03. Mai 2013 | Pressemitteilung von Afrique-Europe-Interact zur Bürgerversammlung in Bamako
Versammlung malischer Basisinitiativen in Bamako mit 300 TeilnehmerInnen, darunter auch zahlreichen Tuareg-VertreterInnen aus dem Norden. Geplant ist ein langfristig angelegter (Friedens-)Dialog aller gesesellschaftlichen Gruppen: Zeit & Ort: Samstag, 4. Mai, 8.30 bis 17.30 Uhr, im Carrefour des Jeunes (Place de la Liberté)
Bereits Anfang Januar hatte die malische Sektion des transnationalen Netzwerks Afrique-Europe-Interact zu einem weißen Marsch („Marche Blanche“) von Mopti nach Douentza aufgerufen (http://www.afrique-europe-interact.net/index.php?article_id=835&clang=0). Ziel war es, die damalige 'Demarkationslinie' mit mehreren tausend Menschen zu überschreiten: Einerseits, um den zivilen Widerstand gegen das islamistische Terrorregime im Norden zu stärken, andererseits, um den Dialog mit jenen Teilen der Tuareg-Bevölkerung aufzunehmen, die sich weder durch die islamistischen noch die laizistischen Tuareg-Rebellen angemessen vertreten sahen (also Ansar Dine bzw. MNLA). Durch die am 11. Januar begonnene Militärintervention Frankreichs und die anschließende Vertreibung der islamistischen Milizen aus zahlreichen Städten und Dörfern des Nordens ist das Projekt des Weißen Marsches historisch gleichsam überholt worden – nicht jedoch die mit ihm verknüpften grundsätzlichen Zielsetzungen. In diesem Sinne lädt die malische Sektion von Afrique-Europe-Interact am Samstag, den 4. Januar, zu einem so genannten Bürgermahl („déjeneur citoyen“) in Bamako ein, d.h. zu einer ganztägigen Versammlung, bei der die sozio-politischen Probleme Malis in breiter Runde debattiert und konkrete Empfehlungen für einen nachhaltigen Frieden erarbeitet werden sollen.
Zentrales Charakteristikum des Bürgermahls wird sein „inklusiver“ Zuschnitt sein, wie es seitens der OrganisatorInnen ausdrücklich heißt. Denn eingeladen sind Basisinitiativen aus dem gesamten Land. Dementsprechend werden sich auch 20 VertreterInnen von Tuareg-Communites sowie zahlreiche Vertriebene aus dem Norden an der Versammlung beteiligen. Darüber hinaus ist das der Grund, weshalb die Einladung für das Bürgermahl bewusst offen und niedrigschwellig formuliert ist. Nicht fertige Konzepte sind gefragt, vielmehr soll ein gemeinsamer Suchprozess initiiert werden – unbeschadet dessen, dass sich innerhalb von Afrique-Europe-Interact im Laufe des vergangenen Jahres eine gemeinsame Lesart der Krise herauskristallisiert hat (nachzulesen in einer von der europäischen Sektion Anfang Februar veröffentlichten Stellungnahme: http://www.afrique-europe-interact.net/index.php?article_id=920&clang=0).
Rückfragen beantworten ihnen gerne:
In Mali: Ousmane Diarra: 00223 66782111 (französisch) + Alassane Dicko: 00223 73043792 (französisch & englisch)
Deutschland: Olaf Bernau: 015152527776
Weitere Hintergrundinformationen zum Bürgermahl:
Entsprechend des offenen Charakters der anvisierten Versammlung werden in der dreiseitigen Einladung zum Bürgermahl lediglich einige Ausgangspunkte für die gemeinsame Debatte benannt – unter anderem die folgenden:
a) Die Tatsache, dass sich im Norden Malis bereits seit 2003 Schritt für Schritt islamistische Kräfte festsetzen konnten (als Voraussetzung für die zusammen mit Tuareg-Rebellen erfolgten Eroberungen im vergangenen Jahr), hat vor allem mit massiver Korruption seitens des im März 2012 abgesetzten Präsidenten Amadou Toumani Traoré zu tun. Denn seine Regierung hat Islamisten bei ihren Schmuggelgeschäften, Entführungen und Schutzgelderpressungen von MigrantInnen jahrelang gewähren lassen, ja war selber zutiefst in den Drogenhandel involviert. Erforderlich ist daher eine Regierung, die sich tatsächlich an den Interessen der lokalen Bevölkerung orientiert – ein Ansinnen, das nicht zuletzt bedeutet, die massive Veruntreuung öffentlicher Gelder zu stoppen. Erst, wo dies gewährleistet ist und der Staat seiner Verantwortung nachkommt, öffentliche Infrastruktur zur Verfügung zu stellen (einschließlich Sicherheit für die lokale Bevölkerung), wird islamistischen Kräften früher oder später der Boden entzogen.
b) In sämtlichen Phasen des Konflikts ist es zu massiven Menschenrechtsverletzungen gekommen: Zunächst durch die Tuareg-Rebellen der MNLA, sodann die islamistischen Kräfte, schließlich durch einzelne Einheiten der malischen Armee, die im Zuge der Rückeroberung des Nordens immer wieder mutmaßliche Kollaborateure brutal misshandelt oder getötet haben, darunter insbesondere arabischstämmige Menschen sowie Angehörige der Tuareg. Vor diesem Hintergrund wird in der Einladung ausdrücklich vor einem sogenannten „Amalgam“ gewarnt, also vor der Ineinssetzung von Rebellen, Terroristen und Drogenhändlern mit Tuareg oder Arabern. Dies wird zudem mit der Forderung nach einem interkommunitären Dialog verbunden, der auf drei Ebenen stattfinden müsse: Unter den Tuareg selbst (auch mit Blick auf die Diskriminierung schwarzer Tuareg – den sogenannten Bellah), unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Nordens sowie unter der gesamten Bevölkerung Malis. Ziel eines solchen Dialogs sei ein neuer „sozialer Vertrag“ zwischen Bevölkerung und Regierung bzw. der gesamten politischen Sphäre, so ein Vertreter der malischen Sektion von Afrique-Europe-Interact.
c) Auf Druck der internationalen Gemeinschaft hat die Übergangsregierung in Mali zwar eine 33-köpfige Kommission für Versöhnung und Dialog eingerichtet, diese allerdings fast ausschließlich mit Akteuren aus dem bisherigen politischen Establishment besetzt. Insofern wird in der Einladung eine echte Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen bei der Wiederherstellung eines republikanisch und laizistisch orientierten Mali gefordert – unabhängig von Ethnie, Hautfarbe oder Religion. Anderfalls sei sozialer Zusammenhalt als Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden kaum vorstellbar.
d) Die internationale Staatengemeinschaft hat die Wiederaufnahme der im März 2012 gestoppten Entwicklungszusammenarbeit mit Mali davon abhängig gemacht, dass im Juli 2013 Wahlen abgehalten werden (Hintergrund ist, dass seit dem von großen Teilen der Bevölkerung begrüßten Putsch gegen den vormaligen Präsidenten Amadou Toumani Traoré lediglich eine Übergangsregierung im Amte ist). Dieser frühe Wahltermin wird in Mali allerdings heftig kritisiert: Erstens weil noch überhaupt nicht die erforderlichen organisatorischen Voraussetzungen gegeben sind, unter anderem ein Wahlregister, das die Teilnahme aller Wahlberechtigten garantiert. Zweitens weil ein früher Wahltermin neue politische Akteure benachteiligt (weil diese anders als das politische Establishment länger brauchen, um eigene Kandidaten aufzustellen). Drittens weil im Juli Hauptregenzeit ist und die Menschen in erster Linie mit Landwirtschaft zu Gange sind und viertens weil die malische Bevölkerung diesen Termin nicht selbst ausgesucht hat. Sie favorisiert stattdessen einen späteren Termin, insbesondere um eine Debatte über die grundlegenden Probleme der malischen Gesellschaft zu eröffnen und somit die Voraussetzung für einen wirklich gehaltvollen Wahlkampf zu legen.
Grundsätzlich soll das Bürgermahl lediglich der Auftakt für einen langfristigen Organisierungsprozess innerhalb der malischen Zivilgesellschaft sein. Insofern ist nicht nur die Erstellung eines konkreten Forderungskatalogs an die Übergangsregierungs geplant (mit der Kernforderung, den Wahltermin zu verschieben), vielmehr sollen auch weitere Folgetreffen stattfinden.