Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

15. Januar 2020 | Trauer um Idrissa Cissé (Mali)

Am 15. Januar ist unser Freund und Mitstreiter Idrissa Cissé in Bamako (Mali) gestorben. Idrissa hat Afrique-Europe-Interact in Mali von Anfang mitaufgebaut. Sein Tod ist persönlich und politisch ein großer Verlust für uns – möge er in Frieden ruhen!

Nachruf: Idrissa ist bei christlichen Lehrern aufgewachsen, war aber Muslime. Er hat sich als Malinke empfunden, und meinte, dass er nur deshalb so gut mit den Bambara zusammenleben könnte (für die Nicht-Malier*innen: Malinke und Bambara sind beides Mande-Sprachen, aber es handelt sich nicht um die genau gleiche Sprache und nicht die genau gleiche Kultur). Später war Idrissa in Frankreich, dort hat er in einem großen besetzten Haus in Paris mit anderen Sans Papiers gelebt – und in diesem Sinne hat er sich als Afrikaner und als Europäer gefühlt. Er hatte vor dem Haus einen kleinen Laden für Zigaretten, Telefonkarten etc – dort hat er auch für andere Migrant*innen (die nicht französisch gesprochen haben) offizielle Briefe übersetzt oder geschrieben. Doch 2008 wurden Idrissa und viele andere aus dem Haus abgeschoben. Er war dann bei der Assoziation der Abgeschobenen (AME) dabei, hat aber später seinen Verein ECK/Association Espoir de Cachan Kalifa aufgebaut (der Name war der Name des Hauses in Paris). In Mali hat Idrissa vor allem die Kontakte in Kita aufgebaut – jener Region, aus der er ursprünglich gekommen ist. Am wichtigsten war ihm sein Kooperation in Soukoutadala – ein Dorf, das er zu seiner Ersatzheimat gemacht hat. Denn in Soukoutadala hat er sich wohlgefühlt, dort hat er ein Grundstück bekommen und dort wollte er alt werden. Vor diesem Hintergrund hat auch Afrique-Europe-Interact 2016 seine Kooperation mit Soukoutadala begonnen. Die Kooperation mit Soukoutadala ist noch nicht beendet, aber wir werden sie im Namen von Idrissa fortsetzen, auch wenn ich nicht weiß, ob es ohne Idrissa wirklich geht. Idrissa war auch ein hervorragender Koch. Zudem war Idrissa ein Feminist, wie er immer betont hat. Manchmal hat er auch gesagt, dass er eine Frau wäre, aber das war eher Spaß. Der ernsthafte Kern war, dass er sich immer für die Rechte von Frauen stark gemacht hat. Idrissa hat nicht studiert, aber er war sehr gebildet, denn er hat sich für alles interessiert – gerade weil er zwischen den Kulturen gelebt hat (zwischen Christen und Muslimen, zwischen Malinke und Bambara, zwischen Afrikanern und Europäern…). Idrissa war insofern auch ein Weltbürger, ein Pazifist – ein Migrant zwischen den verschiedenen Welten. Und das ist auch der Grund, weshalb ihm politisch die Rechte von Migranten und Abgeschobenen wahrscheinlich am wichtigsten waren. In gewisser Hinsicht war Idrissa auch ein Anarchist – im besten Sinne des Wortes: Die Traditionen waren ihm sehr wichtig, aber sie waren nicht heilig. Er war bereit, alles in Frage zu stellen, er hatte keine Angst, selbstständig zu denken. Oft war es nicht möglich, alles zu verstehen, was er gesagt hat, aber sein Herz war groß und das hat man gespürt. Ökologie war für ihn auch ein wichtiges Thema. Deshalb wollt er auch in Soukoutadala ein ökologisches Feld anlegen. Hierfür hat er Pferde gekauft und ist mit den Pferden mehrere hundert Kilometer in die Region Kita gelaufen – das war erst letztes Jahr. Und er hatte auch andere Pläne: Mit jungen Abgeschobenen wollte er in Sitanikoto ein kleines Straßenrestaurant aufmachen, denn wie gesagt: Er war ein toller Koch. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen, denn Idrissa war schon länger krank. Wahrscheinlich hatte er bereits vor seiner Abschiebung einen Bandscheibenvorfall. Doch dieser Bandscheibenvorfall konnte nicht behandelt werden. Deshalb hatte er seit langem sehr starke Schmerzen – und weil das so war, hat er seit 10 Jahren jeden Tag wahnsinnig viel Schmerzmittel genommen. Auch hier hat er gesagt, dass er ein Wanderer zwischen den Welten ist – zwischen westlicher Medizin und Naturheilkunde (beides hat er sehr geschätzt). Ich weiß nicht, welche Konsequenzen die Tabletten hatten, aber gesund war das nicht, denn er hatte ständig wahnsinnige Schmerzen – nicht nur im Rücken, sondern auch im Magen. Umso beeindruckender war, dass er ein so optimistischer Mensch geblieben ist. Wir haben einen sehr guten Freund verloren, von dem wir viel gelernt haben und der ein großes Erbe hinterlassen hat – eine Erbe der Toleranz, des Respekts und der Neugier auf andere Menschen und andere Kulturen. Möge seine Seele in Frieden ruhen!