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14. April 2020 | Togo: Interview mit Faustin Kodjon

Faustin Kodjon studiert Jura an der Universität von Lomé. Er ist Mitglied der Oppositionspartei Force Democratique de la Republique (FDR) sowie Sympathisant des Zivilgesellschaftlichen Bündnisses Togo Debout, mit dem Afrique-Europe-Interact zusammenarbeitet.

Wie ist deine Einschätzung der aktuellen Situation bezüglich Corona in Togo?

Vielen Dank für die Frage. Wie in vielen Ländern ist das Coronavirus in Togo sehr real und das, seitdem am 05. März 2020 eine Frau vom nationalen Gesundheitsinstitut (Institut National d'Hgiène) positiv getestet wurde. Seit diesem Datum stiegen die Fallzahlen in Togo weiter an. Heute, am 7. April, gibt es 65 bestätigte Coronafälle in Togo und allein am gestrigen Tag wurden 14 neue Fälle bekannt gegeben. 23 der 65 Erkrankten konnten jedoch bereits geheilt werden.

Dieser sprunghafte Anstieg der Fallzahlen ist vor allem deshalb beunruhigend, weil Togo nicht ein modernes, gut ausgestattetes Gesundheitszentrum besitzt. Der beste Beweis dafür ist, dass bis vor kurzem kein einziges Beatmungsgerät verfügbar war. Erst heute morgen wurde von einem Arzt aus Lomé im Radio berichtet, der die Ankunft von nur sieben Beatmungsgeräten bestätigen konnte – von 50, die die Regierung eigentlich bestellt hatte. Schlimmer noch: Das erwähnte Krankenhaus, zur Zeit das einzige mit Beatmungsgeräten, besitzt nach Auskunft des Arztes nur 200 Betten. Und selbst diese Zahl erscheint verglichen mit der Realität in Togo noch zu niedrig. In dieser Situation befürchte ich ein Massensterben, wenn nicht sobald wie möglich weitere Maßnahmen getroffen werden.

Welche Maßnahmen wurden bereits getroffen?

Als am 5. März der erste Fall auftrat, ordnete die Regierung die Schließung der Land-, Luft- und Seegrenzen zu den angrenzenden Ländern an. Darauf folgte die Schließung von Schulen, der zwei Universitäten des Landes sowie von Kirchen und Moscheen. Anschließend wurden zusätzliche Maßnahmen getroffen wie Vorschriften zum Tragen von Masken und Händewaschen mit Seife sowie die Abriegelung von Städten wie Tsévié, Kpalimé, Atakpamé und Sokodé. Und, da dies noch nicht ausreichend ist, hat Staatschef Faure Gnassingbé in einer Ansprache am 1. April einen dreimonatigen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Damit verbunden ist eine Ausgangssperre von 20:00 abends bis 6:00 morgens die ebenfalls für 3 Monate gültig ist, sowie bis auf weiteres die Einschränkung der Reisefreiheit innerhalb des Landes und die Begrenzung der Passagiere pro Fahrzeug im städtischen Nahverkehr. Außerdem wurde ein Verbot des Personentransports auf Motorradtaxis, auch bekannt als “Zémidjan”, erlassen, aber dann aufgrund von Unruhen vorübergehend wieder aufgehoben. Des Weiteren hat die Regierung die Freilassung von 1048 gefangenen in die Wege geleitet, um eine Ausbreitung des Virus in den Gefängnissen zu verhindern.

Wie regierst du persönlich auf diese Maßnahmen? Empfindest du sie als existenzbedrohend? Gibt es eine Form der Unterstützung?

Das Coronavirus ist eine große Gefahr für die gesamte Menschheit. Daher ist es für jeden einzelnen Bürger von äußerster Dringlichkeit, die von der WHO empfohlenen und von unserer Regierung angekündigten Maßnahmen einzuhalten. Ich persönlich halte diese Maßnahmen wichtig für unser Überleben. Jedoch möchte ich die Regierung auffordern, weiter zu gehen und weitere geeignetere Maßnahmen zu ergreifen , wie die systematische Schließung von Märkten und verpflichtende häusliche Quarantäne. Danach sollte eine allgemeine Zählung der Bevölkerung stattfinden, um dieses Übel, das Virus, einzudämmen und seine Ausbreitung zu verhindern.

Die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen an sich stellen keine Bedrohung unserer Existenz dar. Sie werden zweifellos dazu beitragen, diese Pandemie zu bekämpfen und zu besiegen. Jedoch wäre es für viele existenzbedrohend, wenn die Regierung keine konsequenten Begleitmaßnahmen wie die Verteilung von Nahrungsmitteln, Geldtransfers an die bedürftigsten Bevölkerungsgruppen usw. ergreift. Was diese Form der Unterstützung betrifft: obwohl der Staatschef in seiner Rede vor der Nation am 1. April versprochen hat, Wasser und Strom für bestimmte soziale Gruppen kostenlos zur Verfügung zu stellen, ist bisher keine derartige Hilfe verfügbar. Jeder Haushalt muss selbst mit der Krise zurechtkommen, Schutzmasken sind Mangelware und die Situation wird angesichts der um sich greifenden sozialen Not immer komplizierter. Demnach ist für Togo das Schlimmste zu befürchten.

Inwiefern kommt es bei der Durchsetzung der Maßnahmen zu Polizeigewalt?

In unserem Land kommt es immer wieder zu Polizeigewalt und leider auch in der Durchsetzung des sogenannten social distancing. Für die Durchsetzung der von der Regierung verordneten Ausgangssperre werden 5000 Polizeibeamten für nächtliche Kontrollen eingesetzt. Bei diesen Kontrollen greifen manche Polizeibeamte unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen an, vergewaltigen oder schlagen sie und verletzen sie auf blutige Art und Weise. Trotz eines Ordnungsrufes des Ministers für innere Sicherheit, General Yark Damehane, ist festzustellen, dass diese hinterhältigen und streitsüchtigen Polizeikräfte Personen, die sich zu Recht oder zu Unrecht ab 20 Uhr draußen aufhalten, weiterhin mit körperlicher Gewalt und andere Misshandlungen begegnen.

Glaubst du, dass die Coronakrise von der Regierung ausgenutzt werden könnte?

Normalerweise sollte das nicht der Fall sein. Schließlich handelt es sich um eine ernste Krise, die eine angemessene Antwort verdient. Das bedeutet, dass die Regierungspartei und die Opposition zusammenarbeiten sollten, um das Virus – den unsichtbaren Feind – so bald wie möglich einzudämmen.
Aber leider sieht die Realität ganz anders aus. Denn das Coronavirus erreichte Togo genau nach den Präsidentschaftswahlen. Zur Erinnerung: Gemäß den vom Verfassungsgericht verkündeten Endergebnissen wurde der scheidende Präsident Faure Gnassingbé mit 70,78% der Stimmen, gegenüber 19,36% der Stimmen für seinen direkten Gegner Dr. Agbeyomé Messan Kodjo, für eine vierte Amtszeit wiedergewählt.

Agbeyomé Kodjo ist jedoch überzeugt mit mehr als 60% der Stimmen der wahre Gewinner der Wahl zu sein. Diese Zahlen des Verfassungsgerichts, die vom Erzbischof von Lomé Monsignore Kpodzro als “sowjetisch” bezeichnet werden, führten zu einem Disput nach den Wahlen, in dem Agbeyomé Kodjo Unregelmäßigkeiten in der Durchführung der Wahlen anprangerte und sich selbst zum Sieger erklärte. Daraufhin wurden von Seiten der Regierungspartei ein Premierminister und ein Außenminister ernannt. Dies löste einen heftigen Streit aus und gewaltige Demonstrationen kündigten sich an. Denn erwartungsgemäß ließ die Regierung das Haus des Kandidaten Agbeyomé Kodjo vom Militär belagern (was später wieder aufgegeben wurde) und hob seine parlamentarische Immunität auf, unter dem Vorwand, dass er die staatliche Sicherheit gefährden würde. Es überrascht nicht, dass die Staatsanwaltschaft den Fall aufgriff und Herr Agbeyomé am 25. März 2020 vom Nachrichten- und Ermittlungsdienst (Service des Renseignements et d'Investigation – SRI) vorgeladen wurde. Wegen seines Gesundheitszustands wurde er jedoch von seinen Anwälten vertreten. Morgen, am Mittwoch den 8. April, wird er im gleichen Fall vom gleichen Ermittlungsdienst erneut angehört werden.

In Anbetracht all dessen kann man annehmen, dass unsere Regierung das Coronavirus nutzen will, um die Demonstrationsfreiheit und alle andere Handlungen, die drauf abzielen dieses Recht einzufordern, einzuschränken. Denn Agbeyomés Verhaftung würde der Regierung helfen, jeglichen Widerspruch bezüglich des Wahlergebnisses und Forderungen nach Protest zu verhindern. In der jetzigen Coronakrise könnten sich die Vorwürfe der Regierung gegenüber Agbeyomé, die tatsächlich willens ist, ihn ins Gefängnis zu werfen, weiter verhärten. Deshalb halten einige sachkundige Personen die verhängte Ausgangssperre eher für eine politische als eine gesundheitliche Maßnahme.

Was kannst du uns über die Gesundheitsversorgung in Togo sagen?

Babababa! Togo ist das einzige Land in Westafrika, in dem das Gesundheitssystem nur schlecht oder gar nicht vorhanden ist. In einem Land, in dem es keine modernen Gesundheitsstrukturen gibt, in dem es nicht einmal einen einzigen Scanner gibt, in dem die Pädiatrie nur dem Namen nach existiert, in dem das medizinische Personal keine Arbeitsmittel hat, können wir nicht wirklich von Gesundheitsversorgung sprechen. Was das Gesundheitssystem betrifft, muss einfach gesagt werden, dass die Togolesen für sich selbst sorgen, anstatt versorgt zu werden.

Gibt es eine Möglichkeit sich vor dem Virus zu schützen?

Die einzige wirksame Möglichkeit, den Menschen zu helfen, sich vor diesem Virus zu schützen, ist und bleibt im Moment die gewissenhafte Einhaltung der von unserer Regierung und der WHO empfohlenen Maßnahmen. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen muss es auch ein allgemeines Bewusstsein in der Bevölkerung geben. Um das zu erreichen muss die Regierung jedoch mehr kommunizieren, um den Menschen, vor allem in den ländlichen Gebieten, zu helfen den Ernst der Lage zu verstehen.

Sollte ich mich infizieren, was ich nicht hoffe, werde ich mich bei den Behörden des Landes zur Behandlung melden. Aber für welche Versorgung und in welchem Gesundheitssystem???

Hast du persönlich Angst vor einer Infektion oder davor ins Krankenhaus zu müssen?

Verständlicherweise ist jeder besorgt über diese Krankheit. Wenn ich mich jedoch an die Richtlinien und Maßnahmen zur Eindämmung des Virus halte, habe ich persönlich keine Angst vor einer Infektion. Auch deshalb bleibe ich bereits seit mehr als zwei Wochen zu Hause.

Und ja! Ich habe wirklich Angst davor, in eines unserer Gesundheitszentren zu gehen, weil es an einer qualitativ hochwertigen Versorgung mangelt. Die Regierung muss ernsthaft darüber nachdenken das zu ändern. Anderseits habe ich nie Vertrauen in unsere Krankenhäuser gehabt.

Was sollte jetzt getan werden?

Kurzfristig muss unsere Regierung andere, wirksamere Maßnahmen ergreifen, um das Risiko einer Ansteckung begrenzen zu können. In diesem Zusammenhang wäre eine allgemeine häusliche Quarantäne mit flankierenden Maßnahmen die beste Lösung. Langfristig müssen unsere Staats- und Regierungschefs tief über unsere Gesundheitspolitik nachdenken und das Land mit modernen Gesundheitszentren ausstatten, die gut ausgerüstet sind, um die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.

Auf internationaler Ebene ist es nötig, dass alle Länder zusammenarbeiten, um eine strengere, wirksamere und umfassendere Reaktion auf diese Pandemie zu gewährleisten. Idealerweise sollte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die betroffenen Länder finanziell unterstützen, mit einer besonderen Berücksichtigung Afrikas, wo es zu einem Massensterben kommen könnte. In Zukunft wird die WHO eine viel rigorosere Gesundheitspolitik entwickeln müssen, insbesondere gegenüber afrikanischen Ländern wie Togo, wo Krankenhäuser eine Todesfalle sind.