebte Beschränkung der präsidialen Mandate auf zwei Amtsperioden betrifft den neu geschaffenen Ministerratspräsidenten nicht. Er kann zeitlich unbegrenzt wiedergewählt werden.

Als die Nachricht bekannt wurde, dass in der Nacht vom 25. auf den 26. März 2024 eine neue Verfassung verabschiedet worden war, die Togo in eine Fünfte Republik führen soll, löste dies Unverständnis und Empörung nicht nur in Kreisen der Opposition aus [2]. Neben einer durch die Hintertür eingeführten Möglichkeit für Faure Gnassingbé, auf unabsehbare Zeit die Staatsmacht zu besetzen, verstößt dieses Manöver gegen geltende togoische Gesetze. So ist das legislative Mandat der Abgeordneten bereits Ende 2023 abgelaufen. Sie waren zum Zeitpunkt der Abstimmung über die neue Verfassung nur noch im Amt, weil die Durchführung der Parlamentswahlen mehrfach verschoben worden war [3]. Nach Art. 144 der bisher geltenden Verfassung sind ihnen Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung in einer solchen Übergangszeit nicht erlaubt. Darüber hinaus schließt die ECOWAS-Satzung eine Verfassungsänderung in den sechs Monaten vor einer Parlamentswahl aus. Und schließlich kann nach Art. 59 der bisher geltenden Verfassung die Funktion des Präsidenten nur durch ein Referendum geändert werden.

Angesichts der massiven Ablehnung und Kritik an der Verfassungsänderung ordnete Präsident Faure Gnassingbé am 31. März 2024 eine zweite Lesung in der Nationalversammlung für den 19. April 2024 an. Gleichzeitig wurde die Doppelwahl der 113 Abgeordneten für die Nationalversammlung sowie der 179 Regionalräte vom eigentlich vorgesehenen 20. April 2024 auf den 29. April 2024 verschoben.

Als Reaktion schlossen sich die Oppositionsparteien des Landes zusammen, um die Bevölkerung gegen den „Verfassungsputsch“ zu mobilisieren. Doch schon die beiden für den 27. März 2024 geplanten Pressekonferenzen wurden von den Sicherheitskräften unter Einsatz von Tränengas aufgelöst bzw. verhindert. Auch die für den 11. bis 13. April 2024 angekündigten und ordnungsgemäß angemeldeten Demonstrationen wurden vom Ministerium für Territorialverwaltung, Dezentralisation und Gebietsentwicklung unter fadenscheinigen Gründen („Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“) verboten [4]. Im Übrigen gab es seit Einführung eines neuen Demonstrations(verhinderungs)gesetzes im August 2019 so gut wie keine Demonstrationen mehr in Togo. Gleichzeitig führte die Regierungspartei UNIR ungehindert Informationsveranstaltungen mit ausgesuchtem Publikum im Land durch, um für ihr Vorhaben zu werben. Schließlich wurde die neue Verfassung am 19. April 2024, mitten im Wahlkampf, in zweiter Lesung von der Nationalversammlung endgültig verabschiedet und trat am 06. Mai 2024 in Kraft.

Konsequenz war, dass die Oppositionsparteien in der paradoxen Situation waren, gegen die neue, putschartig zustande gebrachte Verfassung zu protestieren, sich zugleich aber auch am Wahlkampf zu beteiligen, um möglichst viele Sitze in der ersten Nationalversammlung der „Fünften Republik“ zu erringen, die sie eigentlich ablehnen. Zudem wurden – wie schon bei früheren Wahlen – wiederholt Unregelmäßigkeiten und Fälle von Wahlmanipulation dokumentiert:

Im Vorfeld untersagte die staatliche Wahlkommission CENI am 12. April 2024 eine unabhängige Wahlbeobachtung der katholischen Kirche mit der Begründung, die Finanzierungsquellen seien nicht bekannt, obwohl die Wahlbeobachtung von Freiwilligen durchgeführt werden sollte [5]. Die staatliche Medienaufsicht HAAC (Haute Autorité de l'Audiovisuel et de la Communication) gab am 15. April bekannt, die Akkreditierung ausländischer Journalist:innen vorübergehend auszusetzen. Hintergrund war die Festnahme des französischen Journalisten Thomas Dietrich, der für das online- Portal Afrique XXI über die neue Verfassung berichtet und in einem auf sozialen Medien veröffentlichten Video Togo als Diktatur bezeichnet hatte. Laut einer Erklärung von Reporter ohne Grenzen wurde er „brutal misshandelt“, zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt und schließlich des Landes verwiesen [6].

Am 04. Mai 2024 verkündete die CENI die vorläufigen Wahlergebnisse. Danach erhielt die Regierungspartei UNIR mit 108 der insgesamt 113 Mandate fast 96 % der Parlamentssitze, während vier Oppositionsparteien insgesamt nur 5 Sitze erhielten. Von den 179 zu bestimmenden Regionalräten entfielen 137 Sitze an die UNIR [7]. Das togoische Verfassungsgericht (Cour Constitutionnelle) bestätigte am 13.05.2024 das Ergebnis der Parlamentswahl und auch die (angebliche) Wahlbeteiligung von knapp 62 % der etwa 4,2 Millionen Wahlberechtigten [8].

Nach Ansicht vieler Beobachter:innen ist dieses Wahlergebnis, das Togo praktisch wieder zu einem Ein-Parteien-Staat macht [9], extrem unrealistisch. Selbst in Hochburgen der Opposition soll die Regierungspartei UNIR Mehrheiten errungen haben. In den sozialen Medien kursieren viele Berichte über beobachtete Wahlmanipulationen und eine weitaus geringere Wahlbeteiligung als die offiziell angegebene. So beklagen das Kollektiv gegen Straflosigkeit (CACIT) und die Togoische Liga für Menschenrechte, dass registrierte Wähler:innen nicht auf den Wahllisten standen, dass Vertreter:innen politischer Parteien keinen Zugang zu den Auszählungsprotokollen hatten, dass die Parteilogos von Oppositionsparteien auf vielen Stimmzetteln fehlten und dass Urnen bereits mit Wahlzetteln (vor)gefüllt waren [9]. Ein Afrique-Europe-Interact persönlich bekannter Beobachter berichtete, dass die Wahlbeteiligung in seiner Stadt in Zentral-Togo höchsten bei 30 % lag, die Urnen am Ende der Wahl aber trotzdem voll waren. Mehr noch: Obwohl in den von ihm beobachteten Wahlbüros kaum jemand erschienen war, hatten am Ende alle auf der Liste stehenden Wähler:innen offiziell abgestimmt. Darüber hinaus befanden sich auch bereits verstorbene Personen auf den Wählerlisten. Aufgrund dieser und weiterer Unregelmäßigkeiten zugunsten der Regierungspartei UNIR hat die Oppositionspartei DMP (Dynamique pour la Majorité du Peuple) am 12.05.2024 Beschwerden zu Vorfällen in 29 von insgesamt 40 Präfekturen beim Verfassungsgericht und beim Obersten Gerichtshof (Cour Suprême) eingereicht [10].

Afrique-Europe-Interact hat mehrfach öffentlich auf das autokratische, ja diktatorische Wesen der seit über 50 Jahren die Bevölkerung des Staates Togo regierenden Gnassingbé-Dynastie hingewiesen – wie auch auf die damit verbundenen Folgen für die togoische Gesellschaft, die sich unter anderem darin zeigen, dass die togoische Jugend mehrheitlich den Wunsch hegt, das Land zu verlassen. Zuletzt geschah dies im Rahmen des bereits eingangs erwähnten Gesprächs im BMZ in Bonn sowie in mehreren offenen Briefen an Sie und das Auswärtige Amt sowie an verschiedene Abgeordnete des Deutschen Bundestages [11].

Dabei sind wir bei Ihnen – so unser Eindruck – durchaus auf Verständnis gestoßen. Doch an Ihrer Einschätzung, Togo befinde sich in einer „Phase der Demokratisierung und gesellschaftlichen Öffnung“ (wie es unverändert auf der Webseite des BMZ zu Togo heißt) scheint sich trotz der seit 2018 objektiv festzustellenden und von verschiedenen Menschrechtsorganisationen bestätigten Verschlechterung der Achtung fundamentaler Menschen- bzw. Grundrechte nichts geändert zu haben [12]. Im Gegenteil: Die unter der vorherigen Bundesregierung mit der togoischen Regierung vereinbarte „Reformpartnerschaft“ wird fortgeführt, weshalb wir uns fragen, welche effektiven Reformen es aus Ihrer Sicht seither gegeben hat. Denn sowohl die jetzt von Faure Gnassingbé und der Regierungspartei UNIR durchgesetzte neue Verfassung wie auch die allzu offensichtliche Wahlmanipulation zeigen unseres Erachtens nur eines: Im Zentrum des politischen Strebens der politischen Klasse in Togo steht an erster Stelle ihr Machterhalt, dem alles andere untergeordnet wird. Von größter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die der togoischen Regierung (wirsprechen eigentlich von “Regime”) entgegengebrachte internationale Anerkennung und Unterstützung.

Aus den genannten Gründen appellieren wir dringend an die Bundesregierung, in Gesprächen mit der togoischen Regierung die von der togoischen Zivilgesellschaft formulierten Forderungen zu unterstützen – auch eine Einbestellung des togoischen Botschafters ins Auswärtige Amt erscheint uns angesichts der von zahlreichen Beobachter:innen in (West-)Afrika als “konstitutionellen Putsch” bezeichneten Verfassungsänderung wie auch des zweifelhaften Wahlergebnisses angemessen [13].

In diesem Sinne rufen wir Sie dazu auf,

- die Weiterführung der Reformpartnerschaft an die Bedingung einer Revision des jüngsten Verfassungsputsches in Togo zu knüpfen und einen politischen Neuanfang ohne Faure Gnassingbé zu fordern,

- eine Neueinschätzung der Lage in Togo entsprechend der politischen Entwicklungen seit 2018 und der jüngsten Ereignisse rund um die Verfassungsänderung vorzunehmen (der letzte Lageberichts des AA zu Togo stammt nach unserem Kenntnisstand vom 16.08.2011),

- sich aktiv für die Wahrung demokratischer Grundrechte (insbesondere Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, freie Meinungsäußerung) einzusetzen und hierfür das Gespräch mit oppositionellen Stimmen aus Politik und Zivilgesellschaft zu suchen,

- sich für die Freilassung der politischen Gefangenen einzusetzen und dies auch öffentlich zu fordern,

- gegenüber den togoischen Behörden auf eine Veröffentlichung der Stimmergebnisse nach Wahlbüros zu bestehen und den Vorwürfen der Wahlmanipulation nachzugehen.

Darüber hinaus möchten wir unser Interesse bekunden, erneut mit Ihnen in Austausch zu treten. Zudem möchten wir Sie bitten (wie bereits in der Vergangenheit geschehen), Gespräche unserer togoischen Partner mit der deutschen Botschaft in Lomé anzuregen.

Anmerkungen:

[1] https://afrique-europe-interact.net/2141-0-AEI-Zeitung-09-2022.html

[2] Deutsche Welle, 22.04.2024 https://www.dw.com/fr/togo-faure-gnassingb%C3%A9-adoptio-dune-nouvelle-constitution-brigitte-adjamagbo-johnson/a-68885960

[3] die tageszeitung, 29.04.2024 https://taz.de/Parlamentswahlen-in-togo/!6004890&s=Togo/

[4] Associated Press, AP, 10.04.2024, https://hosted.ap.org/semissourian/article/1f53fbe3c9c355c85b1052d4b7125895/togo-bans-protests-over-canceled-presidential-election

[5] https://www.rfi.fr/fr/afrique/20240423-%C3%A9lections-au-togo-la-demande-d-observateur-de-l-%C3%A9glise-catholique-refus%C3%A9e

[6] Reporter ohne Grenzen, 17.04.2024 https://rsf.org/fr/togo-rsf-d%C3%A9nonce-l-expulsion-arbitraire-du-journaliste-thomas-dietrich-et-la-suspension-des

[7] https://togoactualite.com/togo-le-parti-unir-remporte-la-majorite-des-sieges-aux-elections-regionales/

[8] https://togotimes.info/2024/05/13/togo-la-cour-constitutionnelle-confirme-la-victoire-dunir-aux-legislatives/

[9] https://www.27avril.com/blog/actualites/politiques/togo-elections-legislatives-et-regionales-au-score-sovietique-rpt-unir-linquietant-et-irreversible-retour-vers-letat-parti

[10] https://togoactualite.com/togo-dmp-la-cour-constitutionnelle-doit-se-mettre-a-la-hauteur-de-sa-mission-afin-que/

[11] https://afrique-europe-interact.net/2063-0-Protestbrief-April-2021.html

[12] https://www.bmz.de/de/laender/togo zur Verschlechterung der Menschenrechtslage seit 2018 siehe Fußnote 1

[13] Wir werden diesen Brief nachrichtlich auch an das Auswärtige Amt schicken.