Politische Zensur: EU-Einreiseverbote für KünstlerInnen-Kollektiv Fasokele
Erschienen im Juni 2013 in taz-Beilage von Afrique-Europe-Interact
Im Jahr 2009 wurden 10,7 Prozent aller weltweit bei deutschen Auslandsvertretungen gestellten Visa-Anträge zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland abgelehnt, wobei keinesfalls aus dem Blick geraten sollte, dass die regionalen Unterschiede beträchtlich sind: So wurden in Guinea 54 Prozent aller AntragstellerInnen zurückgewiesen, in der Demokratischen Republik Kongo 44 Prozent und im Senegal 41 Prozent. Grundsätzlich dürften diese Zahlen kaum überraschen. Denn Fakt ist, dass die mehr oder weniger restriktive Visapolitik lediglich das bürokratische Gegenstück zum knallharten und oftmals tödlichen Grenzregime an den Außengrenzen der EU darstellt – was wiederum der Grund dafür ist, weshalb mutmaßlich 99,9 Prozent aller potentiellen Visa-Anträge gar nicht erst gestellt werden.
Weniger bekannt ist jedoch, dass Visapolitik auch der politischen Zensur dient – nämlich immer dann, wenn es gilt, missliebige Stimmen mundtot zu machen. Beispielsweise wurde im April 2013 auf Betreiben Frankreichs Oumar Mariko aus Mali, Generalsekretär der Partei SADI („Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit“) die Einreise in die EU komplett verweigert, während Aminata Traoré – Ex-Kulturministerin Malis und eine der bekanntesten GlobalisierungskritikerInnen Westafrikas – lediglich ein auf Deutschland beschränktes Visum erhalten hat. Beide waren von der Rosa-Luxemburg-Stiftung eingeladen worden, um in Deutschland und Frankreich auf mehreren Veranstaltungen die Militärintervention Frankreichs bzw. die damit verknüpften Zielsetzungen einer kritischen Analyse zu unterziehen.
Doch auch weniger Prominente sind betroffen, etwa das panafrikanische KünstlerInnenkollektiv Fasokele, das auf Einladung von Afrique-Europe-Interact im Mai nach Deutschland hätte kommen sollen. Fasokele ist im Zuge der Bamako-Dakar-Karawane Anfang 2011 zu unserem Netzwerk dazugestoßen, seitdem haben sie in ihr meist auf öffentlichen Plätzen aufgeführtes Musik- und Theaterprogramm auch ein Stück über die Lebensgeschichte des in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Asylsuchenden Oury Jalloh integriert. Konkret war geplant, zusammen mit einer ebenfalls bei Afrique-Europe-Interact aktiven Performance-Künstlerin ein Theaterstück zum aktuellen Stand der afrikanisch-europäischen Beziehungen einzustudieren. Uraufführung hätte am 27. Juni im renommierten Kampnagel-Theater in Hamburg sein sollen, danach war eine Veranstaltungstournee durch Deutschland und Österreich vorgesehen.
Einziger Haken: Die deutsche Botschaft in Burkina Faso zweifelte die „Rückkehrbereitschaft“ der 4 eingeladenen Künstler an. Einerseits, weil sie aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern stammten und daher nicht in Burkina Faso verwurzelt seien, andererseits, weil sie über kein formelles Erwerbseinkommen verfügen würden, wie im Übrigen rund 80 bis 90 Prozent aller Menschen in Burkina Faso. Letzteres war allein deshalb absurd, weil es für den Fall fehlender „wirtschaftlicher Verwurzelung“ ein eigenständiges Antragsverfahren gibt, welches Afrique-Europe-Interact auch gewählt hatte. Danach darf die Einladung ausschließlich von Privatpersonen ausgesprochen werden, die eigens eine so genannte „Verpflichtungserklärung“ für den Fall unvorhergesehener Kosten bei der Ausländerbehörde unterschreiben müssen. Aber auch der Verweis auf die mangelnde Verwurzelung in Burkina Faso kommt einer eurozentristischen Projektion gleich, haben doch innerhalb Westafrikas die von europäischen Kolonialisten gezogenen Grenzen bis heute eine völlig andere Bedeutung als hierzulande. Es schien insofern auch folgerichtig, dass die mehrfach erläuterte panafrikanische Haltung von Fasokele keinen Eindruck hinterlassen konnte, also der Umstand, dass die Gruppe ihren Wirkungskreis primär in Afrika sehen würde. Denn Panafrikanismus und somit eine der wirkmächtigsten Ideen in der jüngeren afrikanischen Geschichte, sei nichts als „Esoterik“, wusste der deutsche Beamte in Ouagadougou zu berichten. Schließlich wurde in dem Ablehnungsschreiben der Botschaft noch nicht einmal ein öffentliches Interesse an dem Theaterstück zugestanden, so dass selbst eine Vielzahl ehrwürdiger Empfehlungsschreiben buchstäblich ins Leere laufen musste – unter anderem vom Goethe-Institut in Burkina Faso.
Es bleibt die keineswegs neue und dennoch skandalös anmutende Erkenntnis, dass Demokratie in Europa nicht selten dort aufhört, wo in aufklärerischer Absicht der „gefährliche Schleier des wirtschaftlichen Analphabetismus“ (Aminata Traoré) zerissen werden soll.