Mai 2010 | Abschiebeagentur Frontex?
Eine der Aufgaben, für die Frontex bekannt ist, ist „interception“ (Abfangen) von MigrantInnen durch gemeinsame Patrouillen und Operationen an den EU-Grenzen. Aber eines der Hauptprobleme ist: Was machen EU-Mitgliedsstaaten mit den „abgefangenen“ MigrantInnen? Sie in das Nicht-EU-Land zurückzuschieben, aus dem sie kommen, ist nicht so einfach, wenn es kein Rückübernahmeabkommen gibt, insbesondere für TransitmigrantInnen. Außerdem gibt es Kritik von Menschenrechtsorganisationen, dass jedes „refoulement“ (Rückschiebung) von MigrantInnen, die „wirkliche“ Flüchtlinge/Asylsuchende sein könnten, illegal ist (siehe die Entscheidung der Anti-Folter-Kommission des Europarats gegen die Rückschiebungen nach Libyen durch gemeinsame Patrouillen mit Italien). MigrantInnen in ihre Herkunftsländer zurück zu schicken, ist oft noch schwieriger, wenn sie keine Papiere haben und/oder es kein Rückübernahmeabkommen gibt. Und Abschiebungen per Flugzeug sind teuer und führen oft zu Widerstand, nicht nur von „Abschüblingen“, sondern auch von Passagieren und Crewmitgliedern.
All dies sind Gründe, warum EU-Mitgliedsstaaten eine Reihe von Maßnahmen erfunden haben:
- MigrantInnen zu „identifizieren“ in Anhörungen mit Botschaften und dubiosen „Experten“ – aber es gab Proteste betroffener MigrantInnen und antirassistischer Gruppen, Druck auf Drittstaaten auszuüben, damit sie Kooperationsabkommen“ unterschreiben, – aber es gab und gibt Widerstand, auch von Regierungen, die ein Interesse an Rücküberweisungen ihrer StaatsbürgerInnen in EU-Ländern haben;
- „Joint Return Operations“ (gemeinsame Rückführungsoperationen) zu organisieren – aber es gab Demonstrationen und Aktionen auf Flughäfen wie 2008 in Hamburg, von wo mindestens acht Sammelabschiebungen in afrikanische Länder stattfanden, 2009 in London und 2010 in Wien, und gegen Fluggesellschaften wie Air Berlin, die im Juni 2009 Menschen nach Vietnam abschob nach Verhören in Polen und Deutschland mit Teilnahme der vietnamesischen Geheimpolizei und zwei Mitarbeitern von Frontex.
Frontex begann, solche Maßnahmen zu koordinieren und zu verbessern, durch Organisation von Fortbildungen zur Durchführung von Verhören und Charterabschiebungen und durch Personalaustausch. Seit 2006 ist Frontex direkt beteiligt bei Charterabschiebungen (ein Sammelabschiebeflug von Deutschland wurde hier beschrieben: http://www.zeit.de/2008/03/Abschiebeflug). 2009 koordinierte und (teil-)finanzierte Frontex 32 „Joint Return Operations“ von mindestens 1570 Menschen. Dies bedeutet eine Verdreifachung von Sammelabschiebungen seit 2007. Die meisten Flüge gingen in afrikanische Länder wie Nigeria, Kamerun und Gambia, einige nach Kosovo und Albanien, und Großbritannien und Frankreich versuchten auch gemeinsame Abschiebeflüge in den Irak und nach Afghanistan.
2009 gab Frontex 5,25 Mio. € für „Return cooperation“ (Rückführungs-Zusammenarbeit) aus, von denen 1,7 Mio. € für Verhöre benutzt wurden, um MigrantInnen zu identifizieren und Reisedokumente zu bekommen. Für 2010 wurde dieses Budget auf 9,341 Mio. € erhöht, und Frontex will doppelt so viele gemeinsame Abschiebeflüge organisieren wie 2009 und eigene Flugzeuge kaufen.
In Griechenland begann Frontex 2009 ein Projekt zum „return capacity building“ (Aufbau von Kapazitäten zur Rückführung), genannt Attica. „Das Ziel dieses Projekts war, Unterstützung zu geben bei der Identifizierung, Beschaffung von Reisedokumenten und Rückführung von Drittstaatsangehörigen mit illegalem Aufenthalt in ihre Heimatländer. Ein Schwerpunkt lag auch auf auf Rückführungen bezogene Prozeduren, um die Sachkenntnis zu steigern, und auf der Verbesserung der Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Das Pilotprojekt lief drei Monate lang, während dessen ein voll funktionsfähiges Rückführungs-Koordinationszentrum aufgebaut und die Kooperation mit den Botschaften Nigerias und Georgiens gepflegt wurde, um den Identifizierungsprozess ins Laufen zu bringen. Griechenland begann mit der Beteiligung an gemeinsamen Sammelabschiebungen nach Nigeria und Georgien mit 22 Abschüblingen. Das Projekt wird 2010 fortgeführt.“
Auf griechischen Inseln wie Lesbos und Samos geben sich Frontex-Mitarbeiter als Journalisten, Menschenrechtler oder Dolmetscher aus und versuchen so, die Staatsangehörigkeit von MigrantInnen ohne Papiere herauszubekommen und/oder zu ändern und das Alter von Minderjährigen heraufzusetzen, um ihre Abschiebung möglich zu machen. Neu ist, dass ein solches „Screening“ schon stattfindet, bevor MigrantInnen Asylanträge stellen können, was bedeutet, dass diejenigen, die in Europa nicht erwünscht sind, direkt nach der Ankunft zur Abschiebung aussortiert werden. Regierungen geben vor, damit die Bedingungen internationaler Menschenrechtsabkommen zu erfüllen, aber tatsächlich ist dies nur eine Modernisierung des repressiven und selektiven Migrationsregimes.
Aus: Transnational Newsletter Crossing Borders Newsletter Nr. 8, Mai 2010