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19. März 2016 | Korruption im KFW-Bewässerungsprojekt Siengo Extension in Mali

Herrn
Staatssekretär Thomas Silberhorn
Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Dahlmannstr. 4
53113 Bonn

Sehr geehrter Herr Silberhorn,

wir möchten uns heute erneut wegen des Bewässerungsprojekts “Siengo Extension” in Mali an Sie wenden – auch um auf ihren diesbezüglichen Brief vom 19.06.2015 zu reagieren (1). Denn weiterhin spricht vieles dafür, dass es bei der Verteilung des von der KfW neu zur Verfügung gestellten Landes im Bewässerungsgebiet Siengo Extension zu massiver Korruption gekommen ist (2). Zudem wurde uns berichtet, dass sich derzeit auch jene Bauern und Bäuerinnen mit einem gravierenden Problem konfrontiert sehen, die im Rahmen des KfW-Projekts Land erhalten haben. Danach hat das Office du Niger etlichen von ihnen für die Saison 2015/2016 stark überhöhte Wasserrechnungen ausgestellt, d.h. die auf den Wasserrechnungen eingetragenen Flächen entsprechen nicht den ihnen tatsächlich überlassenen Flächen.

Vor diesem Hintergrund hat die malische Sektion von Afrique-Europe-Interact am 14.02.2016 eine Pressekonferenz in Tikere-Moussa (bzw. alternativ: Sikere-Moussa) durchgeführt, über die anschließend in mehreren nationalen Zeitungen sowie Radiosendern berichtet wurde. Diese Berichterstattung hat innerhalb der Verwaltung des Office du Niger für erhebliches Aufsehen gesorgt: Zum einen wurden einige der beteiligten Journalisten direkt von der Leitungsebene kontaktiert, zum anderen ist Afrique-Europe-Interact über einen der offiziellen Berater des damaligen Generaldirektors des Office du Niger (Ilias Goro) zu einem Treffen nach Segou eingeladen worden (3). Dieses Treffen hat am 18.02.2016 in Segou stattgefunden – allerdings unter äußerst fragwürdigen Bedingungen, wie wir noch näher ausführen werden.

Kurzum: Wir möchten Sie dringend darum bitten, das KfW-Projekt Siengo Extension einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Denn sämtliche unserer Rechercheergebnisse deuten darauf hin, dass Ihre Einschätzung vom 19.06.2015 leider unzutreffend ist, wonach “die Verteilung des Landes [in Siengo Extension] korrekt durchgeführt” worden sei. Hinzu kommt das Problem der erhöhten
Wasserrechnungen, das für die Betroffenen sowohl aus prinzipiellen als auch aus praktischen Gründen eine erhebliche Belastung darstellt. Denn wer derart knapp wirtschaften muss wie die meisten Bauern und Bäuerinnen im Office du Niger, kann nicht ohne Weiteres eine erhöhte Wasserrechnung bezahlen, der nicht gleichzeitig ein erhöhter Ertrag gegenübersteht (4).

1. Rückblick

Erstmalig haben wir 2014 erfahren, dass es in dem KfW-Bewässerungsprojekt Siengo Extension zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein soll. Entsprechend haben wir bei einer vor allem auf den Landkonflikt in Sanamadougou und Sahou fokussierten Besprechung im Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 19.02.2015 auch die Kopie eines Protestbriefes aus Siengo Extension übergeben. Unmittelbar im Anschluss hat eine Delegation der europäischen Sektion von Afrique-Europe-Interact die Dörfer von Siengo Extension besucht. Erste Ergebnisse dieser Recherchen haben wir am 12.03.2015 bei einer Unterredung in der Deutschen Botschaft in Bamako vorgestellt, an der neben der Vertreterin des BMZ, Frau Joußen, der Legationsrat Herr Hintersehen sowie der malische Vertreter des KfW-Projektes Siengo Extension teilgenommen haben. Im weiteren Verlauf haben wir uns am 25.04.2015 und 25.06.2015 jeweils schriftlich an das BMZ gewandt, während Sie in Ihrem bereits erwähnten Schreiben vom 19.06.2015 auf unsere bis dahin erfolgten Hinweise ausführlich eingegangen sind.

a) Rechercheergebnisse von Afrique-Europe-Interact (bis Ende Juni 2015)

Konkret haben wir in unseren beiden Briefen vom 25.04.2015 und 25.06.2015 vor allem folgende Aspekte näher thematisiert:

Erstens haben zahlreiche der für das KfW-Bewässerungsprojekt empfängerberechtigten Familien kein Land erhalten. Dabei hat sich die bei unserem Gespräch in der Deutschen Botschaft aufgekommene Vermutung nicht bestätigt, wonach die leer ausgegangenen Familien insbesondere solche seien, die erst anlässlich des Bewässerungsprojekts in die Region gekommen seien und insofern gar keinen Anspruch auf Landzuteilung gehabt hätten. Denn bei erneuten Delegationsreisen (unter anderem am 21./22.06.2015) haben Mitglieder der malischen Sektion unseres Netzwerks immer wieder Gespräche mit Familien geführt, die bereits seit langem in den Dörfern von Siengo Extension leben und dies auch mit entsprechenden Unterlagen nachweisen können – ein Aspekt, auf den wir weiter unten noch ausführlich eingehen werden (5).

Zweitens haben vier der fünf Dorfchefs (mit Ausnahme des Dorfchefs von Tikere-Moussa) zahlreichen Familien eine Aufnahme in die Liste der berechtigten Landempfänger explizit verweigert, d.h. die Nicht-Berücksichtigung von Anspruchsberechtigten dürfte nur im Ausnahmefall Ausdruck von Missverständnissen oder fehlender Anwesenheit zum Zeitpunkt der Listenerstellung gewesen sein.

Drittens haben selbst diejenigen Bauern und Bäuerinnen, denen Land zugeteilt wurde, nur kleinste Flächen erhalten, nicht selten weniger als 1 Hektar. Demgegenüber waren die Dorfchefs sowie einige von ihnen begünstigte Familien die einzigen, die die volle Fläche der zu Beginn des Projektes versprochenen 3 Hektar erhalten haben (auch hier mit Ausnahme des Dorfchefs von Tikere-Moussa, wobei im Falle dieses Dorfes hinzugefügt sei, dass sich der Landkonflikt tendenziell mit einer dorfinternen, von den Behörden bewusst instrumentalisierten Spaltung zwischen Bambara und Peul verschränkt).

Viertens wurde uns übereinstimmend berichtet, dass besagte vier Dorfchefs zusammen mit MitarbeiterInnen des Office du Niger einen beträchtlichen Teil der Flächen an Dritte weitergegeben oder auf eigene Rechnung verkauft bzw. weiterverpachtet haben (die Schätzung, wie viel Land betroffen ist, variiert je nach Dorf zwischen einem Drittel und der Hälfte der Gesamtfläche – ist aber naturgemäß eher ungenau).

Fünftens waren auch die Reaktionen des Office du Niger bemerkenswert. So gab es im unmittelbaren Anschluss an das Gespräch bei der Deutschen Botschaft in Bamako im März 2015 mehrere offizielle Ankündigungen seitens des Office du Niger, wonach eine Überarbeitung der Empfängerlisten und somit auch eine Neuverteilung von Land bevorstünde. Von diesen Planungen scheint indes kurz darauf nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Denn einige Wochen später hieß es bei zwei neuerlichen Besuchen durch Vertreter des Office du Niger, dass nun doch alles beim Alten bliebe und dass daran auch der Umstand nichts ändern könne, dass sie – die DorfbewohnerInnen – mittlerweile so genannte deutsche “Partner” hätten (womit Afrique-Europe-Interact gemeint gewesen ist).

b) Rechercheergebnisse des BMZ (bis Ende Juni 2015)

Auf diese Ausführungen haben Sie am 19.06.2015 ebenfalls ausführlich geantwortet – ausgehend von der grundlegenden Feststellung, dass die von Ihnen aufgrund unserer Hinweise veranlasste Überprüfung durch die KfW keine Unregelmäßigkeiten bei der Landvergabe ergeben habe. Konkret sind sie Ihrem Brief auf folgende Aspekte eingegangen:

Erstens teilten sie mit, dass von den ursprünglich vorgesehenen 1.722 Hektar Bewässerungsland lediglich 1.440 Hektar erschlossen werden konnten, so dass die Fläche pro Landempfänger proportional hätte reduziert werden müssen.

Zweitens berichteten Sie davon, dass das Office du Niger auf der Basis einer Bevölkerungserhebung im Jahr 2013 drei Listen berechtigter Landempfänger erstellt habe und dass diese öffentlich zugänglich seien. Zudem teilten Sie mit, dass jeder Landempfänger mindestens einen Hektar Land erhalten habe (davon 80% für den Reisanbau und 20% für den Gemüseanbau).

Drittens erklärten Sie, dass die KfW die von Afrique-Europe-Interact im April 2015 vorgelegten Listen mit den Namen nicht-berücksichtigter Bauern und Bäuerinnen mit den Namenslisten des Office du Niger abgeglichen und dabei festgestellt hätte, dass die von uns genannten Namen nicht auf den offiziellen Listen vermerkt seien und dass daher davon ausgegangen werden müsse, dass die entsprechenden Bauern und Bäuerinnen tatsächlich nicht in den Kreis der potentiell Anspruchsberechtigten gehören würden. Konkret sei dies darauf zurückzuführen, so Ihre Mutmaßung, dass das Office du Niger einem starken Zuwanderungsdruck insbesondere aus dem Norden Malis unterliege und dass es sich bei den nicht-berücksichtigten Bauern und Bäuerinnen wahrscheinlich um solche gehandelt habe, die im Jahr 2013 noch gar nicht im Anbaugebiet gelebt hätten.

2. Erneute Recherchen von Afrique-Europe-Interact

Vor dem Hintergrund dieses Briefwechsels haben malische und deutsche Mitglieder unseres Netzwerks zwischen November 2015 und Februar 2016 weitere Recherchen zur Situation in Siengo Extension angestellt (6), unter anderem anlässlich des bereits erwähnten Gesprächs mit der Generaldirektion des Office du Niger. Welche Themen und Fragen dabei im Zentrum standen, möchten wir im Folgenden kurz zusammenfassen:

a) Landvergabe
Inwieweit es Bauern und Bäuerinnen gibt, die erst kürzlich in das KfW-Bewässerungsgebiet gezogen sind und insofern rechtmäßig kein Land erhalten haben, ist unseres Erachtens schwer einzuschätzen. Umgekehrt liegen allerdings stichhaltige Hinweise dafür vor, dass es zahlreiche Familien gibt, die schon lange in den jeweiligen Dörfern leben (nicht selten mit offizieller Registrierung) und die dennoch übergangen worden sind. In diesem Sinne haben wir im Rahmen unseres letzten Besuchs im Office du Niger im Februar 2016 von etlichen Familien aus Siengo Extension die familiären Meldebescheinigungen (“carnet de famille”) gesichtet und anschließend kopiert (Anlage 1). Denn aus diesen familiären Meldebescheinigungen geht zweifelsohne hervor, dass die Betreffenden bereits vor 2013 in einem der Dörfer gelebt haben und insofern eigentlich Land hätten erhalten müssen (7).

Gleichwohl ist zu beachten, dass es sich hierbei lediglich um eine exemplarische Auswahl von Namen handelt (weshalb wir darauf verzichtet haben, nochmal eine eigenständige Liste zu erstellen). Die kopierten familiären Meldebescheinigungen stellen also lediglich einen weiteren Beleg dafür dar, dass es keinesfalls reicht, die von uns präsentierten Namen mit den Listen des Office du Niger zu vergleichen (so wie es seitens der KfW bei ihrer Überprüfung gemacht wurde). Denn vieles spricht dafür, dass die offiziellen Listen selbst das Problem sind. Die entscheidende Frage lautet insofern, auf welcher Grundlage welche Familien als LandempfängerInnen registriert bzw. abgelehnt wurden. Konkreter: Eigentlich müsste mit jedem der in den familiären Meldebescheinigungen genannten Haushaltsvorstände ein Gespräch geführt und geprüft werden, weshalb seine Familie nicht berücksichtigt wurde. Noch angemessener wäre sogar, wenn die KfW mit Hilfe einer unabhängigen Consulting-Firma in den einzelnen Dörfern öffentlich Termine bekannt geben würde, bei denen sich jeder Haushaltsvorstand melden kann, dessen Familie nach eigener Einschätzung zu Unrecht übergangen worden ist. Nur durch ein solches Verfahren (das im Lichte der überschaubaren Größe der fünf Dörfer durchaus machbar erscheint) könnte abschließend geklärt werden, ob und in welchem Ausmaß es zu der von uns vermuteten Unterschlagung von Land gekommen ist (8). Konkret müssten die Betreffenden hinsichtlich der Frage interviewt werden, wann sie wo gewohnt haben und ob es Abwesenheitszeiten gab (zum Beispiel durch Umzug in Nachbardörfer oder kleine Weiler), zudem müsste es die Möglichkeit geben, ZeugInnen zu benennen und Beweise zu präsentieren, die die Verankerung in einem der Dörfer wie Siengo Extension beweisen (wie zum Beispiel Meldebescheinigungen, alte Steuerrechnungen oder andere offizielle Dokumente). Zur unmissverständlichen Identifizierung könnten zudem die schriftlichen Namen durch Fotos ergänzt werden, da es in den verschiedenen Dokumenten ganz offensichtlich zahlreiche Schreibfehler bzw. Mehrfachschreibweisen gibt.

b) Erhöhte Wasserrechnungen
Die ganze Problematik der Landvergabe in Siengo Extension ist in jüngerer Zeit auch anhand der Wasserrechnungen für das Erntejahr 2015/2016 einmal mehr deutlich geworden. Denn viele Bauern und Bäuerinnen mussten feststellen, dass die auf den Wasserrechnungen angegebenen Flächen ungleich höher sind, als die Flächen, die sie tatsächlich aus dem KfW-Projekt erhalten haben (die Bauern und Bäuerinnen haben ihre eigenen Felder mit 50-Meter-Maßbändern genau vermessen). In diesem Sinne haben wir in Anlage 2 eine Namensliste erstellt, in der tatsächliche und vermeintliche Größen der jeweiligen Felder gegenübergestellt werden, wobei auch hier darauf hingewiesen sei, dass es sich lediglich um eine exemplarische Auswahl an Namen handelt (die Kopien der Wasserrechnungen dienen insofern vor allem der Illustration, zumal nicht alle Betroffenen die tatsächlichen Flächen direkt auf ihren Rechnungen vermerkt haben).

Der Umstand erhöhter Wasserrechnungen ist nicht nur deshalb skandalös, weil er nachdrücklich auf die “Unschärfen” bei der Landvergabe im KfW-Bewässerungsprojekt Siengo Extension verweist. Hinzu kommt, dass – wie eingangs bereits angemerkt – für verarmte kleinbäuerliche Familien eine überteuerte Wasserrechnung schlicht ein ökonomisches Fiasko darstellt. Insofern ist auch völlig unverständlich, weshalb die Behörden des Office du Niger den Bauern und Bäuerinnen empfohlen haben, die erhöhte Wasserrechnung zunächst einmal zu bezahlen – und zwar mit dem Argument, dass eine etwaige Überzahlung ja mit der nächsten Wasserrechnung ausgeglichen werden könnte.

c) Verringerung der Bewässerungsfläche
In unseren Gesprächen wurden wir von den Bauern und Bäuerinnen immer wieder gefragt, was es mit der Verringerung der bereitgestellten Fläche von 1.722 auf 1.440 Hektar auf sich hat: Einerseits, weil sie mit Blick auf die allenthalben grassierende Korruption gerne wissen würden, ob hierfür technische oder finanzielle Gründe verantwortlich gewesen wären. Andererseits, weil sie sich mit der Frage beschäftigt haben, inwiefern die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Pflicht stünde, die anfangs angekündigten Flächen vollumfänglich zur Verfügung zu stellen (unabhängig davon, weshalb die tatsächliche Bewässerungsfläche kleiner ausgefallen ist). Wir finden beide Fragen absolut gerechtfertigt und möchten Sie daher an dieser Stelle gerne an das BMZ bzw. die KfW weitergeben.

3. Gespräch mit Vertretern der Generaldirektion des Office du Niger

Bei unserer Besprechung mit der Generaldirektion waren seitens des Office du Niger 6 Personen beteiligt, darunter der stellvertretende Generaldirektor sowie die Vorsitzenden und leitenden Funktionäre der größten Bauerngewerkschaften im Office du Niger, die, wenn wir es richtig verstanden haben, zugleich Mitglieder des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrats des Office du Niger sind. Von unserer Seite waren 5 Mitglieder vertreten: Drei VertreterInnen der europäischen Sektion, ein Vertreter aus Bamako und der Präsident der COPON, einer unabhängigen Bauerngewerkschaft, die ebenfalls bei Afrique-Europe-Interact Mitglied ist und bei der zahlreiche Bauern und Bäuerinnen aus Siengo Extension vertreten sind (9). Das zweieinhalbstündige Gespräch wurde überwiegend auf Französisch geführt, wobei wir vor allem auf drei Themenstränge hinweisen möchten:

a) In mehreren Beiträgen wurde seitens der Vertreter des Office du Niger erläutert, inwiefern sich im Zuge des Projektzeitraums die Zahl der Familien von 381 auf 909 erhöht habe. Ursache sei einerseits ein ungeregelter Zuzug von Familienangehörigen, andererseits manipulative Aufteilungen der Familien, um sich widerrechtlich mehrere Grundstücke anzueignen. Insgesamt sei dies der Grund dafür gewesen, weshalb bei der Landvergabe pro Familie weniger Hektar zur Verfügung gestanden habe. So plausibel diese Argumentation auf den ersten Blick erscheinen mag, bei näherer Betrachtung bleiben dennoch entscheidende (eng miteinander verzahnte) Fragen weitgehend unbeantwortet:

Erstens ist uns bei den entsprechenden Ausführungen unklar geblieben, wie viele Familien denn tatsächlich Land erhalten haben: 909 oder weniger? Denn selbst wenn es 909 gewesen wären, wäre ja statistisch für jede einzelne Familie ca. 1,5 Hektar übrig geblieben, vor allem hätte keine Familie übergangen werden müssen. Insofern möchten wir an dieser Stelle um Einsicht in die von Ihnen erwähnten Listen des Office du Niger bitten, aus denen hervorgehen soll, welche Familien wie viel Land tatsächlich erhalten haben (10). Zudem haben wir uns an dieser Stelle gefragt, inwiefern das Office du Niger gegen die von ihm festgestellten oder zumindest behaupteten betrügerischen Versuche einzelner Familien vorgegangen ist.

Zweitens wurde uns in dem Gespräch ein deutlich anderes Zustandekommen der Listen der berechtigen LandempfängerInnen geschildert, als wir es aus Ihrem Schreiben vom 19.06.2015 entnommen haben. Danach habe sich die Planungszeit des Projekts über ca. 8 bis 10 Jahre erstreckt (an diesem Punkt blieben die zeitlichen Ausführungen relativ vage). Entsprechend habe es bereits 2008/2009 eine erste Bevölkerungserhebung inklusive einer ersten Namensliste gegeben, was auch der Grund dafür sei, weshalb 2013/2014 keine neue Namensliste erstellt worden sei, sondern lediglich die bereits 4 bis 5 Jahre zuvor entstandene Liste der Anspruchsberechtigten eine erneute Überprüfung erfahren hätte. Wenn es wirklich so gewesen ist (11), würde uns interessieren, inwieweit die KfW Kenntnis von dieser Ur- bzw. Ausgangsliste hat. Interessant dürfte hierbei auch sein, weshalb es überhaupt zu diesem Gesprächsstrang gekommen ist. Denn unseren Gesprächspartnern ging es erklärtermaßen darum, die Bedeutung der von uns eingesammelten familiären Meldebescheinigungen (“Carnet de famille”) in Frage zu stellen. Denn selbst wenn diese vor 2013 ausgestellt worden seien, sei dies irrelevant, so ihr Tenor, da ja die Ausgangsliste bereits aus den Jahren 2008/2009 stamme.

Darüber hinaus wurden wir drittens darauf hingewiesen, dass weder Meldebescheinigungen noch Steuerbescheide irgendeine Beweiskraft hätten, da solche bei Bedarf gegen eine kleine Gebühr völlig willkürlich ausgestellt würden. Sollte letzteres zutreffen (was wir keinesfalls ausschließen möchten), stellt sich indes die weiter oben schon näher behandelte Frage umso dringlicher: Nämlich welche Akteure auf der Basis welcher belastbaren (sic) Kenntnisse bzw. Fakten überhaupt entschieden haben (ob 2008/2009 oder 2013/2014), wer im Rahmen des KfW-Bewässerungsprojekts Land erhält bzw. nicht erhält: Waren das einzig die Dorfchefs, in Kooperation mit MitarbeiterInnen des Office du Niger, und wenn ja, was ist die objektive Richtschnur ihres Handelns gewesen (jenseits subjektiver Erinnerungen, welche Familie seit wann im Dorf lebt)? Wir stellen diese Frage deshalb so hartnäckig, weil wir in unserem Gespräch mit den Repräsentanten des Office du Niger beim besten Willen keinen diesbezüglichen roten Faden erkennen konnten. Vielmehr ist ein ständiges Lavieren unübersehbar gewesen: Wenn es um die Begründung dessen ging, weshalb viele Familien nicht berücksichtigt werden konnten bzw. weniger Land erhalten haben als offiziell vorgesehen, dann wurde auf das unkontrollierbare Wachstum von Familien verwiesen, welche die Zahl der Anspruchsberechtigten stark erhöht habe. Wenn indessen unsere Indizien wie die familiären Meldebescheinigungen entkräftet werden sollten, war plötzlich von vergleichsweise alten Ausgangslisten die Rede, aus denen eigentlich eine Verkleinerung des Kreises der Anspruchsberechtigten und somit auch eine merkliche Entlastung bei der Landverteilung hätten abgeleitet werden können. Derartige Widersprüche sollten unseres Erachtens aufhorchen lassen, denn sie sind ganz offensichtlich Ausdruck des Bemühens, rechtswidrige, mithin korrupte Landvergabepraktiken zu verschleiern.

b) Vergleichsweise überraschend ist indessen die Diskussion zur Frage der Wasserrechnungen verlaufen. Denn hier haben unsere Gesprächspartner unumwunden eingeräumt, dass es womöglich zu Fehlern gekommen sei und dass daher zeitnah Nachmessungen vorgenommen werden sollten (überraschend ist diese Haltung insofern gewesen, als ja mit erhöhten Wasserrechnungen – sollte der Vorwurf zutreffend sein – die insgesamt verteilte Fläche manipulativ vergrößert wurde, was im Gegenzug die Frage aufwirft, wer dann die übrigen Flächen erhalten hat). Gleichwohl wurde die sachlich nur schwer nachvollziehbare Position bekräftigt, wonach die Bauern und Bäuerinnen zunächst einmal die Wasserrechnungen zahlen sollten, auch wenn es zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Verrechnung kommen würde (vgl. hierzu auch Fußnote 4).

4. Zu den Reaktionen des Office du Niger

Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass die Behörden des Office du Niger nach unserer im März 2015 formulierten Kritik zunächst rasche Änderungen in Aussicht gestellt haben, dann aber untätig geblieben sind. Ähnlich ambivalent ist auch das Gespräch bei der Generaldirektion des Office du Niger verlaufen. Obwohl wir durch einen offiziellen Berater des Generaldirektors eingeladen worden waren, meinte der zuständige Mitarbeiter im Sekretariat bei unserer Ankunft, dass er von einem solchen Termin nichts wissen würde. Insofern hat es zunächst 90-minütiger Bemühungen bedurft, bevor wir vom stellvertretenden Direktor auf freundliche Weise empfangen wurden. Umso überraschender der weitere Verlauf des Gesprächs: Nachdem wir unser Anliegen ausführlich vorgestellt hatten, sprach zunächst der stellvertretende Direktor. In ruhigem und verbindlichem Ton erläuterte dieser vieles von dem, was wir soeben skizziert haben. Ganz anders die übrigen Vertreter des Office du Niger: In einer Art und Weise, wie wir es noch nie bei einem offiziellen Gespräch in Mali erlebt haben, begannen diese, uns massiv zu kritisieren, mitunter sogar anzuschreien und zu beschimpfen.

Vor allem zweierlei stand im Zentrum ihrer Aussagen: Einerseits wurde uns jede Kompetenz abgesprochen (also auch den malischen Teilnehmern unserer Delegation), irgendeine sinnvolle Aussage zu den Verhältnissen im Office du Niger treffen zu können. Andererseits wurde angeprangert, dass sich im Rahmen von Afrique-Europe-Interact Bauern und Bäuerinnen zusammengeschlossen und die unabhängige (aber offiziell als Verein anerkannte) Basisgewerkschaft “COPON” (Coordination des Paysans à l'Office du Niger) gegründet hätten. Denn dies sei ein Verrat an den bestehenden Gewerkschaften, die bereits alle Bauern und Bäuerinnen des Office du Niger vertreten würden. Wir möchten die unerfreulichen Aspekte des Treffens an dieser Stelle nicht überbewerten, denn grundsätzlich ist es aus unserer Sicht wichtig und gut gewesen, dass uns der Stellvertretende Direktor des Office du Niger zu diesem Gespräch empfangen hat. Gleichwohl müssen wir auch auf die Konsequenzen dieses Gesprächsverlaufs hinweisen. Denn de facto ist es hierdurch nicht möglich gewesen, viele der oben angesprochenen Punkte ernsthaft zu vertiefen, und das mit der Konsequenz, dass am Ende viele Fragen offen geblieben sind.

5. Fazit

Die KfW bekennt sich auf ihrer Webseite zur Notwendigkeit externer Evaluierungen. Denn nur so könne ergründet werden, “ob ein Projekt seine Ziele erreicht hat oder nicht, was gut und was weniger gut funktioniert hat und warum”. In diesem Sinne möchten wir das BMZ und die KfW dringend um eine zeitnahe Überprüfung des KfW-Bewässerungsprojekts Siengo Extension bitten – auch mit Blick auf die Frage, wie diejenigen Bauern und Bäuerinnen noch einbezogen werden können, die bislang zu Unrecht kein Land erhalten haben. Besondere Eile ist indessen bei der Frage der Wasserrechnungen geboten – auch jenseits eines längerfristigen Evaluationsverfahrens. Denn es darf nicht sein, dass Bauern und Bäuerinnen einzig deshalb ihr Land verlieren, weil sie im Rahmen eines aus der deutschen Entwicklungszusammenarbeit finanzierten Projekts überhöhte Wasserrechnungen erhalten haben. In diesem Sinne wäre wir Ihnen sehr verbunden, wenn sie noch vor dem 31.03.2016 mit ihren malischen Partnern in Kontakt treten und sich für eine diesbezüglich rechtsstaatliche Lösung einsetzen könnten (12).

Mit freundlichen Grüßen,

Volker Mörchen

Anmerkungen:

(1) In Ihrem damaligen Brief sind Sie sowohl auf das Bewässerungsprojekt Siengo Extension als auch die beiden Dörfer Sanamadougou und Sahou eingegangen. Hinsichtlich der ebenfalls im Office du Niger gelegenen Dörfer Sanamadougou und Sahou haben wir Ihnen letztmalig am 02.02.2016 geschrieben, weshalb wir uns im vorliegenden Brief ausschließlich auf die Situation in Siengo Extension konzentrieren möchten.

(2) In unseren bisherigen Stellungnahmen hatten wir immer von vier Dörfern gesprochen, die zu Siengo Extension gehören würden. Richtig ist jedoch die Zahl von 5 Dörfern, zu denen jeweils eine mehr oder weniger große Anzahl an Weilern gehört. Vier der fünf Dörfer wurden für das Bewässerungsprojekt eigens umgesiedelt. Die Namen der Dörfer lauten Tikere-Moussa, Agali Wéré, Kanda Wéré, Zantou und Amadoumbou.

(3) Ilias Goro ist unter dem Vorwurf angeblicher finanzieller Vorteilsnahme Anfang März abberufen worden – die entsprechende Verfügung wurde bereits am 16.01.2016 unter anderem vom malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita unterschrieben.

(4) Wir möchten an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass in den verschiedenen Dörfern von Siengo Extension bereits zahlreiche Bauern und Bäuerinnen die überhöhten Wasserrechnungen gezahlt haben. Denn viele haben Angst, dass es im Fall eines Zahlungsverzugs zu Konfiszierungen ihres Land kommen könnte. Zum aktuellen Zeitpunkt sind es daher lediglich eine größere Anzahl von Bauern und Bäuerinnen aus Tikere-Moussa, die angekündigt haben, einzig den korrekten Betrag zahlen zu können bzw. zu wollen.

(5) Zur Verdeutlichung sei darauf hingewiesen, dass wir während unseres Aufenthalts in Siengo Extension am 8. und 9. März 2015 sowohl Gruppengespräche als auch Einzelinterviews geführt haben. Dabei berichteten uns in zwei Einzelinterviews zwei verwitwete Frauen (deren Namen uns bekannt sind), dass sie beide mit ihren Familien in einem der ursprünglichen Dörfer gelebt hätten, dass sie seit den Umsiedlungen mit ihren steuerpflichtigen und insofern zu Landbesitz berechtigten Söhnen in den neuen Dörfern leben würden, dass sie aber dennoch bei der Landvergabe ausdrücklich übergangen worden seien – eine der Frauen sogar, obwohl ihre Familie im neuen Dorf offiziell registriert ist. Letztere berichtete zudem, dass sie zwar Ende Februar 2015 als Ergebnis ihrer täglichen Bittgänge Land vom Dorfchef zugeteilt bekommen hätte, allerdings nur unter der Bedingung, dass sie die Wasserrechnung genauso wie den obligatorischen Dünger für die entsprechende Fläche bezahlen würde. Da sie aber bis dato noch gar nichts angebaut und insofern weder Wasser noch Dünger verwendet hatte, blieb ihr letztlich keine andere Lösung, als das Land wieder an den Dorfchef zurückzugeben (ein Vorgang, der sich just zum Zeitpunkt unseres Besuchs abgespielt hat).

(6) Zunächst hat vom 27.-29.11.2015 eine Delegationsreise ins Office du Niger stattgefunden, sodann haben wir uns am 13. und 14.02.2016 mit Bauernvertretern aus der Region Siengo Extension in Bamako getroffen, darunter der Dorfchef von Tikere-Moussa. Im Februar hat schließlich eine weitere Delegationsfahrt ins Office du Niger stattgefunden – inklusive einer Pressekonferenz in Tikere-Moussa am 14.02.2016.

(7) Es gibt auch Meldebescheinigungen aus den Jahren 2013, 2014 und 2015. Doch die Betreffenden geben an, dass das Ausstellungsdatum einer Meldebescheinigung nicht automatisch Auskunft über die bisherige Aufenthaltsdauer in einem Dorf Auskunft gibt, da eine Meldebescheinigung nur auf Beantragung zur Verfügung gestellt wird. Beispielsweise gibt es aus Zantou mehrere Meldebescheinigungen, die aus dem Jahr 2013 stammen. Gleichzeitig haben die Betreffenden jedoch ein Schreiben aus dem Jahr 2009 vorgelegt, welches sie seinerzeit anlässlich einer Vereinsgründung als eine Art Ersatzmeldebescheinigung erhalten haben (das also zeigt, dass die Betreffenden schon viel länger in Zantou leben).

(8) Natürlich könnte zusätzlich auch geprüft werden, wer das Land tatsächlich erhalten hat. Doch ein solches Vorgehen wäre stets manipulierbar, weil es stets möglich ist, kleine Bauern und Bäuerinnen als Strohpersonen zu präsentieren, unabhängig davon, dass sie eigentlich (unfreiwillige) Pächter sind, ggf. sogar ausgestattet mit einer Wasserrechnung, die auf ihren Namen ausgestellt ist.

(9) Die Namen der Gesprächsbeteiligten können wir bei Bedarf gerne mitteilen.

(10) Vgl. die in Ihrem Schreiben zitierten Entscheidungen des geschäftsführenden Direktors des Office du Niger Nr. 119 und Nr. 125 vom 27. Juni 2014 sowie Nr. 185 vom 4. November 2014.

(11) Mangels entsprechender Kenntnisse können wir den Planungsvorlauf solcher Projekte nicht richtig einschätzen, aber laut Bundesgesetzblatt ist das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Mali zum Bewässerungsprojekt Siengo Extension erst am 08.05.2009 unterzeichnet worden. Insofern finden wir es zumindest überraschend, dass bereits zu einem derart frühen Zeitpunkt konkrete Namenslisten erstellt worden sein sollen.

(12) Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir auch an den malischen Präsidenten sowie die malische Regierung einen Brief hinsichtlich Siengo Extension geschickt haben, allerdings ist dieser Brief deutlich kürzer als das vorliegende Schreiben, zudem enthält er nicht die Kopien der hier im Anhang verschickten Meldebescheinigungen und Wasserrechnungen.

Anlagen:

Anlage 1: Kopien von familiären Meldebescheinigungen – mit einleitenden Anmerkungen
Anlage 2: Kopien von falschen Wasserrechnungen – mit ergänzender Tabelle

Nachrichtlich an:

  • Dr. Christoph Kessler, Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)
  • Mitglieder des Ausschusses für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit des Deutschen Bundestags

März 2016 | Brief an BMZ zu Siengo Extension

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