13.05.2020 | Trotz Corona: Wüstenabschiebungen (Presseerklärung AEI/Alarme Phone Sahara)
Trotz Corona-Krise – Abschiebungen aus Algerien und Libyen nach Niger +++ Quarantäne in der Wüste +++ Zahlreiche Migrant*innen und Geflüchtete in IOM-Lagern gestrandet +++ Europäische Staaten müssen Mitverantwortung übernehmen!
Obwohl in der Corona-Krise auch zahlreiche afrikanische Staaten ihre Grenzen geschlossen haben und schwere Auswirkungen der Pandemie für die Bevölkerung befürchtet werden, kommt es nach vorliegenden Berichten weiterhin zu Abschiebungen und Pushbacks aus Nachbarstaaten in den Niger. In dem Land selbst sitzen zahlreiche Migrant*innen und Geflüchtete in Transit-Lagern der Internationalen Organisation für Migration (IOM) fest, unerträgliche Lebensbedingungen und Intransparenz sorgen für Proteste.
Laut Berichten der Menschrechtsorganisation Alarme Phone Sahara fanden in Algerien auch im April weitere Abschiebungen vor allem nigrischer Staatsbürger*innen an die mitten durch die Wüste gehende algerisch-nigrische Grenze statt – offenbar handelte es sich um inoffizielle Abschiebungen, die nicht mit den nigrischen Behörden abgestimmt wurden. Nach Beobachtungen von Alarme Phone Sahara, die sich auch mit den Zahlen der IOM decken, befanden sich zuletzt mehrere hundert aus Algerien abgeschobene Menschen in zweiwöchiger Quarantäne in der von der IOM betriebenen Aufnahmestation in dem Grenzdorf Assamaka – unter Bedingungen, die in keinster Weise den Bedürfnissen von Menschen angemessen sind, die nach gewaltvollen Abschiebeerfahrungen häufig verletzt, krank und traumatisiert sind.
Von der libyschen Grenze wurden Anfang April laut IOM 256 Menschen in die nigrische Stadt Agadez gebracht, nachdem sie zuerst von libyscher Seite abgewiesen und anschließend von nigrischen Sicherheitskräften gestoppt und aus dem Grenzgebiet wegtransportiert wurden. Diese Menschen mussten sich auf Veranlassung der IOM im Stadion von Agadez in zweiwöchige Quarantäne begeben – unter Bedingungen, die offenbar so schlecht waren, dass eine Gruppe von 43 Menschen laut Bericht der unabhängigen Zeitung Aïr Info nach einigen Tagen aus dem Stadion flüchtete.
Für Unmut sorgt vor allem, dass ihnen nach der Abschiebung in den Niger im Rahmen der Corona-bedingten Grenzschließungen sogar die Rückkehr in ihre Herkunftsländer verwehrt ist und dass seitens der IOM weder erkennbare Lösungsversuche noch eine transparente Kommunikation mit den betroffenen Menschen stattfinden. Eine ebenfalls in Agadez festsitzende Gruppe von Migrant*innen und Geflüchteten aus Mali hat sich daher in einer Videobotschaft an die malische Gesellschaft und den malischen Präsidenten gewandt und fordert dringend, ihr die Rückkehr zu ermöglichen.
Aus Sicht von Afrique-Europe Interact und Alarme Phone Sahara zeigen diese Berichte, dass im Zeichen der Corona-Krise das von den EU-Staaten aufgebaute und finanzierte Grenzregime zur Falle für viele Menschen geworden ist, die nun weder an einem sicheren Ort ankommen noch in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Dass Algerien und Libyen in der Corona-Krise Menschen in den Niger und andere afrikanische Länder abschieben, ist zudem als direkte Fortsetzung der Migrationspolitik der EU-Staaten zu betrachten, die jahrelang große Geldsummen investiert haben, um die Maghreb-Länder unter Inkaufnahme schwerster Menschenrechtsverletzungen für die Abwehr von Gefüchteten und Migrant*innen aufzurüsten.
Auch im Niger wurden insbesondere auf Initiative von Deutschland jahrelang viele Millionen Euro investiert, um die Menschen bereits zwischen Sahel und Sahara an der Weiterreise Richtung Nordafrika zu hindern. Es ist deshalb auch als Armutszeugnis zu werten, dass sich die IOM (die großzügige Finanzierungen aus EU-Töpfen erhält) außerstande sieht, für die in ihren Lagern gestrandeten Menschen ein Minimum an menschenwürdigen Lebensbedingungen und einen angemessenen Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Ebenso wenig ist es verständlich, warum bislang kaum Anstrengungen für diejenigen Menschen unternommen wurden, die in den Lagern im Niger feststecken und auf eigenen Wunsch in ihre Herkunftsländer zurückkehren wollen. Denn ähnlich wie auf den griechischen Inseln drohen auch in den Lagern im Niger katastrophale Folgen für die betroffenen Menschen im Falle einer massenhaften Ausbreitung des Corona-Virus.
Und noch etwas sollte aus Sicht von Afrique-Europe-Interact und Alarme Phone Sahara nicht ignoriert werden: Die Tatsache, dass selbst in Zeiten von Corona Menschen auf den lebensgefährlichen Sahel-Sahara-Migrationsrouten unterwegs sind, ist nur vor dem Hintergrund der sich immer weiter zuspitzenden globalen Ungleichheit erklärbar. Das ist Grund, weshalb Afrique-Europe-Interact und Alarme Phone Sahara die europäischen Staaten in der Pflicht sehen, Lösungen für die in Lagern in Staaten wie dem Niger gestrandeten Menschen anzubieten. Sie sollten vor allem die Migrant*innen und Geflüchteten, die aus eigener Entscheidung zurückkehren wollen, aktiv unterstützen und Mittel für medizinisch sichere Rücktransporte bereitstellen (nicht anders, als das mit europäischen Tourist*innen der Fall gewesen ist). Zur Lösung muss aber auch die Evakuierung blockierter Migrant*innen und Geflüchteter in Länder gehören, wo sie sicher und in Menschenwürde leben können, unter anderem in Länder der Europäischen Union.
Insgesamt sprechen sich das transnationale Netzwerk Afrique-Europe-Interact und die Menschrechtsorganisation Alarme Phone Sahara dafür aus, dass die Losung “Leave noone behind“ („lasst niemanden zurück“) für alle Geflüchteten und Migrant*innen zu gelten habe – ob in den Transitlagern der IOM in Niger, in den EU-Hotspot-Lagern auf den griechischen Inseln oder in Erstaufnahmezentren in Deutschland oder Österreich.
Für Rückfragen: info@afrique-europe-interact.net, Telefon: 015152527776