Dezember 2016 | Bäuerliche Proteste: Fluchtursachen bekämpfen, aber richtig
Der Text wurde von Afrique-Europe-Interact verfasst, erstmalig veröffentlicht in der Kampagnenzeitung Nr. 7 von Afrique-Europe-Interat, die im Dezember 2016 als Beilage der Tageszeitung taz, der Wochenzeitung jungle world und der Monatszeitungs ak – analyse und kritik erschienen ist.
Spätestens seit dem langen Sommer der Migration gehört es in der öffentlichen Debatte fast schon zum guten Ton, die “Bekämpfung von Fluchtursachen” offensiv einzufordern. Unübersehbar ist jedoch, dass es sich in aller Regel um bloße Lippenbekenntnisse handelt. Denn Fluchtursachen können nicht durch gezielt aufgesetzte Programme bekämpft werden, schon gar nicht durch einstellige Milliardenbeträge, wie die EU anlässlich des Valletta-Gipfels im November 2015 verkündet hat. Wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss sich vielmehr auf langfristige Prozesse einstellen. Vor allem sollte kein Zweifel daran bestehen, dass ein solches Vorhaben nicht ohne grundlegende Veränderungen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene umzusetzen ist. Afrique-Europe-Interact (AEI) unterstützt deswegen seit 2012 kleinbäuerliche Organisierungsprozesse in Mali – insbesondere im Office du Niger, einer Region, in der es regelmäßig zu unterschiedlichen Formen von Landgrabbing kommt. Dabei zeigen erste Erfolge, worin ein wirklicher Beitrag zur lokalen bzw. selbstbestimmten Entwicklung (und somit auch zur Bekämpfung von Fluchtursachen) bestehen könnte.
Sanamadougou und Sahou
Malische Aktivist_innen von AEI haben im Januar 2014 erstmalig Kontakt mit den beiden Dörfern Sanamadougou und Sahou aufgenommen, die in den vergangenen sechs Jahren schrittweise einen Großteil ihrer landwirtschaftlichen Nutzflächen durch Landgrabbing verloren haben. Seitdem haben in Mali und Deutschland zahlreiche Aktionen stattgefunden, unter anderem ist es gelungen, Druck auf die Afrikanische Entwicklungsbank aufzubauen, die dem für den Landraub verantwortlichen Investor Modibo Keita im September 2014 einen Kredit von 16,8 Millionen Euro gewährt hat. Konsequenz war, dass im Mai 2016 ein Erfolg in greifbare Nähe gerückt schien. Denn im Anschluss an eine symbolische Feldbesetzung hat Modibo Keita seine Bereitschaft signalisiert, günstig gelegene Ausgleichflächen zur Verfügung zu stellen. Einziger Haken: Die Dorfbewohner_innen haben in den von AEI moderierten Verhandlungen eine solche Kompensation strikt abgelehnt. Und zwar nicht nur, weil sie neue Täuschungsmanöver befürchten. Vielmehr bestehen sie im Rahmen des sozial und kulturell tief verankerten kollektiven Nutzungsrechts an Boden auf eine vollständige Rückgabe ihres Landes. Die Entscheidung kam für alle übrigen unerwartet, auch bäuerliche Aktivist_innen aus anderen Dörfern reagierten perplex. Zugleich ist klar, dass es sich im Lichte des weltweiten Privatisierungskarussells um ein extrem starkes Signal handelt, weshalb wir die Bemühungen der beiden Dörfer zur Rückerlangung ihres Landes weiterhin unterstützen möchten. Hinzu kommt, dass der Vorstand der Afrikanischen Entwicklungsbank im November 2016 beschlossen hat (als Reaktion auf unsere transnationale Druckkampagne), den Fall erneut umfassend prüfen zu lassen – nachdem im Juni 2016 bereits eine 5-tägige Vorprüfung durch eine international zusammengesetzte Untersuchungskommission der Bank erfolgt ist.
Siengo Extension
Im Auftrag der Bundesregierung hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) 2013 und 2014 in dem Dorfverbund Siengo Extension 1.440 Hektar bewässerbares Ackerland zur Verfügung gestellt. Doch ein größerer Teil der Flächen wurde von den verantwortlichen Mitarbeiter_innen des Office du Niger nicht an die hierfür vorgesehenen Familien verteilt, sondern an vermögende Dritte weiterverkauft. AEI hat daher im Februar 2016 eine Pressekonferenz in Siengo Extension durchgeführt, die in Mali extrem hohe Wellen geschlagen hat – einschließlich einer prompten Einladung beim damaligen Präsidenten des Office du Niger. Ergänzend hat unser Netzwerk dem deutschen Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im März 2016 einen ausführlichen Bericht zugestellt. Passiert ist jedoch wenig. Das Office du Niger hat noch nicht einmal die überteuerten Wasserrechnungen zurückgezogen, die das Ergebnis davon sind, dass so getan wird, als ob die Bauern und Bäuerinnen das ihnen zustehenden Land tatsächlich erhalten hätten. Immerhin: Das BMZ hat entschieden, den Fall eigens untersuchen zu lassen, wobei Afrique-Europe-Interact eingeladen ist, an der Erstellung der Fragen mitzuwirken.
Basisgewerkschaft COPON
Die aus AEI hervorgegangene Basisgewerkschaft COPON ist inzwischen mit mehreren hundert Mitgliedern in sechs von sieben Zonen des Office du Niger vertreten. Ziel ist in erster Linie der Aufbau einer eigenständigen bäuerlichen Organisierung, insbesondere, weil die großen Gewerkschaften auf korrupte Weise mit der Verwaltung des Office du Niger verbandelt sind. Anfang 2017 ist ein großer Marsch geplant, auf dem der neue Präsident des Office du Niger öffentlichkeitswirksam mit zentralen Forderungen konfrontiert werden soll, insbesondere zu Land- und Bewässerungsfragen. Aus Sicht der COPON haben die Aktivitäten von AEI bereits zu ersten positiven Ergebnissen geführt: Zum einen wirkten sie präventiv gegen Landgrabbing (weil die Behörden vorsichtiger geworden seien), zum anderen würden die Wasserrechnungen inzwischen mit längerer Zahlungsfrist zugestellt, so dass es kaum noch zu Landbeschlagnahmungen wegen nicht gezahlter Gebühren käme.