Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

21. August 2014 | Sanamadougou und Sahou müssen bleiben: Landraub stoppen – in Mali und überall sonst!

Kundgebung in Berlin (inklusive Bildern) und offener Brief an malische Behörden

Mehr Informationen und Dokumente zur Aktion und ihren Hintergründen finden sich weiter unten. Der internationale Appell von Afrique-Europe-Interact für Sanamadougou und Sahou findet sich unter der Rubrik Appell

Infos zur Doppelkundgebung

Die BewohnerInnen der beiden Dörfer Sanamadougou und Saou in Mali sind dringend auf politische und praktische Unterstützung angewiesen – und das sofort. Seit 2009 wurden ihre Flächen Stück für Stück von einem Großinvestor geraubt, jetzt sehen sich die BewohnerInnen mit der für sie völlig neuen Erfahrung von Hunger konfrontiert.Vor diesem Hintergrund hat das transnationale Netzwerk Afrique-Europe-Interact in einem ersten Schritt den Kauf von 10 Tonnen Hirse im Wert von 2.500 Euro als direkte Soli-Unterstützung ermöglicht – eine Menge, die allerdings nur drei bis vier Wochen reichen dürfte. Darüber hinaus rufen wir zu einer Protestaktion vor der malischen Botschaft und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf – in Verbindung mit einer demnächst beginnenden Faxkampagne.

Der Aufruf zur Kundgebung vor der malischen Botschaft ist an folgender Stelle auf dieser Webseite verfügbar.

Offener Brief an die malische Botschaft in Berlin

20. August 2014

Anlässlich der Aktion in Berlin – und in Ergänzung des Appells – hat Afrique-Europe-Interact auch folgenden offenen Brief an die malische Botschaft in Berlin geschrieben. Der Brief wird zudem an verschiedene Regierungs- und Verwaltungsbehörden sowie mehrere EU-Botschaften in Mali geschickt.

Frau
Hawa Keita eps. Ba
Botschafterin der Republik Mali
Kurfürstendamm 72
10709 Berlin

Berlin, den 20. August 2014

Zur Situation der beiden Dörfer Sanamadougou und Sahou im Office du Niger

Sehr geehrte Frau Botschafterin,

wir möchten uns heute heute in einer äußerst dringlichen Angelegenheit an Sie wenden, mit der Bitte, dass sie unsere Sorgen an die zuständigen Regierungs- und Verwaltungsstellen in Bamako bzw. Segou weiterleiten mögen.

Es geht um die beiden Dörfer Sanamadougou und Sahou im Office du Niger, die in den letzten Jahren ihre Acker- und Weideflächen weitgehend verloren haben. Folge ist, dass die BewohnerInnen zunehmend von Hunger betroffen sind und immer mehr Menschen abwandern müssen – allein aus Sanamadougou 23 Haushalte in den letzten 4 Monaten. Hintergrund ist ein Pachtvertrag, den die malische Regierung am 31. Mai 2010 mit der Société Moulins Modernes du Mali des Investors Modibo Keita abgeschlossen hat (Contrat de Bail Ordinaire N°001/PDG-ON). Denn betroffen sind nicht nur brachliegende Gebiete (wie im Vertrag eigentlich vorgesehen), sondern auch die von den beiden Dörfern bereits seit vorkolonialer Zeit genutzten landwirtschaftlichen Nutzflächen.

Die BewohnerInnen haben in den vergangenen 5 Jahren in zahlreichen Briefen, Petitionen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf die drohenden Probleme hingewiesen – allerdings ohne Erfolg. Sie haben zudem mit Hilfe von CMAT („Convergence Malienne contre les Accaparements de Terres“) ein Gerichtsverfahren in Markala angestrengt, das zwar am 22. Februar 2012 eröffnet, bis heute aber nicht abgeschlossen wurde. Daran hat sich auch nichts geändert, als am 22. März 2013 der Minister für Raumplanung und Dezentralisierung den zuständigen Gouverneur von Segou in einem Brief ausdrücklich aufgefordert hat, dem menschenrechtswidrigen Treiben von Modibo Keita Einhalt zu gebieten.

Demgegenüber ist es immer wieder zu gewaltsamen Vorgehensweisen durch staatliche Sicherheitsorgane gekommen, erstmalig am 18. Juni 2010, als Modibo Keita ohne Vorankündigung zahlreiche für die Agroforstwirtschaft unentbehrliche Bäume fällen ließ. Über 40 Bauern und Bäuerinnen wurde festgenommen, weitere erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Auch danach haben sich brutale Übergriffe insbesondere durch Angehörige der Gendarmerie ereignet – einschließlich Vergewaltigungen.

Im April 2014 schien Bewegung in die Situation zu kommen, als das Amt des Premierministers die Einsetzung einer Untersuchungskommission beschloss (N° 0011/PM-CAB, 4. April 2014). Um so enttäuschender ist, dass sich der bislang noch nicht veröffentlichte Abschlussbericht im Wesentlichen der Perspektive von Modibo Keita bzw. der offiziellen Stellen anschließt („Rapport de mission relative a la Saisine de la Primature“). Konkret wird zwar eingeräumt, dass die Behörden des Office du Niger im Vorfeld nicht auf eine hinreichende Information der BewohnerInnen der beiden Dörfer geachtet hätten. Zudem wird in den Schlussfolgerungen die Auszahlung von bislang noch nicht erfolgten Entschädigungen verlangt. Gleichzeitig heißt es aber auch, dass die Zuteilung des Landes im Rahmen des Pachtvertrags einwandfrei erfolgt sei, dass bereits umfassende Entschädigungen realisiert worden seien und dass sich überdies zahlreiche BewohnerInnen zugunsten des Projekts ausgesprochen hätten. Dem haben die Dorfchefs von Sanamadougou und Sahou in einem Brief vom 21. Juli 2014 vehement widersprochen: Sie weisen darauf hin, dass bislang keinerlei Entschädigungen erfolgt seien – abgesehen davon, dass sie der Wegnahme ihres Landes auch nicht zustimmen könnten. Darüber hinaus seien 90 Prozent der BewohnerInnen gegen das Projekt eingestellt, stattdessen würde der Investor zu offiziellen Terminen stets BewohnerInnen des Nachbardorfes Diado mobilisieren, die sich als BewohnerInnen von Sanamadougou und Sahou ausgeben und das Projekt in den höchsten Tönen loben würden.

Die Vorgänge in Sanamadougou und Sahou haben weit über Mali hinaus Bekanntheit erlangt: Konkret wird der Fall in einem Bericht des renommierten Oakland-Instituts aus den USA untersucht (1), zudem hat sich die in über 50 Ländern vertretene Menschenrechtsorganisation FIAN International am 19. Dezember 2013 in einem offenen Brief an den Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta gewandt (2). Schließlich sind zahlreiche JournalistInnen und Delegationen in den beiden Dörfern gewesen, so auch AktivistInnen unseres Netzwerks, die Sanamadougou und Sahou im Februar, Mai und August 2014 besucht haben.

Insgesamt scheinen nicht nur die Übergriffe durch die Sicherheitskräfte bestens dokumentiert. Offensichtlich ist auch, dass das Projekt nicht seinen Erwartungen gerecht wird und insofern gegen Artikel 43 des malischen Bodenrechts verstößt. Denn im Zuge des Projekts haben zahlreiche Bauern und Bäuerinnen ihre Existenzgrundlagen verloren (was auch durch die geschaffenen Arbeitsplätze nicht aufgewogen wird), außerdem sind nunmehr Dörfer von Hunger betroffen, die dies bislang noch nicht gekannt haben.

Sehr verehrte Frau Botschafterin, wir möchten Sie vor diesem Hintergrund höflichst bitten, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun und sich für eine Rückgabe des Landes an die betroffenen Bauern und Bäuerinnen sowie Entschädigungen für die entstandenen Verluste einzusetzen. Zur Bekräftigung unseres Anliegens haben wir daher einen Europäischen Appell für die Erhaltung von Sanamadougou und Sahou verfasst sowie am nächsten Donnerstag eine Kundgebung sowohl vor der malischen Botschaft in Berlin als auch vor der Außenstelle des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) angemeldet. Denn der Konflikt in Sanamadougou ist nicht einzigartig, zumal die EU mit ihrer Landwirtschafts- und Biodiesel-Politik Großinvestionen in Acker-, Wald- und Weideflächen gezielt fördert. Wir möchten daher auch die Bundesregierung (zusammen mit den Regierungen anderer europäischer Länder) auffordern, sich im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit mit Mali für eine friedliche Beilegung der Konflikte im Office du Niger stark zu machen.

Grundsätzlich ist es uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir uns nicht nur den Bauern und Bäuerinnen in Sanamadougou und Sahou freundschaftlich verbunden fühlen, sondern der malischen Gesellschaft insgesamt. Unser Anliegen ist solidarischer Natur, weshalb auch ausdrücklich betont sei, dass wir Anfang August 10 Tonnen Hirse an Sanamadougou und Sahou gespendet haben. Worum es uns prinzipiell geht, ist eine Landwirtschaftspolitik, die systematisch die Interessen der Kleinbauern und -bäuerinnen ins Zentrum rückt. Denn diese sind es, die bis heute weltweit einen Großteil der Ernährungssicherung leisten.

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen

Franzis Binder

(1) Comprendre les Investissements Fonciers en Afrique: Rapport Mali (2011): http://www.oaklandinstitute.org/comprendre-les-investissements-fonciers-en-afrique-rapport-mali

(2) http://www.fian.org/fileadmin/media/publications/OpenLetter_Mali_Dec2013.pdf

Kopie an:

- Präsident der Republik Mali – Premierminister der Republik Mali – Minister für ländliche Entwicklung der Republik Mali – Minister für Raumordnung der Republik Mali – Gouverneur der Region Segou – Generaldirektor des Office du Niger – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Deutschland) – Deutsche Botschaft in Bamako – Schweizer Botschaft in Bamako – Österreichische Botschaft in Bamako – Niederländische Botschaft in Bamako – Botschaften weiterer Länder in Bamako