August 2017 | Rasthaus-Newsletter Nr. 6 (Jahresbericht des Schul- und Ausbildungsprojektes)
Dieser Newsletter wurde von Emmanuel Mbolela verfasst, Autor des Buches Mein Weg vom Kongo nach Europa. Zwischen Widerstand, Flucht und Exil, der im Rahmen von Afrique-Europe-Interact für das Rasthaus in Rabat verantwortlich ist.
1. Vorbemerkung
Im September 2016 haben wir das Schul- und Ausbildungsprojekt gestartet für die Kinder der Migranten und Flüchtlinge, die aus Subsahara kommen und in Marokko leben. Das Projekt bestand zunächst darin, dass die genannten Kinder in die öffentlichen Schulen Marokkos eingegliedert werden sollten. Es folgte die Organisation von Nachhilfeunterricht und schließlich wurde das Projekt auf die Alphabetisierung der Frauen ausgeweitet.
2. Ziele des Projektes waren
- Die Eltern zu sensibilisieren für die Vorteile, die ein Schulbesuch für die Kinder mit sich bringt.
- Nachzusehen, welche Hindernisse es gibt, die Kinder einzuschulen und Mittel zu finden, diese beiseite zu räumen.
- Dafür zu sorgen, dass die Kinder begleitet werden und die Eltern einen Anreiz erhalten, ihre Kinder zur Schule zu schicken.
- Ein Centrum einzurichten für den Nachhilfeunterricht und den Alphabetisierungskurs.
- Ein Komitee einzurichten, das alles verfolgt und begleitet.
3. Ausführung des Projekts
Das Projekt war erfolgreich und seine Verwirklichung wurde möglich dank der Motivation der Eltern, der Begeisterung der Kinder, zur Schule zu gehen, der Motivation der Frauen, das Lesen und Schreiben zu lernen, dem Engagement von Arcom, sich effektiv für die Durchführung dieses Projektes einzusetzen und der finanziellen Unterstützung von mehreren privaten Partnern. Die Durchführung des Projekts fand in 4 Etappen statt gemäß dem geplanten zeitlichen Ablauf.
Bestandsaufnahme der Schüler und Sensibilisierung der Eltern (Juni und Juli 2016)
Wir haben eine Bestandsaufnahme der Kinder im schulfähigen Alter in einigen Stadtvierteln und dem Umland von Rabat gemacht: Haynada, Takkadum, Youssoufia, Buitate, J5, Sidi Moussa, Temsina und Salé. Wir haben eine große Zahl von Kindern aufgeschrieben, aber in Anbetracht unseres Budgets, das sehr begrenzt war, gingen wir dazu über, eine Auswahl zu treffen, indem wir den Kindern den Vortritt gaben, die ohne zu viel Formalitäten Zugang zu den öffentlichen Schulen hatten. Wir haben mit den Eltern Kontakt aufgenommen und wir haben 3 Treffen am Sitz von Arcom mit den Eltern organisiert, wovon der größte Teil Mütter waren. Bei diesen Treffen haben wir ( die Gruppe von Arcom) den Eltern erklärt, warum es von Wichigkeit ist, ihre Kinder in die öffentlichen Schulen zu schicken Lesen und Schreiben lernen ist das erste, was man den Kindern anbieten muss, bevor sie eine Arbeit erlernen. Wir haben mit ihnen gesprochen über die Entscheidung, die von den Marokkanischen Autoritäten 2013 getroffen worden war, in der sie die Eingliederung der Kinder von Migranten und Flüchtlingen in die öffentlichen Schulen zugestimmt haben und über die Kostenfreiheit der öffentlichen Schulen. Einige Eltern wußten nichts von dieser Entscheidung, andere waren auf dem Laufenden, aber sie haben uns einige Schwierigkeiten und Vorbehalte genannt, die sie daran hinderten, ihre Kinder in die öffentlichen Schulen zu schicken, zum Beispiel:
- Mangel an finanziellen Mitteln
- Kinder, die das 12. Lebensjahr überschritten haben, werden in den Schulen nicht angenommen und die Kinder unter 5 Jahren müssen zunächst in den Kindergarten.
- Wenn die Flüchtlinge lange unterwegs waren, hat das dazu geführt, dass einige Kinder das schulpflichtige Alter überschritten haben.
- Fehlen der Geburtsurkunde
- Sprachliche Probleme
- Die Gewalt, der die Kinder von Migrantenin den Schulen ausgesetzt sind
- Die verpflichtende Koranlektüre in der Schule
Über diese Probleme haben wir uns mit den Eltern gründlich ausgetauscht und darüber diskutiert und wie haben unsere Bereitschaft gezeigt, die Kinder, die in den öffentlichen Schulen eingeschrieben werden zu unterstützen. Eine Liste von 85 Kindern ist aufgestellt worden, wobei wir unser Budget im Blick behielten und auch die Möglichkeit, die man hatte, diese Kinder einzuschreiben. Bestimmten Kinder, bei denen sich Probleme wegen des Alters ergaben, haben wir zurückgestellt.
Die Geburtsurkunden
Wenn keine Geburtsurkunde da ist, ist das für einige Kinder ein Hindernis bei der Anmeldung für die Schule. Wir haben eine Zusammenarbeit mit AFMIMA unterschrieben, einer selbstorganisierten Vereinigung von Migrantenfrauen, die uns versichert hatten, die notwendigen Vorsprachen bei den Botschaften und der marokkanischen Verwaltung durchzuführen, um Geburtsurkunden für die Kinder ausgestellt zu bekommen. Unglücklicherweise wurde uns bis jetzt keine einzige Geburtsurkunde gegeben, obschon wir den ersten Teilbetrag des Geldes an diese Vereinigung überwiesen haben.
Nach der Arbeit mit den Eltern haben wir eine Gruppe von 4 Personen gebildet, die einige Schulen aufgesucht haben, um mit den Verantwortlichen zu sprechen und sie aufmerksam zu machen auf die Kinder der Migranten sowie auf die Möglichkeit, sie in die Schulen einzugliedern. Im großen und ganzen wurde unsere Gruppe in den Schulen gut aufgenommen. Einige Verantwortliche waren sehr angetan und haben uns ganz genau das Prinzip des marokkanischen Schulsystems erklärt. Entsprechend den Ausführungen der Verantwortlichen wird der Unterricht in darija marocaine, marokkanischem Arabisch durchgeführt und es gibt auch Französischkurse ab dem College und das nur an einigen Schulen. Kinder im Alter von 6-8 Jahren können in der Schule angemeldet werden. Bei älteren Kindern ist es erforderlich, dass sie schon arabisch sprechen können. Kinder, die älter als 10 Jahre sind und kein arabisch sprechen, müssen zunächst einen Arabischkurs machen und den gut bestehen, um dem Unterricht gut folgen zu können.
Wir haben auch bei privaten Schulen vorgesprochen um herauszufinden, ob es möglich ist, Kinder unter 6 Jahren anzumelden. Das ist möglich. Die Gebühren für die Schulen schwanken zwischen 600 und 1000 Dirham, also 60 bis 100 € im Monat je nach Schule.. Es ist für uns nicht möglich, dieses Schulgeld zu bezahlen.
Anmeldung der Kinder in den Schulen (August bis September 2016)
Nach mehreren Treffen mit den Eltern und den Verantwortlichen der Schulen haben wir am Sitz von Arcom das letzte Treffen der Kinder zusammen mit den Eltern organisiert. Die Kinder freuten sich auf die Schule. Wir haben die Eltern gebeten, die Kinder an den Schulen anzumelden, die ihrem Wohnort am nächsten sind. Und unsere Gruppe hat einige Eltern und ihre Kinder bei der Anmeldung begleitet. Wir haben die Anmeldegebühren bezahlt und die Versicherung, die in manchen Schulen verlangt wird.
Verteilung von Schulmaterialien
Ein Startpaket Schulmaterial wurde den Kindern gegeben, die angemeldet waren und das war eine weitere Motivation für die Kinder und die Eltern, die sich bei Arcom bedankt haben und sagten, sie hätten nicht damit gerechnet, dass das Projekt tatsächlich zustande käme. „Uns wurden schon viele Versprechungen gemacht, aber keine Organisation hat etwas in die Tat umgesetzt“, sagte ein Vater.
Komitee zur Begleitung.
Im September 2016 haben die Kinder mit der Schule begonnen und wir haben ein Begleitungs- Komitee eingerichtet, das beauftragt war, die Entwicklung der Kinder in der Schule zu begleiten in einzuschreiten, wenn ein Problem auftauchen würde.
Ein monatliches Treffen mit den Eltern wurde organisiert und während dieser Versammlung geben wir den Eltern einen festgesetzten Betrag, damit sie den Bus bezahlen können und eine Schulverpflegung. Wir tauschen uns mit den Eltern aus über die Entwicklung der Kinder und die Schwierigkeiten, die sie in der Schule haben.
Bibliothek
Im April hat Arcom eine kleine Bibliothek eingerichtet mit Büchern in Französisch für Kinder unter 18 Jahren. Diese Bücher wurden in Luxemburg gesammelt w während der Präsentation des Buches unseres Kollegen Emmanuel Mbolela in den Schulen.
4. Nachhilfeunterricht und Alphabetisierungskurse
Im April haben wir begonnen, den Kindern Nachhilfeunterricht zu geben, um einige Schwächen auszugleichen. Mehr als 40 Kinder von 3-15 Jahren kommen jeden Samstag zu den Kursen. Den Migrantenfrauen wurden Alphabetisierungskurse angeboten. Sie lernen lesen und schreiben. Da die Ursprungsländer dieser Frauen sehr unterschiedlich sind, werden die Kurse in Französisch gegeben. Etwa 20 Frauen nehmen an dem Kurs mit Motivation und Begeisterung jeden Mittwoch und Samstag teil.
Zu Beginn war das Projekt konzipiert für 30 Kinder, aber die Realität hat uns genötigt, mit 85 Kindern zu arbeiten, wobei wir im Rahmen des Budgets blieben, das für diese Sache vorgesehen war. Das hatte zur Folge, dass wir vorsichtig den monatlichen Betrag für die Eltern zum Unterhalt der Kinder reduzieren mussten und gewisse Dinge, die die Schule verlangte, nicht kauften. Das Projekt hat die Beschulung von 85 Kindern zwischen 6 und 14 Jahren. Ein Mädchen von 18 Jahrenmacht einen Pflegehelferkurs und eine andere macht einen Kurs für Haarpflege und Maniküre. Ein junger Mann von 20 Jahren macht eine Ausbildung im Restaurant. Wir haben die Uniform für das Mädchen, die Pflegehelferin wird , und für den jungen Mann gekauft.
Raum für den Austausch und Gespräche der Frauen
Ein Raum für Gespräche und Austausch unter den Frauen wurde eröffnet. Dieser Austausch findet 14 tägig statt. Das Treffen findet in der Bibliothek statt und alle Frauen der 3 appartements nehmen teil sowie einige andere Migrantinnen. Der Gedanke, der dazu führte, war, dass die Frauen sich über die verschiedenen Themen, die sie betreffen, austauschen können und auch über das globale Thema bezüglich der Migration. Sich austauschen über die Situation ihrer jeweiligen Heimatländer. Wir haben uns darauf verständigt, auch öfter Verantwortliche von anderen Organisationen wie Ärzte der Welt einzuladen zu Themen um Gesundheit und Hygiene. Und Gadem oder CNDH, um über rechtliche Fragen zu sprechen und über Schutz; sowie von anderen marokkanischen Organisationen.
Auswertung des Projekts
Samstag, 29.Juli 2017 wurde eine Versammlung mit den Eltern der Kinder, den Lehrern und den Mitgliedern von Arcom in der Bibliothek von Arcom abgehalten zwecks Auswertung. Die Eltern haben ihre Freude über das Projekt zum Ausdruck gebracht und sie haben die Initiative der Bibliothek begrüßt und die Nachhilfestunden, die den Kindern ermöglicht, Lücken zu schließen. Die Eltern haben uns mitgeteilt, dass sie große Fortschritte bei ihren Kindern festgestellt haben, seit die Nachhilfestunden eingerichtet wurden. Die Eltern haben sich bei den Lehrern bedankt und haben dann nachdrücklich darum gebeten, das Projekt fortzusetzen. Andere Eltern, die ebenfalls an der Versammlung teilgenommen haben, wünschten sich, dass ihre Kinder ebenfalls in das Projekt integriert würden, damit sie etwas lernen. Nach Meinung der Eltern hat das Projekt eine unerwartete Bedeutung für einige Kinder bekommen. Die anderen Kinder, die sehen, wie die einen zur Schule gehen, möchten nicht mehr zu Hause bleiben. Auch die in das Projekt involvierten Mitglieder von Arcom sagten, dass es jetzt viele Eltern gibt, die sie unaufhörlich bitten, daran zu denken, dass auch ihre Kinder angemeldet werden sollen. Wir haben jetzt eine Bibliothek. Die Nachhilfestunden sind gesichert und die Alphabetisierungskurse für die Frauen. Es werden immer mehr Frauen und wir sind überrascht über die Motivation der Frauen, zu lernen. 3 Lehrerinnen erteilen die Kurse:
- A. befasst sich mit den Kindern von 3 bis 8 Jahren. Davon kommen 24
- R. betreut die Kinder von 9-16 Jahren; es sind 18 Kinder
- A. gibt Alphabetisierungskurse für 20 Frauen.
Diese 3 Kollegen von Arcom haben eine dreimonatige Ausbildung als Französischlehrer und Lehrer für Alphabetisierung bei Art Lima mitgemacht und es sind diese drei, die sich um unser Schul- und Ausbildungsprojekt kümmern.
5. Finanzierung des Projekts
Die Finanzierung des Projekts ist möglich geworden dank der Spenden einiger Menschen, die in Europa sensibilisiert wurden. Einige Frauen, die die Präsentation des Projektes anlässlich der Versammlungen in Deutschland und Österreich sahen, haben Spenden gegeben. Eine Schweizer Organisation, die nicht genannt werden möchte, hat eine bedeutende Summe gespendet. Susanne Bunter von Tübingen in Deutschland hat an einem Treffen mit den Eltern und Kindern in Rabat teilgenommen. Sie hat eine wichtige Summe an Afrique-Europe interact in Bremen Deutschland überwiesen. Alle Spenden werden über dieses Konto gebucht.
Ausgaben im Zeitraum von September 2016 bis August 2017: Trotz der großen Anzahl Kinder, die ins Programm aufgenommen wurden, sind die Ausgaben konstant geblieben. Die Gesamtkosten für das Jahr 2016-12017 belaufen sich auf 15.395,00 €. Ein Großteil der Kosten enstand bei dem Beginn des Projekts und bei der Einrichtung der Bibliothek. Im Anhang eine genaue Aufstellung der Kosten.
6. Pläne für das Schuljahr 2017-2018
Anläßlich unserer Evaluierungsversammlung mit den Eltern haben letztere darauf gedrängt, das Projekt weiterzuführen. Auch neue Kinder möchten in das Programm aufgenommen werden. Wir haben eine Liste von Eltern und Kindern ausgearbeitet und wir haben eine Vorschau auf das nächste Jahr ausgearbeitet, die wir diesem Bericht anfügen.
7. Schlussfolgerung
Das Projekt Beschulung und Ausbildung, das im September 2016 begonnen wurde hat gemessen an unseren Zielen Erfolg gehabt. Mit den anderen Aktivitäten, die dazugekommen sind wie der Alphabetisierungskurs und die Austausch- und Diskussionsrunde für die Frauen bewegen wir uns jetzt in die Richtung der politischen Herangehensweise. Die Frauen erhalten die Möglichkeit, die Gründe für die Situation, in der sie sich jetzt hier in Marokko befinden, zu erkennen und ihre Fähigkeit zur kritischen Analyse zu stärken und dauerhafte Lösungen zu suchen.
Die Kinder haben wieder gelernt zu lächeln und Gefallen am Lernen gefunden. Die Frauen, die am Alphabetisierungskurs teilnehmen, sind derart motiviert, dass eine von ihnen z.B. sagte: Wenn Sie das Projekt schon vor längerer Zeit begonnen hätten, wäre ich jetzt schon sehr weit gekommen. Da das Geld fehlte, haben meine Eltern nicht gewollt, dass ich lerne. Das war ein großes Hanicap für mich in meinem täglichen Leben. Aber trotz meines Alters werde ich jetzt lesen und schreiben lernen.“
Die Anzahl der Frauen und Kinder wächst und das macht viele finanziellen Mittel erforderlich. Wir müssen eine weitere Person finden, die sich mit den Kindern beschäftigt während die Frauen den Kurs besuchen. Und die Frauen, die zu uns kommen brauchen auch Fahrgeld.
Geschrieben in Rabat, 10.7.2017
Emmanuel Mbolela
Koordinator des Projekts