Dezember 2022 | "Von eigener Arbeit leben". Debatte um Lebensmittelexporte nach Europa: Pro und Contra
Die feministische Frauenkooperative Musow Lafia (vgl. nebenstehendes Interview) gehört zu Afrique-Europe-Interact und plant, einen ökologischen und fairen Direkthandel nach Deutschland aufzubauen, zunächst mit Erdnusspaste. Doch Nahrungsmittelexporte aus Ländern wie Mali sind widersprüchlich, das hat auch eine per Whatsapp geführte Diskussion innerhalb des transnationalen Frauenplenums unseres Netzwerks gezeigt. Beteiligt waren Mariam Sawadogo und Aissata Soumaoro (Musow Lafia/Mali), Soumayatou Poungagnigni (Kamerun), Adjovi Boconvi (Deutschland, ursprünglich Togo) und Dorette Führer (Deutschland), letztere als Moderatorin.
Dorette: Weshalb wollt ihr als Musow Lafia Erdnusspaste in Europa verkaufen?
Aissata: Spätestens seit den Sanktionen, die die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS im Januar 2022 gegen Mali verhängt hat, ist es sehr schwierig geworden, überhaupt noch Gewinne zu machen. Vor allem agrarische Rohstoffe sind sehr teuer geworden: Früher haben 100 Kilo Erdnüsse 55.000 CFA gekostet [84€], dann sind die Preise auf 100.000 CFA [152€] geklettert, inzwischen befinden sie sich bei 80.000 CFA [122€]. Trotzdem ist der Preis für die aus den Erdnüssen produzierte Erdnusspaste gleich geblieben, da die Menschen gar nicht das Geld haben, teurere Erdnusspaste zu kaufen. Doch die Frauen wollen nicht aufgeben, sie lieben ihre Arbeit. Deswegen wollen wir einige unserer Produkte in Europa anbieten. Wir erhoffen uns, dass wir dort mehr Geld verdienen können als in Westafrika.
Mariam: Ja, obwohl wir zurzeit kaum Profit machen, arbeiten wir weiter. Es geht auch um den alltäglichen Austausch, beispielsweise die innerfamiliären Probleme der Frauen. Das soziale Zusammensein ist wichtig, es beruhigt die Gemüter. Wenn wir es also schaffen würden, internationale Märkte zu erschließen, wäre das eine große Freude für die Frauen.
Adjovi: Klar, es wäre toll, wenn es uns als Netzwerk gelingen würde, die Produkte von Musow Lafia in Deutschland zu verkaufen. Ein großes Problem ist der Transport, der gerade in der aktuellen Situation sehr teuer ist. Wir müssen daher in Europa erklären, warum der Kauf des Erdnussmus so wichtig ist – nämlich deshalb, weil die Frauen nur so von ihrer eigenen Arbeit leben können.
Dorette: Aber wir sollten nicht vergessen, dass der Export agrarischer Rohstoffe tendenziell die Ernährungssouveränität Afrikas untergräbt. Wäre es nicht besser, wenn das Erdnussmus auf lokalen Märkten in Mali verkauft würde.
Soumayatou: Ja, es kann passieren, dass man nicht mehr genug Rohstoffe für den eigenen Verbrauch hat. Bei uns hat das mit Großhändlern zu tun, die wichtige Rohstoffe wie Kochbananen im großen Stil exportieren. Denn dann ziehen im Land die Preise an, weil es zu Verknappungen kommt. Aber wenn es sich um Kleinhändlerinnen wie Musow Lafia handelt, glaube ich nicht, dass Exporte ein wirkliches Problem darstellen.
Mariam: Die Frage der Knappheit ist in vielen afrikanischen Ländern mittlerweile ein öffentliches Thema. Es heißt, dass die Hungersnot in den ländlichen Gebieten noch größer wird, wenn alle Agrarprodukte das Land verlassen. Aus diesem Grund wollen wir nur einen Teil unserer Produkte exportieren.
Dorette: Ich möchte mal ein Gedankenexperiment machen: Wenn der lokale Handel für Musow Lafia profitabel wäre – beispielsweise, weil die Regierung die Betriebe oder Konsument:innen subventionieren würde, dann wäre es doch allein aus ökologischen Gründen sinnvoll, ausschließlich lokal zu vermarkten. Oder etwa nicht?
Aissata: Na ja, das ist jetzt dein Gedankenexperiment, aber hier in Afrika funktioniert das nicht so. Wir wären sehr froh, wenn unsere Rohstoffe billiger wären. Aber das ist nicht der Fall. Eigentlich wurde im Norden Malis – insbesondere in den Regionen Timbuktu und Kidal – viel Fonio angebaut, es waren diese Regionen, die die Hauptstadt ernährten. Aber seit 2012 sind viele Bauern und Bäuerinnen durch bewaffnete Dschihadisten von ihren Feldern vertrieben worden. Dadurch sind die Preise für Rohstoffe erstmalig so richtig angewachsen. Und genau deshalb brauchen wir den Handel mit Europa so dringend. Denn wir wollen nicht Sklavinnen dieser Situationen bleiben, von der niemand weiß, ob und wann sie sich ändern wird.
Adjovi: Ich möchte die Diskussion ebenfalls abkürzen. Denn wir sollten wirklich beim Thema bleiben – der Autonomie der Frauen von Musow Lafia. Und wir sehen ja, dass alles teurer wird. Der Handel auf lokaler Ebene funktioniert derzeit nicht, sodass wir uns erst einmal auf den Export konzentrieren sollten.
Dorette: Ja klar, ich verstehe das, aber eigentlich geht es doch darum, langfristig unabhängig zu werden. Wenn ihr primär nach Europa exportiert, seid ihr noch stärker von schwankenden Transportpreisen abhängig. Und vor allem davon, dass sich immer wieder Konsument:innen finden müssen, die bereit und in der Lage sind, einen guten Preis für eure Produkte zu bezahlen.
Adjovi: Das stimmt, das ist ein Widerspruch. Aber die Frauen müssen von ihrer Arbeit leben können.
Mariam: Na ja, eine Alternative wäre, dass wir uns als Kleinunternehmen besser organisieren, um staatliche Subventionshilfen zu erhalten. Wenn das funktionieren würde, wäre das ein Hoffnungsschimmer. Aber diese Versprechungen von staatlicher Hilfe dauern oft zu lange und enden im Nichts.
Soumayatou: Wie Adjovi möchte auch ich betonen, dass es eine Tatsache ist, dass Verkäuferinnen auf dem Markt nicht genug Geld verdienen können, um ihre täglichen Ausgaben abzudecken. Wenn kleine Produzentinnen wie Musow Lafia einfache Maschinen hätten, mit denen sie größere Mengen verarbeiten könnten, dann wäre ein Gewinn vielleicht möglich. Aber für solche Maschinen fehlen oft die finanziellen Mittel und das Knowhow.
Mariam: Ja, auch bei Musow Lafia wären solche Maschinen gut, sie könnten auch gebraucht sein. Denn mit einer effektiveren Produktion könnten wir Geld sparen und uns mit der Zeit langsam modernisieren.
Dorette: Gut, es dürfte deutlich geworden sein, dass es im Alltag viele Widersprüche gibt, auch mit Blick darauf, dass wir ja eigentlich einen regionalen Handel wollen, der von Europa unabhängig ist und der ein Preisniveau aufweist, das sowohl für Verkäufer:innen als auch für Käufer:innen zufriedenstellend ist. Trotzdem scheint es zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll zu sein, mit Musow Lafia einen Direkthandel nach Europa aufzubauen.
Adjovi: Das sehe ich auch so! Und ich denke, dass die Leute das Erdnussmus mögen werden. Und sie werden auch verstehen, weshalb es wichtig ist, die Autonomie von Frauen zu stärken.
Soumayatou: Ja, ich bin auch dabei! Und wirklich, der Name Musow Lafia muss von sich reden machen, vor allem müssen wir betonen, dass es eine ökologische Produktion ist. Ich werde die Produkte von Musow Lafia auch in Kamerun bewerben.
Aissata: Ja, wir möchten diesen Handelsaustausch auf ganzer Linie! Gemeinsam mit euch allen. Unser Wunsch ist, dass Musow Lafia ein starkes Unternehmen wird, um möglichst viele Menschen zu ernähren!