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05. April 2020 | Niger: Bericht von Mokamit

Mokamit lebt in Niamey, der Hauptstadt des Niger.

Die Zahl der mit Covid-19 infizierten Fälle im Niger steigt rasant an. Bald ist der Niger einsamer Spitzenreiter in Westafrika bei der Verbreitung der Krankheit. Der erste Fall im Niger wurde am 19. März verzeichnet und bis zum 09. April gibt es bereits 342 bestätigte Fälle, darunter 11 Todesfälle und 28 Geheilte. Damit stellt sich die Frage: Wie fähig ist der Staat tatsächlich, diese Krise zu managen? Und wir wissen längst, wie prekär das nigrische Gesundheitssystem ist.

Als Land ohne Meerzugang hat der Niger seit dem 18. März seine Grenzen geschlossen und seit dem 21. März eine Ausgangssperre für die Nacht zwischen 19 Uhr und 7 Uhr verhängt. Diese Maßnahmen gefährden die ohnehin schwache Wirtschaft ernsthaft. Die Maßnahmen wurden in Afrika allgemein und auch im Niger verspätet getroffen. Insbesondere im Niger schienen zuerst Maßnahmen im Vordergrund zu stehen, die politischen Zielen der Regierung dienten. Zuerst wurde die Versammlung von mehr als 50 Personen verboten und diese Maßnahme genutzt, um eine Demonstration der Zivilgesellschaft zu verhindern – und dies lange bevor ein Corona-Fall im Land bestätigt wurde. Gleichzeitig wurde paradoxerweise ein Journalist, der über einen Verdachtsfall informiert hatte, inhaftiert und erst freigelassen, als sich die Informationen als wahr herausstellten. All dies zeigt die mangelnde Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit der Behörden im Umgang mit dem Corona-Virus, die der ernsten Bedrohung durch diese Pandemie nicht gerecht werden.

Der Journalismus reduziert sich derzeit darauf, ein Sprachrohr für Regierungsinformationen zu sein, anstatt kritische Fragen zu stellen, die zusätzliches Wissen gewinnen und es den Menschen ermöglichen, ihr Recht auf Information voll und ganz wahrzunehmen, ohne durch die Verbreitung von (fake) Nachrichten in Panik zu geraten. Gerade jetzt ist es zum Beispiel wichtig nach dem Protokoll für den Umgang mit einem Verdachtsfall zu fragen, zu fragen, ob die nigrischen Lager für Migrant*innen und Geflüchtete oder die Gefängnisse spezielle Dispositive [Maßnahmenbündel] haben und welche Kapazitäten die nigrische Regierung tatsächlich hat, um diese Krise zu bewältigen.

Die nigrische Regierung hat in ihrer Reaktion auf die Pandemie einen Plan zur Unterstützung vulnerabler Menschen entworfen und die Begnadigung von 1.540 Gefangenen aus humanitären Gründen und zur Entlastung der Gefängnisse veranlasst. Dadurch wurde auch der Oppositionsführer Hama Amadou befreit. Sechs Aktivisten, die in Folge der verbotenen Demonstration in Untersuchungshaft genommen und willkürlich in verschiedene Gefängnisse meist in den staatlichen Notstandsgebieten verteilt wurden, bleiben dagegen inhaftiert. Um diese Repression noch Corona-gemäß zu krönen, ordnete das Justizministerium ein dreimonatiges Besuchsverbot bei den Gefangenen an. Diese Entscheidung scheint die Absicht zu verfolgen, alle Beziehungen zu diesen Aktivisten zu unterbinden, denn sie ist die einzige Maßnahme gegen die Ausbreitung des Corona-Virus, die von vornherein für drei Monate veranschlagt wurde. Alle anderen Maßnahmen wurden je nach Entwicklung der Situation für maximal zwei Wochen mit Verlängerungsoption angeordnet.

Im Handumdrehen bringt diese Krise alle relevanten Debatten unseres Landes über so wichtige Themen wie die Veruntreuung von Geldern des Verteidigungsministeriums, die Straflosigkeit, die von Richter*innen und Anwält*innen geforderte Gewaltenteilung durch einen „Tag ohne Recht“ und die so unklare Sicherheitslage im Land zum Schweigen. Die Welt kann und wird den Kampf gegen diese Gesundheitskrise sicherlich gewinnen, aber die Sahelzone allgemein und auch der Niger könnten danach von anderen, bereits bestehenden Krisen betroffen sein, die zweifellos auch von Covid-19 profitieren werden, um anzuwachsen.

Übrigens frönt der durchschnittliche Nigrer auch Verschwörungstheorien über Krankheiten, die in Afrika verbreitet sind und sich leider oft als ernsthaft erweisen – auch wenn dies in Wahrheit der Bekämpfung dieser Weltkrise nicht gerade förderlich ist. Aber es ist beunruhigend, wenn Forscher großer europäischer Institutionen (Inserm) auf internationalen Kanälen auf chauvinistische Weise vorschlagen, Afrika zu einem Testgebiet zu machen, ohne die Betroffenen einzubeziehen. Generell sind die Ungleichheiten in der Verantwortung für bzw. in der Verwaltung der Weltangelegenheiten immens, denn die Afrikaner*innen werden in allen großen Themen kaum konsultiert. Auch in der Corona-Krise sind die Afrikaner*innen außen vor, obwohl Corona doch keine Grenze kennt, weder reich noch arm, weder schwarz noch weiß. Er betrifft die Staaten gleichermaßen. Dennoch wird Afrika bevormundet, als ewig hilfsbedürftig betrachtet, wenn die Helfenden sich online treffen, um zu sehen, wie man Afrika „helfen“ kann, anstatt über internationale Solidarität zu sprechen. Angesichts dieser Tatsache kann niemand auf ein Nachdenken über das Sprichwort verzichten: „Alles, was für mich ohne mich getan wird, ist gegen mich.“