Zwei Dörfer stehen auf: Transnationale Proteste gegen Landraub in Mali
Kurzzusammenfassung der Solidaritätskampagne für Sanamadougou und Sahou – Dezember 2014
Bereits vor drei Jahren hat Afrique-Europe-Interact begonnen, Kontakte zu Bauern und Bäuerinnen im Office du Niger aufzubauen – einer 270 Kilometer nord-östlich der malischen Hauptstadt Bamako gelegenen Region, in der schon lange unterschiedliche Formen von Landraub stattfinden. Vorläufiges Ergebnis dieses insbesondere von der malischen Sektion unseres Netzwerks getragenen Annäherungsprozesses war zum einen die Gründung der Basisgewerkschaft COPON (Kollektiv der Bauern im Office du Niger). Zum anderen die Unterstützung des Widerstands der beiden Dörfer Sanamadougou und Sahou gegen den Verlust sämtlicher ihrer landwirtschaftlichen Nutzflächen– inklusive Solidaritätsaktionen in Europa.
Ihren Anfang genommen hat die Auseinandersetzung in Sanamadougou und Sahou spätestens am 31. Mai 2010. Damals hat der malische Großinvestor Modibo Keita mit seiner Firma Société Moulins Modernes du Mali einen über 30 Jahre laufenden Pachtvertrag von 7.400 Hektar in der Region M'Bewani Séribabougou abgeschlossen – und zwar mit der Option, in einer zweiten Phase weitere 20.000 Hektar zu erhalten. Doch die örtlichen Rahmenbedingungen behagten Modibo Keita nicht, ihm fehlte der direkte Zugang zu einem Bewässerungskanal. Er unterbreitete daher verschiedenen 30 Kilometer weiter südlich gelegenen Dörfern das Angebot, ihr Land gegen winzige Geldbeträge, Geschenke oder Ersatzflächen abzugeben. Alle lehnten ab, lediglich ein Dorf tauschte 800 Hektar gegen eine kleine Fläche bewässertes Ackerland. Modibo Keita nutzte dies, um sich von dort aus weitere Flächen illegal anzueignen, so auch die von Sanamadougou und Sahou bereits seit vorkolonialer Zeit genutzten landwirtschaftlichen Flächen. Folge ist, dass die BewohnerInnen zunehmend von Hunger betroffen sind und immer mehr Menschen abwandern müssen – allein aus Sanamadougou 23 Haushalte zwischen Mai und August 2014.
Die BewohnerInnen haben in den vergangenen 5 Jahren in zahlreichen Briefen, Petitionen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf die drohenden Konsequenzen hingewiesen – allerdings ohne Erfolg. Sie haben zudem mit Hilfe von CMAT – eines von mehreren Organisationen getragenen Bündnisses gegen Landgrabbing – ein Gerichtsverfahren in der Stadt Markala angestrengt, das zwar am 22. Februar 2012 eröffnet, bis heute aber seitens des Gerichts nicht weiter vorangetrieben wurde.
Demgegenüber ist es immer wieder zu gewaltsamen Vorgehensweisen durch staatliche Sicherheitsorgane gekommen, erstmalig am 18. Juni 2010, als Modibo Keita ohne Vorankündigung zahlreiche für die Agroforstwirtschaft unentbehrliche Bäume fällen ließ. Über 40 Bauern und Bäuerinnen wurde festgenommen, weitere erlitten zum Teil schwere Verletzungen (vgl. die ZeugInnenaussagen in nebenstehendem Kasten). Auch danach haben sich brutale Übergriffe insbesondere durch Angehörige der Gendarmerie ereignet – einschließlich gezielter Vergewaltigungen.
Im April 2014 schien Bewegung in die verfahrene Situation zu kommen, als das Amt des Premierministers die Einsetzung einer Untersuchungskommission beschloss. Umso enttäuschender war, dass sich der Abschlussbericht im Wesentlichen die Perspektive von Modibo Keita bzw. der offiziellen Stellen zu eigen gemacht hat. Konkret wird zwar eingeräumt, dass die Behörden des Office du Niger im Vorfeld nicht auf eine hinreichende Information der BewohnerInnen der beiden Dörfer geachtet hätten. Zudem wird in den Schlussfolgerungen die Auszahlung von bislang noch nicht erfolgten Entschädigungen verlangt. Gleichzeitig heißt es aber auch, dass die Zuteilung des Landes im Rahmen des Pachtvertrags einwandfrei erfolgt sei, dass bereits umfassende Entschädigungen realisiert worden seien und dass sich überdies zahlreiche BewohnerInnen zugunsten des Projekts ausgesprochen hätten. Dem haben die Dorfchefs von Sanamadougou und Sahou in einem Brief vom 21. Juli 2014 vehement widersprochen: Sie weisen darauf hin, dass bislang keinerlei Entschädigungen erfolgt seien – abgesehen davon, dass sie der Wegnahme ihres Landes auch nicht zustimmen könnten. Darüber hinaus seien 90 Prozent der BewohnerInnen gegen das Projekt eingestellt, daher würde der Investor zu offiziellen Terminen stets BewohnerInnen des Nachbardorfes Diado mobilisieren, die sich als BewohnerInnen von Sanamadougou und Sahou ausgeben und das Projekt in den höchsten Tönen loben würden.
Die Vorgänge in Sanamadougou und Sahou haben weit über Mali hinaus Bekanntheit erlangt: Konkret wird der Fall in einem Bericht des renommierten Oakland-Instituts aus den USA untersucht, zudem hat sich die Menschenrechtsorganisation FIAN am 19. Dezember 2013 in einem offenen Brief an den Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta gewandt. Schließlich sind zahlreiche JournalistInnen und VertreterInnen der malischen und internationalen Zivilgesellschaft in den beiden Dörfern gewesen.
Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte verständlich werden, weshalb Afrique-Europe-Interact seitens der BewohnerInnen von Sanamadougou und Sahou keineswegs mit offenen Armen empfangen wurde. Im Gegenteil: Die in unzähligen Enttäuschungen begründete Skepsis war mit Händen greifbar, entsprechend wurde im Mai diesen Jahres eine aus malischen und europäischen AktivistInnen zusammengesetzte Delegation für 36 Stunden des Dorfes verwiesen – so lange brauchten die internen Beratungen, ob mit uns überhaupt verbindlich kooperiert werden sollte. Doch seitdem ist vieles passiert, ausschlaggebend für das inzwischen entstandene Vertrauen dürfte ein ganzes Bündel an Erfahrungen gewesen sei, die zugleich darauf verweisen, woran es in der Kooperation mit anderen oftmals gehakt hat: Erstens, dass wir trotz der anfänglichen Zurückweisungen hartnäckig geblieben sind; zweitens, dass wir unsere Aktivitäten stets mit den beiden Dörfern abgestimmt haben; drittens, dass der europäische Flügel von Afrique-Europe-Interact tatsächlich mit verschiedenen Aktionen in Deutschland aktiv geworden ist; und viertens, dass wir im August auf Anfrage spontan und ohne bürokratisches Brimborium 10 Tonnen Hirse zur Abfederung der ärgsten Hungerspitzen gespendet haben.
Erfreulich ist zudem, dass als Ergebnis dieser transnationalen Bemühungen die Dinge in Mali wieder in Bewegung gekommen sind. So hat sich der malische Premierminister Moussa Marra am 16. September in Bamako zu einem einstündigen Gespräch mit Vertretern der beiden Dörfer getroffen, zudem sind sämtliche Arbeiten auf den von Modibo Keita besetzen Feldern rund um Sanamadougou und Sahou eingestellt worden. Zur Aufrechterhaltung des politischen Drucks haben wir daher Ende November in Berlin vor dem Bundeskanzleramt und dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung protestiert (vgl. nebenstehenden Artikel), während in Sanamadougou eine zweitägige Aktionskonferenz mit Gästen aus benachbarten Dörfern sowie AktivistInnen aus dem gesamten Office du Niger und Bamako stattgefunden hat – unter Beteiligung zahlreicher JournalistInnen.
Kurzum: Das von unserem Netzwerk propagierte Credo der transnationalen Kooperation ist keine Leerformel! Es ist möglich, über große geographische, soziale und kulturelle Distanzen hinweg Bündnisse aufzubauen. Gleichwohl darf die allenthalben spürbare, vor allem in der massiven Armut begründete Fragilität dieses Prozesses nicht ausgeblendet werden. Unterstützung und Spenden sind insofern ausdrücklich willkommen!