Vorwort von Jean Ziegler zum Buch
Der bekannte Publizist und ehemalige UN-Sondergesandte für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler hat für das Buch das Vorwort verfasst, in dem er schildert, warum er das Buch «Mein Weg vom Kongo nach Europa, Zwischen Widerstand, Flucht und Exil» (1) von Emmanuel Mbolela in der heutigen Zeit so wichtig und lesenswert findet.
Es war ein sonniger Nachmittag im Jahr 2000, als ich mit dem Flüchtlingspfarrer Cornelius Koch (2) in einem kleinen Café am Ufer der breit dahin fließenden, im Sonnenlicht flimmernden Rhone saß (…) und wir über die zynische Kaltblütigkeit der Hüter der Festung Europa redeten, ihre kriminellen Abweisungs-Strategien an den Außengrenzen sowie über die Hunderten von Kindern, Männern und Frauen, die all monatlich im Mittelmeer ertranken. Plötzlich sagte Cornelius: «Für Tausende heute ist Flucht Notwehr.» Notwehr – das gilt in fast paradigmatischer Weise für Emmanuel Mbolela und viele Tausende andere Menschen aus Zentralafrika und anderen Weltgegenden, die mittels Flucht in die Festung Europa ihr Leben zu retten versuchen.
Das Buch ist von Dieter Alexander Behr glänzend übersetzt. Emmanuel Mbolela führt Protokoll, engagiert, zornig, aber immer außerordentlich präzis und lehrreich. Politische Analysen wechseln mit Erzählungen, Portraits und sehr lesenswerten Beschreibungen der verschiedenen Methoden der Repression ab, mit denen sich Beamte in den Durchgangsländern bereichern, europäische Behörden sich gegen jede Hilfeleistung an Verfolgte wehren (3). Und – dann in Holland – Behörden und Arbeitgeber, die die Flüchtigen ausnutzen und erniedrigen. Emmanuel Mbolela studierte an der Universität Mbujimayi im Kasai und engagierte sich im Widerstand gegen die Diktatur von Mobutu. Später schloss er sich der UDPS von Étienne Tshisekedi an, der den demokratischen Widerstand gegen das Kabila-Regime bis heute anführt. Nur knapp entging Emmanuel den Schergen des kongolesischen Geheimdienstes.
Sein Fluchtweg führte ihn über den Stanley-Pool ins benachbarte Brazzaville, dann nach Kamerun, Nigeria, Benin, Burkina Faso, Mali, Algerien und endlich Marokko. Von dort gelangte er nach längerer Zeit endlich nach Holland – und erlebte den europäischen Rassismus, die Ausbeutung und Diskrimierung. Vor wenigen Monaten war ich in Goma, der Großstadt am oberen Kivu-See. Die Stadt – so wie der ganze wunderschöne Kivu mit seinen dichten Wäldern, lieblichen Seen und unendlichen Savannen – ist seit Generationen eine durch Stammeskriege, Überausbeutung der Minen durch die internationalen Konzerne, einheimische Plünderung und Korruption verwüstete Gegend. In Goma gibt es praktisch kein funktionierendes Spital mehr. Die allermeisten Schulen sind geschlossen. Im 2.500 km westlich entfernten Kinshasa regieren Joseph Kabila und seine katangesische Clique. Gemäß UNO-Berichten stehen Kabila und seine politischen Handlanger im Verdacht, jährlich Millionen Euro an gestohlenem oder von den Minengesellschaften überwiesenem Korruptionsgeld auf ihre Schweizer Privatkonten verschoben zu haben. 2011 gewann Kabila durch Wahlbetrug – gemäß Aussage der UNO-Wahlbeobachter – die Präsidentschaftswahlen. Étienne Tshisekedi und die führenden Mitglieder der mächtigen Oppositionsbewegung UDPS wurden per Polizeiterror zum Schweigen gebracht. Gegenwärtig sind Kabila und seine Kumpanen gerade daran, die Verfassungsrevision durchs Parlament zu jagen, die Amtszeitbeschränkung abzuschaffen und so dem Marionetten-Präsidenten im Jahr 2015 eine «Neuwahl» zu ermöglichen.
Emmanuel Mbolelas Buch ist deshalb so beeindruckend, weil es nicht nur ein Buch der mutigen, detailgenauen Brandmarkung ist, sondern auch ein Buch der unausrottbaren Hoffnung. Ein Buch des Widerstandes, des Aufstandes des Gewissens. In Marokko half der Autor eine wirksame Hilfsorganisation für flüchtige Verfolgte zu schaffen. In Holland kämpft er heute gegen Diskriminierung und Rassenhass. Zusammen mit und zugunsten von vielen anderen Schicksalsgenossen. Régis Debray schreibt: «Die Europäer haben den Kolonialhelm abgelegt … aber darunter ist der Kopf kolonialistisch geblieben.» Gegen diesen Rassismus so vieler Europäer und ihrer staatlichen Behörden, der in der Flüchtlings-Abwehr-Politik heute kriminell und zuweilen mörderisch tätig wird, bedeutet Mbolelas Buch eine wichtige Waffe. Wir schulden ihm Bewunderung und uneingeschränkte, geduldige, totale Solidarität.
*Jean Ziegler, Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UNO-Menschenrechtsbeirates; zuletzt erschien von ihm das Buch: Wir lassen sie verhungern. Die Massenvernichtung in der Dritten Welt, Bertelsmann-Verlag, München, 2012
1. Aus dem Französischen von Dieter Alexander Behr, herausgegeben von Afrique-Europe-Interact, erschienen im Mai 2014 im Mandelbaum-Verlag, 224 Seiten, 19,90Euro, ISBN: 978385476-441-0
2. Michael Rössler und Claude Braun veröffentlichten eine sehr lesenswerte Biographie von Cornelius Koch: Ein unbequemes Leben: Cornelius Koch, Flüchtlingskaplan (Zytglogge Verlag, CH-Oberhofen b. Thun, 2011).
3. Er berichtet auf eindrückliche Weise von der Gewalt und der Ausbeutung während der Flucht, dabei kommt er immer wieder auf die besonders dramatische Situation von Mädchen und Frauen zu sprechen (Anm. der Red.)