Dezember 2015 | Nach der Revolution
Burkina Faso: Kämpfe gegen Landraub, für Recht auf Wohnraum. Veröffentlicht in AEI-Zeitung, Dezember 2015
Viele Tausende Menschen in Burkina Faso haben sich Ende Oktober 2014 am Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Blaise Compaoré beteiligt. Sie haben ein diktatorisches Regime gestürzt, das mit mafiösen Methoden extreme soziale Ungleichheit produziert hat. Eine der großen sozialen Herausforderungen in der burkinischen Gesellschaft ist jetzt die Frage der Verfügung über Grund und Boden und des Rechts auf Wohnraum. In der Hauptstadt Ouagadougou, wie in anderen Großstädten Westafrikas, ist die Bau- und Immobilienbranche ein boomendes Geschäft, mehr noch: ein Verdrängungskampf von reich gegen arm. Auch Dorfbewohner_innen sind von Landraub durch Bergbau- und Agrarunternehmen sowie Privatpersonen betroffen.
Demo für Wohnraum, April 2015
Das Compaoré-Regime bot ideale Bedingungen für korrupte Immobiliengeschäfte: „Die Bürgermeister haben Grundstücke verscherbelt. Die Gouverneure haben Grundstücke verscherbelt. Die Staatsbediensteten haben es sich erlaubt, Grundstücke, an wen auch immer sie wollten, zu verkaufen. Manchmal an mehrere Personen gleichzeitig. Denn die Korruption war Allgemeinzustand“, so der HipHop-Künstler Serge Bambara alias Smockey von der Basisbewegung Balai Citoyen (“Bürgerbesen”). Ganze Wohnviertel wurden zerstört, viele ärmere Bewohner_innen für Immobilienspekulation und profitable Bauvorhaben vertrieben.
Zahlreiche Menschen aus der armen Bevölkerung haben sich in städtischen Randgebieten und in Dörfern auf unvermessenen Flächen ohne Grundstückstitel niedergelassen – sogenannte „zones non lotis“. Diese irregulären Wohnviertel sind schlecht an öffentliche Infrastruktur wie Strom- und Wasserversorgung oder asphaltierte Straßen angebunden, zudem wohnen die Menschen überwiegend in selbst gebauten Lehmziegelhäusern. Sie leben mit der Bedrohung, dass sie von einem Tag auf den anderen durch Leute mit Geld und guten Kontakten zur Verwaltung vertrieben werden könnten: „Es kann passieren, dass in der Nacht Leute mit Taschenlampen kommen, und sie sagen dir, du musst diesen Ort verlassen, denn jemand anders kommt, um hier zu bauen“, berichtet Vivianne Nikiéma, Bewohnerin des Stadtteils Nagrin im Randgebiet von Ouagadougou und aktiv in der Gruppe „Frauen für das Recht auf Wohnen“. In ihrer Nachbarschaft breiten sich schicke Villenviertel aus, während viele Bewohner_innen seit Jahren vergeblich darauf warten, dass ihnen von der Kommunalverwaltung eine offiziell eingetragene Parzelle zugeteilt wird. Unter dem von Blaise Compaoré ermordeten und bis heute hoch geschätzten Präsidenten Thomas Sankara (1983-1987) hatte jede_r Bürger_in das gesetzlich verbriefte Recht auf eine Parzelle bzw. auf ein Stück Land. Unter Compaoré selbst wurde hingegen die Zuteilung der Grundstücke einem System der Willkür und Korruption unterworfen. Stadtteilbürgermeister – in den vergangenen Jahren meist aus Blaise Compaorés Regierungspartei CDP – vergaben Grundstücke an nahestehende Personen bzw. an die, die zahlen konnten. Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob eine Parzelle bereits bewohnt war. Immer wieder wurden Bewohner_innen, die sich dagegen wehrten, von Handlangern der korrupten Bürgermeister bzw. derjenigen, die sich Land unter den Nagel reißen wollten, gewaltsam angegriffen, mitunter sogar mit Waffengewalt.
Viele Bewohner_innen der irregulären Wohnviertel haben beim Sturz von Blaise Compaoré mitgekämpft und fordern jetzt konkrete Schritte für das Recht auf Wohnraum. Unter Beteiligung von Aktivist_innen von Afrique-Europe-Interact wurde die „Koordination von Vereinen für das Recht auf Wohnen in Burkina Faso“ (CADLO) gegründet, in der sich verschiedene Basisinitiativen zusammengeschlossen haben. Angesichts der ersten freien Wahlen nach 27 Jahren am 29. November 2015 wollen sie jetzt der zukünftigen Regierung ihre Forderungen ins Stammbuch schreiben. Dazu gehören unter anderem das Ende willkürlicher Landvermessungen und Landvergaben, der Stopp von Vertreibungen und Häuserzerstörungen, die Absetzung und Bestrafung korrupter Bürgermeister, gesicherte Wohn- und Landrechte, sowie die Einführung von Gesetzen zum Schutz der Bevölkerung vor Vertreibungen, Landraub und intransparenten Immobiliengeschäften.
Bereits am 21. März 2015 beteiligten sich über 1000 Menschen aus verschiedenen Stadtvierteln und Dörfern an einer Demonstration in Ouagadougou. Sie bekundeten Unterstützung für die Institutionen des politischen Übergangs, die sie damit auch in die Pflicht nehmen wollten. Der Protest zeigte erste Reaktionen: mehrere ehemalige Bürgermeister wurden wegen korrupter Landvergabe verhaftet. Immer wieder gibt es Mobilisierungskarawanen und Pressekonferenzen in betroffenen Stadtteilen. Die Bewohner_innen des Dorfes Lanoag-yiri wurden unterstützt wegen der drohenden Vertreibung durch eine Familie, die aufgrund eines geerbten Bodentitels das Dorfland für sich beansprucht und an eine Immobilienfirma verkaufen möchte. Der Schulterschluss mit anderen Bewegungen wird gesucht, unter anderem sind gemeinsame Proteste mit der „Koordination gegen das teure Leben“ (CCVC) geplant: „Wir fordern unsere Rechte, damit uns die Politiker_innen nicht erneut unser Recht auf Wohnen wegnehmen, denn im Wahlkampf heißt es stets „Wählt mich! Wählt mich!“, aber es ändert sich nichts hinsichtlich der Parzellen. Wir müssen uns selbst erheben, damit man uns nicht verkauft wie einen Sack Bohnen!“, so die Kampfansage der Aktivistin Zeynabou Compaoré. Es gibt noch viel zu tun im „Land der aufrichtigen Menschen“ – so die wörtliche Übersetzung von Burkina Faso.