1. September 2016 | Aktiv gegen Landgrabbing: In Mali kämpfen zwei Dörfer gegen die Vertreibung von ihren Feldern
Von Olaf Bernau. Erschienen in: iz3w – Zeitschrift zwischen Nord und Süd | Ausgabe 356
Im Zuge des Klimawandels gehen in Mali jährlich 150.000 Hektar Land verloren. Ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren gelten als unterernährt, zudem soll die Bevölkerung bis zur Jahrhundertmitte von derzeit 15 auf 50 Millionen Menschen anwachsen. Umso unbegreiflicher ist es, dass die malische Regierung seit 2003 mindestens 900.000 Hektar Land an GroßinvestorInnen verpachtet hat – ohne Konsultation der lokalen Bevölkerung und zu grotesk günstigen Konditionen wie etwa jahrzehntelange Steuernachlässe („tax holiday“). Offiziell wird dies damit gerechtfertigt, dass die PächterInnen mit ihren Investitionen einen Beitrag zur Entwicklung des Landes und somit auch zur Ernährungssicherheit leisten würden.
Diese Behauptung entpuppt sich jedoch als wenig stichhaltig: Auf einem beträchtlichen Teil der Flächen werden Exportgetreide sowie Agrospritpflanzen angebaut – begleitet von den negativen ökologischen Auswirkungen agrarindustrieller Landwirtschaft. Darüber hinaus ist es bereits zur Vertreibung tausender Bauern und Bäuerinnen von ihren Feldern und zur Blockade traditioneller Wanderrouten mobiler ViehhirtInnen gekommen.
Vor diesem Hintergrund hat das transnationale Netzwerk Afrique-Europe-Interact (AEI) 2012 begonnen, die beiden Dörfer Sanamadougou und Sahou in ihrem Kampf zur Wiedererlangung ihres durch den malischen Großinvestor Modibo Keita im Jahr 2010 geraubten Landes zu unterstützen. Als erste spürbare Reaktion wurde die europäische Sektion von AEI im Februar 2015 zu einer zweieinhalbstündigen Besprechung ins Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nach Bonn eingeladen. In diesem Rahmen erfuhren wir unter anderem, dass die Afrikanische Entwicklungsbank (an der Deutschland mit 4,1 Prozent beteiligt ist) im September 2014 einem Kredit von 16,8 Millionen Euro an Modibo Keita nur unter zwei Bedingungen zugestimmt hat: Einerseits, dass in dieser Sache keine gerichtlichen Verfahren mehr anhängig seien, andererseits, dass die betroffenen Familien Entschädigungen erhalten hätten. Beides hat Modibo Keita bejaht, beides ist jedoch unzutreffend, wie AEI im März 2015 bei einem Delegationsbesuch in Sanamadougou und Sahou feststellen musste.
In den folgenden Monaten ist es auf beiden Seiten zu zahlreichen weiteren Aktionen, Pressekonferenzen und öffentlichen Stellungnahmen gekommen. Während dies in Mali unter anderem eine turbulente Parlamentsdebatte nach sich zog, wurde hierzulande insbesondere der Umstand in den Blick genommen, dass das BMZ trotz offenkundig auf der Hand liegender Widersprüche in erster Linie abwiegelnd agiert hat. Es war also keineswegs überraschend, dass der Druck auf alle Beteiligten zunehmend größer geworden ist, vor allem nachdem die Afrikanische Entwicklungsbank Modibo Keita mehrere Kredittranchen gesperrt hat. Entsprechend ist im Mai 2016 ein handfester Erfolg in greifbare Nähe gerückt. Denn in Reaktion auf eine von AEI politisch, personell und finanziell unterstützte Feldbesetzung der beiden Dörfer hat Modibo Keita seine Bereitschaft bekundet, günstig gelegene Ausgleichsflächen zur Verfügung zu stellen.
Einziger Haken: Die DorfbewohnerInnen haben in den von malischen und deutschen AEI-AktivistInnen eingefädelten und gemeinsam moderierten Verhandlungen eine solche Kompensation kategorisch abgelehnt. Stattdessen bestehen sie im Rahmen des sozial und kulturell fest verankerten kollektiven Nutzungsrechtes an Boden auf eine vollständige Rückgabe ihres Landes, was zwar verständlich, im Lichte der faktischen Kräfteverhältnisse aber nicht sonderlich realistisch ist. Was hinter dieser kompromisslosen Haltung steckt, ist schwer zu sagen, selbst AktivistInnen der aus AEI hervorgegangenen kleinbäuerlichen Basisgewerkschaft COPON zeigten sich überrascht. Eine wichtige Rolle spielt wohl, dass der Investor anfangs die betroffenen Dörfer durch klassische Teile- und Herrsche-Methoden bewusst in die Irre geführt und gegeneinander aufgebracht hat. Und das mit der Konsequenz, dass die DorfbewohnerInnen heute niemand mehr trauen – selbst untereinander nicht.
Hinzu kommt, dass der Grat zwischen einem “Ringen um Würde”, wie es die Journalistin Charlotte Wiedemann formuliert, und falsch verstandenem Stolz durchaus schmal zu sein scheint. Ein Umstand, der aus Sicht der malischen AktivistInnen von AEI auch daran deutlich wird, dass es vor allem die älteren Männer in den beiden Dörfern sind, die einem Kompromiss ablehnend gegenüber stehen. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass die Afrikanische Entwicklungsbank im Juni 2016 ein eigenes Untersuchungsteam nach Mali geschickt hat – unter ausdrücklicher Beteiligung einer Mitarbeiterin des BMZ. Welche Schlussfolgerungen die Bank aus ihren Recherchen ziehen wird, ist noch unklar. Allerdings hat das Untersuchungsteam gegenüber AEI zu verstehen gegeben, dass die Vorgänge in Sanamadougou und Sahou aus ihrer Sicht geradezu ein Negativbeispiel für Großinvestitionen in einem kleinbäuerlich geprägten Umfeld darstellen.
Die nicht nur auf Sanamadougou und Sahou beschränkten Aktivitäten von AEI gegen Landgrabbing haben sowohl in Mali als auch international für erhebliches Aufsehen gesorgt. Dies dürfte sich insbesondere bei zukünftigen Verpachtungsgeschäften der Regierung präventiv gegen unterschiedliche Formen von Landgrabbing auswirken. Gleichzeitig besteht aber kein Zweifel daran, dass punktuelle Interventionen langfristig nicht ausreichen werden. Denn allein in einem Land wie Mali ist die Palette unterschiedlicher Fluchtursachen enorm: Sie hat viel mit den katastrophalen Langzeitauswirkungen neoliberaler Strukturanpassungsprogramme seit Anfang der 1980er Jahre zu tun. Hinzu kommen der Klimawandel sowie die Krise im Norden des Landes, die ebenfalls das Produkt komplexer nationaler wie internationaler Verwerfungen und Interessenpolitiken ist (siehe iz3w 337).
Olaf Bernau (NoLager Bremen) ist aktiv bei Afrique-Europe-Interact.